Hassrede-Gesetze - Die Erziehung von Untertanen

Gesetze gegen „Hate Speech“ oder „Delegitimierung des Staates“ erinnern an das Heimtückegesetz der Nazis. In beiden Fällen sind die Bestimmungen unklar und dienen nur der Einschüchterung.

Hassredner beim Delegitimieren des Staates (Corona-Demo im April 2021 in Wiesbaden) / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

So erreichen Sie Bernd Stegemann:

Anzeige

„Wenn der Faschismus wiederkommt, wird er nicht sagen, ich bin der Faschismus, sondern er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.“ Dieses berühmte Zitat von Ignazio Silone, einem mutigen Kämpfer gegen den italienischen Faschismus, wird mir immer unheimlicher in seiner prophetischen Botschaft. Die jüngsten Aussagen des Leiters des Verfassungsschutzes erinnern mich an einen juristischen Schachzug, mit dem die Nationalsozialisten 1933 und 34 ihre Macht gesichert haben. Das „Heimtückegesetz“ kriminalisierte alle Meinungsäußerungen, die das Ansehen des Reiches, der Regierung oder der NSDAP beschädigen konnten. 

Das Gesetz wurde erstmalig im März 1933 erlassen, um vor allem den „Missbrauch“ von Uniformen und Abzeichen der NSDAP zu bestrafen. 1934 wurde das Gesetz verschärft. Entscheidend ist der Passus aus dem 2. Paragraphen: „Wer öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP, über ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht“ wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. 

Die Werturteile „gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung“ sind so schwammig formuliert, dass damit jede Meinungsäußerung kriminalisiert werden konnte. Die Zahl der Denunziationen stieg in der Folge drastisch an und hatte schwerwiegende Folgen für die Angeschwärzten. Das Perfide an diesem Paragraphen ist, dass er den Ermessensspielraum maximal ausweitet. So konnte eine harmlose Aussage, wenn ihr eine „gehässige, hetzerische oder niedrige Gesinnung“ attestiert wurde, zu fünf Jahren Gefängnis führen.

Die einschüchternde Wirkung ist das Ziel der Gesetze gegen Hassrede

Wenn ich die aktuellen Diskussionen über „Hate Speech“ verfolge, fällt mir das „Heimtückegesetz“ ein. Liegt in einem Paragraphen der Strafgrund in einem Werturteil, das den subjektiven Ermessensspielraum ausweitet, so ist die Tür zur Willkür geöffnet. Hier können dann Denunzianten hereinspazieren und Richter die höchsten Strafen verhängen. Das Vergehen der „Hassrede“ erfüllt diese Begriffsunklarheit in erschreckender Weise. Denn der Hass ist keine objektive Größe, sondern er liegt allein im Ermessen desjenigen, der ihn empfindet. Was für den einen eine harmlose Aussage ist, wird von einem anderen als Hassrede bewertet. 

Die Besonderheit in den Hassrede-Gesetzen, die beispielsweise gerade in Schottland erlassen wurden und in Deutschland in Planung sind, besteht in der Verdrehung des Beweises. Wenn jemand eine Aussage als Hassrede empfindet, dann gilt das als ausreichender Beweis. Wie die Aussage gemeint war oder ob jemand anderes sie ebenso bewerten würde, ist nebensächlich. Es zählt allein die Empfindung desjenigen, der etwas als gehässig erlebt. 

Diese Entwicklung zeitigt inzwischen auch drastische Folgen in Deutschland. In den Arbeitsverträgen in der Kulturszene wird seit einigen Jahren ein Paragraph eingefügt, der dieser verdrehten Logik entspricht. Wenn eine Person sich von einer anderen Person rassistisch beleidigt fühlt, dann kann sie vom Arbeitgeber verlangen, dass der Verursacher bestraft wird. Die Bestrafung besteht meistens in der Verpflichtung, einen „Anti-Rassismus-Workshop“ zu besuchen. In schlimmeren Fällen kann auch eine Geldstrafe oder sogar die Kündigung drohen. Eine Verteidigung gegen den Vorwurf der „rassistischen“ Rede ist kaum möglich, da allein das Empfinden des sich beleidigt Fühlenden relevant ist. Niemand kann sich mehr sicher sein, ob seine Aussagen als diskriminierend empfunden werden. Ab jetzt ist in jeder Situation höchste Vorsicht geboten. Und genau diese einschüchternde Wirkung ist das Ziel der Gesetze gegen Hassrede. Das eingehegt-ängstliche Sprechen, das sich in den Kultureinrichtungen verbreitet, ist die sichtbare Folge der Verunsicherung. 

Es wird nicht zwischen dem Staat und der jeweiligen Regierung unterschieden

Die Ausführungen von Mathias Brodkorb zur Begriffsunklarheit des Verfassungsschutzes, welche Meinung radikal – also vielleicht erlaubt – ist, und welche extremistisch, also verboten, sind alarmierend. Denn sie zeigen, wie weit sich die Methode der absichtlichen Ungewissheit als Herrschaftsmittel normalisiert hat. Die jüngste Begriffsschöpfung steht in dieser Tradition. Mit dem neu geschaffenen Tatbestand der „Delegitimierung des Staates“ wird der Bürger in seinen Grundrechten weiter verunsichert. Auch bei dieser neuen Straftat wurde ich an das „Heimtückegesetz“ erinnert. Denn was soll mit der Delegitimierung gemeint sein? 

 

Mehr zum Thema:

 

Die erste Unklarheit besteht darin, dass nicht mehr zwischen dem Staat und der jeweiligen Regierung unterschieden wird. Als Beispiel für eine Delegitimierung werden die Coronaproteste angeführt. Wenn aber gegen Coronamaßnahmen protestiert wird, dann wird gegen politische Entscheidungen protestiert, die von einer Regierung getroffen worden sind. Es ist ein Unterschied, ob ein Reichsbürger die Existenz der Bundesrepublik leugnet oder ob jemand die Hygieneregeln des Gesundheitsministers ablehnt. In der Delegitimierung wird dieser Unterschied verwischt. So wie im „Heimtückegesetz“ Staat und NSDAP gleichgesetzt werden, werden nun Staat und Regierung gleichermaßen vor Kritik geschützt. 

Die Unklarheit ist der Gewinn, den der Verfassungsschutz für sich daraus zieht

Die zweite Unklarheit besteht in dem Begriff der „Delegitimierung“. Es fehlt eine Bestimmung, wann Kritik erlaubt ist und ab wann sie strafbar sein soll. Diese Bestimmung wird wohl wie bei der mangelhaften Unterscheidung von Extremismus und Radikalismus niemals erfolgen. Denn gerade die Unklarheit ist der Gewinn, den der Verfassungsschutz für sich daraus zieht. So werden Untertanen erzogen. Denn wer unsicher ist, ob seine Meinung beobachtet, geprüft oder gar verfolgt werden kann, der wird sich nun selbst zensieren. 

Eine Behörde, deren Zweck darin besteht, die eigene Bevölkerung zu überwachen, sollte sich der unseligen Geschichte des „Staatsschutzes“ in Deutschland bewusst sein. Vom „Heimtückegesetz“ über die „Geheime Staatspolizei“ bis zur „Staatssicherheit“ verläuft die Geschichte der Gängelungs- und Bestrafungsmacht bis in die jüngste Vergangenheit. Ein Präsident des Verfassungsschutzes, der sich der Methode der strategischen Begriffsunklarheit bedient, da er die Meinungsfreiheit verunsichern will und den Machtzuwachs für seine Behörde begrüßt, ist fragwürdig. Und ein Behördenleiter, der diese Anleihen aus der finsteren deutschen Vergangenheit damit begründet, dass sie im „Kampf gegen rechts“ notwendig seien, der erinnert mich unangenehm an die prophetische Botschaft von Ignazio Silone. 
 

Anzeige