Heidi Reichinnek im Porträt - Zwischen den Stühlen

Heidi Reichinnek ist viel auf Tiktok und Instagram unterwegs. Ob es der neuen Linken-Gruppenvorsitzenden im Bundestag damit gelingt, die Partei zu einen, ist ungewiss.

Heidi Reichinnek / Foto: Julia Steinigeweg
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Autoreninfo

Klaus Wallbaum ist Sozialwissenschaftler und Chefredakteur der Zeitschrift Rundblick - Politikjournal für Niedersachsen.

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Die Attribute, mit denen die neue Linken-Gruppensprecherin im Bundestag, Heidi Reichinnek, seit Jahren beschrieben wird, sind immer dieselben: Die 35-Jährige ist schlagfertig, tritt jugendlich auf – und sie wird allgemein als „ehrgeizig“ beschrieben. Seit 2021 arbeitet sie im Bundestag, und als „überzeugte Feministin und Antifaschistin“, wie sie sich selbst nennt, hat sie schon in so mancher Debatte eine schwungvolle und launische Rede gehalten. Reichinnek spricht schnell, kann blitzartig reagieren und beherrscht zudem den Umgang mit sozialen Medien.

Wer ist diese Frau, die jetzt an der Spitze der zu einer bloßen „Gruppe“ geschrumpften Linken-Bundestagsfraktion steht? Man kann ihren Standort so bezeichnen, dass sie „zwischen den Stühlen“ sitzt – also fern der scheinbar festgefügten Lager in der Linkspartei. Reichinnek ist in Merseburg in Sachsen-­Anhalt geboren, hat Nahoststudien und Politikwissenschaften studiert und dies mit einem Masterabschluss beendet. Während des Studiums hat sie 2010 und 2011 in Kairo die dortigen Demonstrationen des Arabischen Frühlings erlebt. Heute wohnt sie in Osnabrück, war dort in der Flüchtlings-Sozialarbeit und in der Jugendarbeit tätig und wirkte zwischen 2016 und 2021 für die Linken im Rat der Stadt. 

2019 wurde sie Linken-Landesvorsitzende in Niedersachsen, 2022 trat sie beim Linken-Bundesparteitag gegen die Bundesvorsitzende Janine Wissler an, unterlag aber mit 199 zu 319 Stimmen. Dass sie nach der Abspaltung des Wagenknecht-Flügels an die Spitze der Linken-­Bundestagsgruppe gelangte, wird nicht zu Unrecht als ein Keim der Spaltung der Linken interpretiert – denn sie gilt nach wie vor als ausgewiesene Wissler-­Kritikerin. Daran dürfte sich auch nichts ändern.

Pragmatische Arbeiterin

Einige verorten Reichinnek im Lager von Wagenknecht. Richtig daran ist, dass sie dem gegnerischen Lager, den sogenannten „Bewegungslinken“, ausdrücklich nicht angehört. Die Bewegungslinken träumen von breiten Bündnissen vieler Minderheiten, sehen sich als Bündnispartner von Bürgerbewegungen und haben eine ideologische Nähe zu den Grünen. Reichinnek hingegen, die Rosa Luxemburg ihr Vorbild nennt und ein entsprechendes Tattoo auf ihrem linken Arm trägt, agiert viel stärker machtpolitisch. 
 

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Pragmatische Arbeit hat sie in ihrer Zeit im Rat der Stadt Osnabrück gelernt. In der Linkspartei ist es die Gruppierung Sozialistische Linke (SI), die man ihr zuordnen kann. In der Öffentlichkeit wird sie stets in das Lager von Dietmar Bartsch einsortiert, dem betont pragmatischen Forum demokratischer Sozialismus (FDS). Das stimmt aber nur insoweit, dass die SI lange Zeit ein taktisches Bündnis mit dem FDS eingegangen war.

Oberstes Ziel der SI ist es, die Interessen der sozial Schwachen und der Arbeitnehmer zu vertreten und diese in praktische Politik umzusetzen – auch über Bündnisse mit anderen Parteien, beispielsweise der SPD. Dieses Ziel teilt sie mit Wagenknecht. Sobald es aber um scharfe Kritik an zu viel Zuwanderung geht, um eine Relativierung des Rechtspopulismus und der AfD oder um den Kampf gegen die Gender-Sprache, bleibt Reichinnek auf Distanz zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Das „Links“-Sein ist für Reichinnek auch Ausdruck von Feminismus und entschiedenen Protesten gegen Rechtsradikale.

Ein Mittel im politischen Geschäft

Kann die neue Gruppenvorsitzende nun die Linken retten? Die Erwartung wäre wohl zu hoch gegriffen, zumal sie in ihre Position nicht aufgrund einer Einigung aller Kräfte auf die neue Führung gelangte, sondern in einer Kampfabstimmung mit äußerst knappem Resultat. Aber dennoch könnte es ihr gelingen, die Partei hinter sich zu einen. Als Machtpolitikerin behält Heidi Reichinnek dabei mehrere Optionen im Blick. Wenn die Linkspartei zerfällt, könnte sogar auch ein Übertritt von Reichinnek und ihren Mitstreitern zum BSW in Betracht kommen. Falls aber die Linke zur alten Stärke zurückkehrt, könnte ein Machtkampf zwischen Wissler und Reichinnek auf der einen und ihren Anhängern auf der anderen Seite die Folge sein.

Dass Reichinnek klug taktieren kann und mutig genug ist, ihren Hut in den Ring zu werfen, hat die Politikwissenschaftlerin mehr als einmal bewiesen. Sie ist in den eigenen Reihen durchaus nicht unumstritten, manche attestieren ihr allzu entschlossenes Machtstreben. Aber vor allem ein Mittel im politischen Geschäft beherrscht sie sehr gut, nämlich den öffentlichen Auftritt. Es sind nicht nur ihre Reden im Parlament oder ihre frischen Videos, sondern auch die permanenten – und treffenden – Auftritte auf den Kanälen von Social Media. Von Heidi Reichinnek, so viel scheint klar, wird man noch einiges hören.

 

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