Stahlknecht-Entlassung wegen Rundfunkbeitrag - „AfD-Flügel in der CDU will den Machtkampf für sich entscheiden“

Der Streit in der CDU Sachsen-Anhalt über die Erhöhung des Rundfunkbeitrags ist eskaliert. Ministerpräsident Haseloff entlässt den Innenminister Stahlknecht. Die Grünen kündigen an, die Kenia-Koalition zu verlassen, auch wenn es nicht zur Abstimmung im Parlament kommt, so die Fraktionsvorsitzende Cornelia Lüddemann im Cicero-Interview.

Ministerpräsident Reiner Haseloff hat seinen Innenminister Holger Stahlknecht entlassen / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

So erreichen Sie Bastian Brauns:

Anzeige

Cornelia Lüddemann ist die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt.

Frau Lüddemann, der Ministerpräsident Reiner Haseloff hat soeben seinen Innenminister Holger Stahlknecht entlassen. Was ist da los bei Ihnen in Sachsen-Anhalt?
Die CDU trägt ihre internen Konflikte auf offener Bühne aus. Der AfD-Flügel gegen den gemäßigten Flügel. Ungeachtet des Schadens, den sie dem Land zufügen.

Glauben Sie, dass Herr Haseloff die CDU-Fraktion damit auf seine Seite wird ziehen können?
In der Sache hat sich nichts geändert. Holger Stahlknecht ist noch immer Vorsitzender der CDU. Als solcher hat er heute morgen mit Königsmord gedroht. Für die Abstimmung über den Staatsvertrag sehe ich keine neue Situation, weswegen wir Grüne diese öffentlich im Parlament wollen.

Reiner Haseloff lehnt ein gemeinsames Abstimmen seiner Fraktion mit der AfD gegen den Rundfunkstaatsvertrag ab. Vor seinem Rauswurf kündigte der Landesvorsitzende Holger Stahlknecht unabgesprochen per Interview an, dem Vertrag keinesfalls zuzustimmen. Zur Not strebe man auch eine Minderheitsregierung an bis zur kommenden Landtagswahl im Juni. Ist damit das Ende der ersten Kenia-Koalition in Deutschland erreicht?
Ich bin total fassungslos, seit ich das gelesen habe. Der CDU-Landesvorsitzende Holger Stahlknecht ruft auf offener Bühne zum Sturz des CDU-Ministerpräsidenten auf. Ihm muss klar sein, dass er damit das Ende der Kenia-Koalition einläutet. Das ist staatspolitische Verantwortungslosigkeit. Wir befinden uns mitten in einer Pandemie, die Infektionszahlen schießen gerade jetzt in Sachsen Anhalt hoch. Wir müssen alles dafür tun, gut durch diese Krise zu kommen. Die seit viereinhalb Jahren schwelenden internen Konflikte der CDU werden nun auf offener Bühne zu Lasten des Landes und zu Lasten dieser Koalition ausgetragen. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln. Hier werden Chaos und Führungslosigkeit, bewusst in Kauf genommen.

Geht es hier nicht schlicht um eine Sachfrage, in der man unterschiedlicher Meinung ist. Müssen Sie sich nicht umgekehrt den Vorwurf gefallen lassen? Muss daran eine Koalition zerbrechen, zumal in Pandemie Zeiten, wo stabile Verhältnisse vonnöten sind?
Die Sachfrage ist das eine. Aber hier geht es schon lange nicht mehr um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die CDU hat diese Abstimmung zu einer Abstimmung über die Zukunft von Kenia gemacht. Ihre Positionen sind eine absolute Minderheitenposition. Es geht nicht nur um irgendeine kleine Abstimmung hier in Sachsen-Anhalt. Es geht um einen bundesweit ausverhandelten Staatsvertrag, den 14 Länder schon ratifiziert haben. Mit Thüringen hat ein 15. Land eine Ratifizierug angekündigt. Nur wir in Sachsen-Anhalt blockieren, weil die CDU frei dreht. Den Vertrag haben im Übrigen CDU-Leute mitverhandelt. Staatsminister Rainer Robra hat den Vertrag verhandelt, Reiner Haseloff hat ihn unterschrieben. Auch Holger Stahlknecht hat mit Ja gestimmt, als er an das Parlament übergeben wurde. Der Landesrechnungshofpräsident Kay Barthel ist CDU-Mitglied und Mitglied der KEF-Kommission, die den Beitrag berechnet, indem sie den Finanzbedarf prüft.

Die CDU beruft sich auf den Koalitionsvertrag. Und in dem steht, man halte am „Ziel der Beitragsstabilität“ fest. Verstoßen also nicht die Grünen und die SPD gegen diese getroffene Vereinbarung im Koalitionsvertrag?
Nein, das ist nicht so. Das ist offensichtlich eine Trickserei der CDU, diesen Vertrag zu ihren Gunsten auszulegen. Sie behaupten, diese Formulierung bedeute, dass der Beitrag nominal gleich bleiben müsse. Wenn wir das gewollt hätten, hätten wir das aber nicht so in den Vertrag reingeschrieben.

Sie meinen, Sie hätten dann reingeschrieben, der Beitrag darf nicht über die aktuellen 17,50 Euro steigen?
Genau das hätte man tun können. Es gibt andere Stellen im Koalitionsvertrag, in denen wir das genauso beschrieben haben. So haben wir zum Beispiel beim Straßenbau, bei den Zuweisungen an die Kommunen festgeschrieben, dass es eine Dynamisierung geben muss. Das heißt, das Inflationen, Tarifsteigerungen etc eingepreist werden müssen. Sonst ist nämlich ein Beitrag nach mehreren Jahren nur noch ein Teil seines Wertes.

Wie konnte es zu einem so offenen Bruch der CDU mit dem eigenen Ministerpräsidenten kommen?
Seit wir diese Koalition eingegangen sind, mussten wir erleben, dass es mehrere Fraktionen in der CDU gibt. Wir hatten viele Krisen in dieser Koalition. Wir Grüne haben an vielen Stellen bis an die Grenze des Zumutbaren dafür gekämpft, dass diese Koalition bleibt. Ich will daran erinnern, dass Teile der CDU-Fraktion für die Enquetekommission Linksextremismus mit der AfD gestimmt haben. Daran, dass der grüne Vorschlag für den Landes-Datenschutzbeauftragten mehrfach durchgefallen ist. Daran, dass ich selbst nicht im ersten Wahlgang in die Parlamentskontrollkommission gewählt wurde. Da gibt es noch viele andere Beispiele, wo immer wieder die rechten Kräfte der CDU versucht haben, ihr eigenes Süppchen zu kochen und dieses Land nach rechts zu drehen.

Sie meinen, Teile der CDU-Fraktion streben ganz klar eine gemeinsame Regierung mit der AfD an?
Wir haben immer wieder eine Möglichkeit gefunden, uns über Sachfragen zu einigen. Wir haben zeitliche Streckungen vorgenommen, haben Inhalte hin- und hergeschoben und immer wieder Kompromisse gefunden. Aber in dieser Frage gibt es nur ein Hopp oder Topp. Das hat der bayerische Medienminister Hermann auf den Punkt gebracht. Diese Frage kann man jetzt nicht mehr verhandeln. Das ist durch. Das ist alles gelaufen. Mit der Unterschrift des Ministerpräsidenten war klar, dass jetzt alle Landtage ratifizieren. Und dazu muss man sich verhalten. Aber der AfD-Flügel in der CDU nimmt das jetzt zum Vorwand, um seine internen Machtkämpfe endlich zu entscheiden. Sie wollen damit eine klare Setzung für die kommende Landtagswahl.

Cornelia Lüddemann / dpa

Aber es gibt doch noch einen Ausweg: Mittels der Geschäftsordnung könnte man eine Abstimmung im Parlament umgehen. Das könnte Ihre grüne Fraktion doch mittragen.
Es geht darum, dass man diesen Staatsvertrag nur zustimmen kann oder nicht, weil er zum 1.1.2021 in Kraft treten muss. Dieser Staatsvertrag ist inzwischen zu einem Symbol geworden. Stehe ich zu dieser Koalition oder stehe ich nicht zu dieser Koalition? Diesen Staatsvertrag zu verhindern, das hat jetzt Holger Stahlknecht nochmal sehr deutlich gemacht, ist sein Ziel. Das kann er erreichen, indem er dagegen stimmt. Das will er auf offener Bühne mit der AfD vermeiden. Deswegen will er durch Aktives Nichtstun diesen Staatsvertrag scheitern lassen. Dann ist er nichtig für die gesamte Bundesrepublik. Auch dieses aktive Nichtstun ist also eine klare Entscheidung, eine klare Entscheidung gegen den Staatsvertrag und eine klare Entscheidung gegen Kenia. Auch das können wir und werden wir als Grüne nicht mit machen.

Hat der Fall damit für Sie bundespolitische Bedeutung? Ähnlich wie am Anfang des Jahres der Fall Thüringen bei der Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten mit Stimmen der CDU, AfD und FDP? 
Absolut. Weil es geht, wie gesagt, nicht mehr um eine Sachfrage. Es geht darum: Habe ich eine eigene Mehrheit, oder habe ich keine eigene Mehrheit? Muss ich meine Ziele gemeinsam mit der AfD durchsetzen, oder schaffe ich es auf anderem Wege? Und insofern hat es auch Auswirkungen auf die gesamte Bundesrepublik, denn hier würde ein klarer Maßstab gesetzt, und hier würde nochmal sehr deutlich, welche internen Konflikte in der gesamten CDU nicht aufgearbeitet sind.

Anzeige