Harald Christ im Interview - „Es gibt keine Linksverschiebung“

Der Unternehmer Harald Christ war drei Jahrzehnte SPD-Mitglied. Heute ist er Schatzmeister der FDP und hat die Ampelkoalition mit ausgehandelt. Im Gespräch berichtet er von überraschenden Erkenntnissen über Saskia Esken, möglichen Gefahren für die Koalition – und nennt die Gründe, warum sich Unternehmer schwer damit tun, in der Politik mitzumischen.

Harald Christ in seinem Büro in Berlin-Charlottenburg / Luca Abbiento
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Harald Christ wurde 1972 in Worms geboren. Nach der Ausbildung zum Industriekaufmann war er Geschäftsführer und Gesellschafter in einer Reihe von Unternehmen und Banken. Heute führt er die Unternehmensgruppe Christ&Company Consulting. Seit 1988 SPD-Mitglied und 2009 im Schattenkabinett von Frank-Walter Steinmeier Wirtschaftsminister, trat er 2019 aus der Partei aus und wenig später in die FDP ein. Er ist seit 2020 Bundesschatzmeister der FDP.

Herr Christ, Sie kennen das Personal der neuen Regierung aus den Sondierungsgesprächen. Ist die Ampel stabil genug, um ihre Vorhaben durchzusetzen? 

Was ich in den Sondierungen erlebt habe, lässt sich mit einem Wort umschreiben: konstruktiv. Alle sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Das zeigt sich auch daran, dass das ein schneller Prozess war, der auf großem Vertrauen basierte. Dass es keine Durchstechereien gab, hat Sie als Medienvertreter möglicherweise überrascht. Aber es zeigte den Willen bei allen, etwas Gutes zustande zu bringen. Die Ampel hat deshalb eine Perspektive. 

Aber gerade gegenüber der FDP gab es bei Grünen und SPD Vorbehalte. Kevin Kühnert – der neue Generalsekretär der SPD – hat Christian Lindner noch kurz vor der Wahl als „Luftikus“ bezeichnet. Gibt es da nicht ein kulturelles Misstrauen?

Die Parteien sind sehr unterschiedlich. Wir als Liberale sind angetreten, um mit der CDU eine Regierung zu bilden. Die Wähler haben die Parteien jedoch mit einem anderen Ergebnis ausgestattet, die CDU war klarer Wahlverlierer, die Ampelparteien dagegen klare Gewinner. Ich bin seit 33 Jahren politisch erfahren und lege nicht auf die Goldwaage, was im Wahlkampf alles gesagt wird. Nach den Wahlen muss man so professionell sein, sich auf das zu konzentrieren, was verbindet. Deshalb sehe ich es Kühnert auch nach. Ich halte die Formulierung für unglücklich, aber das war zu einem Zeitpunkt, an dem noch nicht sicher war, dass man koalieren wird. Dass die Parteien immer wieder deutlich machen müssen, wofür sie stehen, ist doch völlig klar. Das macht diese Koalition so spannend. Die Grünen mit Nachhaltigkeit und Klima, was wir als FDP teilen, auch wenn es in der Umsetzung unterschiedliche Vorstellungen gab; die SPD mit Respekt und Gerechtigkeit. Und wir Freie Demokraten, die für Mittelstand und finanzpolitische Vernunft stehen. Da kommen sehr unterschiedliche Komponenten zusammen, die in der Summe gut sind für das Land.

Aber solche Konflikte können ja in Krisenmomenten wieder aufbrechen. Jetzt haben wir gleich zu Anfang die wieder aufgeflammte Corona-Krise. Verprellt die FDP ihre Wähler nicht, wenn sie der Impfpflicht zustimmt

Wenn man Verantwortung trägt, muss man abwägen. In der Corona-Krise gibt es keinen Königsweg. Es ist immer ein Herantasten. Von allen Partnern, die Entscheidungen treffen, erfordert es Pragmatismus. Und ich sehe nicht, dass der Kurs der Ampel bei diesem wichtigen Thema flächendeckend für Verunsicherung unter unserer Wählerschaft geführt hat.

Flächendeckend nicht, aber es gibt Menschen, die FDP gewählt haben, weil bei ihr die Freiheit des Individuums im Mittelpunkt steht. Eine Impfpflicht passt dazu nicht.

Es ist ja nicht entschieden, wie die genaue Ausgestaltung ab März 2022 sein wird. Das hängt auch sehr stark von der derzeitigen Entwicklung ab. 

Wie stehen Sie persönlich denn dazu? 

Ich bin mehrmals geimpft und appelliere an alle Menschen, sich bitte impfen zu lassen.

Weit mehr Unruhe als bei FDP und SPD gab es auf dem Weg zur Ampelregierung bei den Grünen. Fridays for Future, Greenpeace und andere Vorfeldorganisationen äußerten sich sehr kritisch zum Koalitionsvertrag. Halten die Grünen diesem Druck stand? 

Die Grünen haben ordentlich verhandelt. Wie wir und die SPD auch, haben sie einen wichtigen Teil ihrer Inhalte im Koalitionsvertrag verankern können. Bei allen Parteien steht außer Frage, dass wir viel mehr gegen den Klimawandel tun müssen. Dass das mit einer sozial-ökologisch-ökonomischen Transformation der Gesellschaft zusammenhängt, ist logisch. Aber es geht nicht immer alles so schnell, wie man es sich vorstellt. Dass man mit 14,8 Prozent eben nicht 100 Prozent der eigenen Ideen durchbringen kann, ist klar. Das galt auch für uns.

Aber Unternehmerverbände stellten dem Koalitionsvertrag eine weitaus bessere Note aus als Organisationen, die den Grünen nahestehen.

Die Grünen sind seit 2005 in der Opposition. Dass der Eintritt in die Regierung mit etwas mehr Getöse abläuft, dass sie damit ringen, dass sie eben nur auf 86 Prozent Zustimmung bei ihrer Mitgliedschaft kommen, das war zu erwarten. Aber wenn man in eine Regierung eintritt, muss man es hinnehmen, dass die eine oder andere Interessengruppe sich nicht so repräsentiert fühlt in einem Koalitionsvertrag. Am Ende muss ich sagen: Ich habe viel größere Widerstände befürchtet. Selbst die Grüne Jugend, die bekannt dafür ist, Rabatz zu machen, hat gesagt: Wir geben der Koalition eine Chance.

Mit Ihrer Biografie sind Sie der personifizierte Sozialliberale. Steht diese Koalition für den Gedanken „Aufstieg durch Leistung“? 

Im Bereich Bildung wird es deutliche Veränderungen geben. Zum Beispiel wird das Bafög weiter so gestärkt, dass es Menschen ungeachtet der Herkunft den Weg in die Hochschulen ermöglicht. Die Investitionen in Bildung und Bildungsinfrastruktur werden deutlich erhöht. Das führt zu mehr Chancengerechtigkeit. Auch die Digitalisierung trägt zu mehr Gerechtigkeit bei. Beim Thema Wohnen stehen wir für mehr bezahlbaren und nachhaltigen Wohnraum. Dahinter stehen alle drei Parteien gleichermaßen. Beim Thema Mietpreise gab es bei Grünen und SPD andere Vorstellungen. 

Sie sind vor zwei Jahren ja aus der SPD ausgetreten, weil die Partei den leistungsorientierten Gedanken nicht mehr vertreten hat. Jetzt haben Sie die SPD und die Grünen als Partner – beide stehen eher für mehr Staat.

Aber dieser Koalitionsvertrag zeigt, dass es auf bundespolitischer Ebene keine Linksverschiebung gibt, gerade weil die FDP mit dabei ist. Das wäre ganz anders gewesen, wenn es eine rot-rot-grüne Regierung gegeben hätte. Das haben die Wähler eindeutig abgelehnt.

Hat das Realo-Lager in der SPD wieder die Oberhand gewonnen?

Ich war 31 Jahre Mitglied der SPD. Die Partei ist in den letzten Jahren nach links gewandert – im Glauben, dass man so wieder Wahlen gewinnen kann. Aber Olaf Scholz stand für keine linke Politik. Und er hat die Wahl gewonnen – was Anfang 2021 noch völlig illusionär schien. Das hat die vernünftigen Kräfte in der Partei gestärkt. Das sieht man auch bei entscheidenden Personalien.

Sind Sie vielleicht zu früh ausgetreten? 

Nein. Als Sozialliberaler war ich so lange aus Überzeugung in der Partei, wie ich mich in diesem Umfeld wohlgefühlt habe. Als Bundesschatzmeister konnte ich nun meinen Beitrag zum Wahlergebnis meiner FDP leisten. Die Partei hat ausreichend Mittel eingeworben – wir hatten einen Spendenrekord in diesem Jahr. In der SPD wäre ich kaum zu einer Rolle gekommen, in der ich jetzt bin.

Sind Sie eine Art Transmissionsriemen zwischen SPD und FDP? 

In den Vorsondierungen war es von Vorteil, dass ich die SPD gut kannte. Auch nach meinem Wechsel zur FDP gab es keinen Sozialdemokraten, der Berührungsängste mit mir hatte.

Aber es ist schwer vorstellbar, dass ­Saskia Esken und Sie eine enge Freundschaft verbindet.

Mit allen Vertretern der SPD, und das gilt ausdrücklich auch für Saskia Esken, gab es ein sehr konstruktives Zusammenarbeiten in den Sondierungen. Ich muss sagen: Frau Esken wird nicht meine Lebensfreundin, das wird sie umgekehrt sicher auch so sehen, aber sie hat mich doch positiv überrascht. Es braucht mich nicht als Transmissionsriemen: Volker Wissing hat in Rheinland-Pfalz eine Ampelkoalition aufgebaut und fortgesetzt, Christian Lindner war immer gut vernetzt bei SPD und Grünen, da sollte man meine Rolle nicht überbewerten.

Warum haben Sie eigentlich keinen Posten übernommen in dieser Regierung? 

Um Gottes willen (lacht). Vielleicht gab es da die eine oder andere Idee, aber meine Antwort ist klar: nein. Ich fühle mich wohl in der Rolle als Bundesschatzmeister, ich bringe mich auf der fachlichen Ebene gerne ein. Ich strebe kein berufspolitisches Amt an. Die FDP hat außerdem genügend geeignete Politiker.

Unabhängig von Ihnen – wie würde die deutsche Öffentlichkeit auf einen Wirtschaftsminister mit Unternehmerbiografie reagieren?

Es gibt ja vereinzelte Beispiele von Unternehmern und Managern in der Politik: Jörg Kukies, seit 2018 Staatssekretär im Finanzministerium, oder Ulrich Nußbaum als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Und es gab mit Werner Müller einen sachkundigen Wirtschaftsminister unter Gerhard Schröder. Die Öffentlichkeit würde es positiv sehen, wenn Personen aus der Wirtschaft sich mehr engagieren würden. Aber nahezu niemand macht es, weil man dafür sehr viel aufgibt. Aus ökonomischen Gründen ist eine politische Karriere ja für viele, die als Unternehmer Karriere gemacht haben, auch nicht erstrebenswert. Mir selbst geht es immer um die Inhalte und darum, einen Beitrag für das Team zu leisten.

Sind es auch so wenige, weil die eher linken Parteien, die Medien und Anti-Lobbyismus-Aktivisten einem Wirtschaftsmann mit Misstrauen begegnen würden? 

Ich bin der Meinung, dass mehr Menschen politische Verantwortung übernehmen sollten, die in ihrem Leben gezeigt haben, dass sie etwas können – oder dass sie das Potenzial haben, in etwas hineinzuwachsen. Mein Appell: Jeder Bundestag, jede Bundesregierung sollte weniger auf die Herkunft achten bei der Frage, wer ein Spitzenamt ausfüllen kann.

Gibt es nun Misstrauen gegenüber Wirtschaftsleuten in der Politik oder nicht? 

Es liegt eher daran, dass die handelnden Personen das nicht wollen. Sie wollen sich nicht von morgens bis abends dafür rechtfertigen müssen, was sie in ihrem Leben erreicht haben. Das schreckt viele ab. Unternehmer wollen sich nicht ständig der Medienöffentlichkeit und den Angriffen aussetzen. In den USA ist es ja eher üblich, dass Geschäftsleute, die über ausreichend Ressourcen verfügen, dann in die Politik gehen. Es wäre gut, wenn es möglich wäre, hin- und herzuwechseln zwischen Politik und Wirtschaft. Das ist förderlich für beide Seiten. In der Logik einer Partei ist aber immer noch die Ochsentour ausschlaggebend. Das bedeutet aber, dass Sie sehr viel Zeit investieren müssen, wenn Sie Politiker werden wollen.

Die Realität sieht anders aus: Im Bundestag ist der Anteil der Wirtschaftsleute noch einmal zurückgegangen – nur noch 10 von 735 Parlamentariern sind Unternehmer. Was haben Unternehmer denn, was Berufspolitiker nicht haben?

Menschen, die erfolgreich in der Wirtschaft sind, bringen eine ganz andere Erfahrung mit, direkt aus der Praxis. Politik hat zu oft einen Blick auf die Wirtschaft, der von oben oder von der Seite kommt und mit den Realitäten fremdelt.

Haben Wirtschaftsleute womöglich Probleme damit, dass man in der Politik eben nicht so handeln kann wie in einem Unternehmen? 

Wenn Sie im Unternehmen Siebenkampf machen, dann erwartet Sie in der Politik Zehnkampf. Es kommen drei Disziplinen dazu, die Sie in der Intensität nicht kennen: Öffentlichkeit und Medien, die Notwendigkeit, Mehrheiten zu organisieren, und Kompromissfähigkeit. Es erfordert extrem viel Geduld, sich in einen so mühsamen Prozess zu begeben. Im Übrigen würde ich mich auch freuen, wenn mehr Menschen aus Forschung und Wissenschaft in die Politik gehen würden. Aber da sind die Probleme ähnlich gelagert.

Wenn die Zahl der Wirtschaftsleute in der Politik immer geringer wird – besteht nicht die Gefahr, dass die Politik an der Wirtschaft vorbei, im schlimmsten Fall auf ihre Kosten gemacht wird? 

In der Praxis agieren Minister nicht in einer Blase – sie holen sich Kompetenz und Beratung von verschiedenen Seiten. Aber es ist eben ein Unterschied, ob sie sich Expertise reinholen – oder ob sie es selbst gemacht haben. Wenn Sie zum Beispiel Mittelständler sind, haben Sie als Politiker natürlich einen ganz anderen Blick auf die Mittelstandspolitik.

Über die letzten Jahre haben sich immer mehr Unternehmen einen „Quoten-Grünen“ ins Team geholt – um zu zeigen, dass sie progressiv sind und um einen Draht in die Partei zu haben. Sie haben noch keinen? 

Ich bin bei uns der Quoten-Grüne (lacht) – und das als Liberaler. Aber alle Unternehmen, inklusive der Schwerindustrie, haben erkannt, dass sie viel mehr unternehmen müssen, um klimafreundlicher zu werden. Da ist es doch klar, dass sie sich Fachkräfte holen, die in diesem Bereich Kompetenzen haben und das seit Jahrzehnten leben. Es ist begrüßenswert, wenn Unternehmen sich „grüne Intelligenz“ ins Haus holen.

Aber sehen Sie bei den Grünen nicht eine gewisse Industriefeindlichkeit? 

Was ich sehe, ist der Koalitionsvertrag. Der zeigt, dass die Grünen, die jetzt Verantwortung tragen, die ökologische und digitale Transformation in einer sozialen und ökonomischen Balance gestalten wollen. Da kann ich keine ideologische Industriefeindlichkeit feststellen.

Aber wenn die Stahlindustrie sich aus Deutschland verabschiedet, werden die Tränen bei den Grünen wohl in geringerem Maße fließen als bei FDP und SPD.

Die Stahlindustrie wird sich nicht aus Deutschland verabschieden.

In energieintensiven Branchen gibt es  Verunsicherung angesichts der ökologischen Transformation – und Pläne, die Produktion zu verlagern.

Im Koalitionsvertrag steht ganz klar drin, dass die Wirtschaft auf dem Weg der ökologischen Transformation unterstützt wird. Was nutzt den Unternehmen denn eine Verlagerung in Länder, in denen sie dann bald vor den gleichen Problemen stehen? Unsere große Chance liegt doch darin, in Deutschland Technologien zu entwickeln, die die nächste Stufe der ökologischen Transformation anführen. Diese Technologien könnten zu Exportschlagern werden – und für die nächste Stufe unseres Wachstums sorgen und die Welt klimafreundlicher machen.

Aber manche Unternehmen denken sich: Wir können nicht warten, bis die Technologien erfunden sind – und gehen in andere Länder.

Aber glauben Sie, dass diese Länder, in die sie dann gehen, noch zehn Jahre so weitermachen können wie jetzt? Vergessen Sie’s.

Gab es in den vergangenen drei Jahrzehnten jemals einen echten „Zusammenstoß“ zwischen Ihnen als Wirtschaftsmann und einem echten Berufspolitiker?

Nein. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, ich war deshalb gewerkschafts- und gleichzeitig wirtschaftsnah. Im Mittelpunkt meiner Denke steht die soziale Marktwirtschaft nach dem Motto: Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt. Deshalb kam es nie zu echten Zusammenstößen. Ich wurde in Berlin – einem wirklich linken SPD-Landesverband – mit 98 Prozent zum Landesschatzmeister gewählt!

Weil die Linken auch jemanden brauchen, der das Geld zusammenhält?

Nein, sie haben gesagt: Inhaltlich ist der bei vielen Themen anderer Meinung als wir, aber was er sagt, ist belastbar. In den Diskussionen war ich immer mit offenem Visier unterwegs. Ich versuche aber auch, die anderen Argumente zu verstehen. In meiner Anfangszeit in Rheinland-Pfalz war ich in einem Kreisverband Juso-Vorsitzender – in einem anderen Andrea Nahles. Wir haben uns damals nichts gegönnt, wir mochten uns auch nicht besonders. Aber später ist daraus eine belastbare Freundschaft geworden: Sie hat mich zum Mittelstandsbeauftragten der SPD gemacht. Mit ihrem Abtritt war mir aber auch klar, dass ich das Amt zurückgeben werde. Ich habe mal den Satz geprägt: Die SPD beansprucht für sich, die Partei des sozialen Aufstiegs zu sein, aber wenn man dann aufgestiegen ist, wird man zum Klassenfeind.

Wer hat Sie eigentlich in die SPD gebracht?

Ich wurde sozialisiert in der Helmut-Schmidt-SPD, Schmidt war ein Vorbild. Über viele Jahre hatte ich mit ihm und seiner Frau Loki einen intensiven Diskurs. Eingetreten bin ich aber 1988, da war bereits Helmut Kohl Bundeskanzler.

Von Schmidt stammt der Ausspruch: Wer die Grünen wählt, der wird sich später einmal bitterste Vorwürfe machen. Wäre Schmidt zufrieden mit der Ampelkoalition? 

Diesen Satz muss man im historischen Kontext sehen. Mit diesem Programm der Koalition und mit Olaf ­Scholz als Kanzler wäre er wahrscheinlich versöhnlicher. Aber es wird nicht einfach – ob nun die Herausforderungen in der Klimapolitik, Corona mit allen Folgen oder die außenpolitischen Herausforderungen mit China, Russland oder anderen Akteuren.

Ist denn die deutsche Außenpolitik bei Annalena Baerbock in guten Händen?

Ich kannte Guido Westerwelle gut – und habe es damals für einen Fehler gehalten, dass er Außen- und nicht Finanzminister geworden ist. Diesen Fehler hat Christian Lindner nicht begangen. Ohnehin glaube ich, dass die Entwicklung dahin gegangen ist, dass die Außenpolitik sehr stark aus dem Kanzleramt bestimmt wird. Frau Baerbock wünsche ich in unser aller Interesse viel Erfolg und habe das Vertrauen, wie übrigens auch in alle anderen Kabinettsmitglieder. 

Das Gespräch führten Moritz Gathmann und Daniel Gräber.

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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