Antisemitismusvorwurf gegen Hans-Georg Maaßen - Biedermann und die Taschenspieler

Ist er es – oder ist er es nicht? Seit Luisa Neubauer jüngst behauptet hat, Hans-Georg Maaßen würde „antisemitische Inhalte“ verbreiten, mühen sich bestimmte Kreise um eine Beweisführung. Als „Smoking Gun“ für den angeblichen Antisemitismus wird ein Begriff angeführt, der die ganze Absurdität der Geschichte offenbart.

Unlauterer Verdachtsfall: Hans-Georg Maaßen unter Antisemitismusverdacht
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Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Selten konnte man in Echtzeit dem Niedergang des Journalismus in Deutschland so eindrucksvoll zusehen wie vor gut einer Woche bei „Anne Will“. Luisa Neubauer (Fridays for Future, Die Grünen) nutzte die Sendung, um eine Attacke auf Armin Laschet und seine CDU zu reiten. Das Vehikel hierfür war der ehemalige Chef des Bundesverfassungsschutzes und CDU-Bundestagskandidat Hans-Georg Maaßen.

„Sie legitimieren rassistische, antisemitische, identitäre und übrigens auch wissenschaftsleugnerische Inhalte, verkörpert durch Hans-Georg Maaßen“, warf Neubauer Laschet vor. Und das deshalb, weil dieser nicht schärfer gegen Maaßen vorgehe. Das sei „hoch gefährlich“ für die Demokratie. Aktivisten von „Fridays for Future“ würden im Osten mitunter bedroht, und für diese Stimmung seien auch Hans-Georg Maaßen und damit indirekt Armin Laschet verantwortlich.

Sprechblasen statt Fakten

Anstatt Neubauer zu bitten, ihre Vorwürfe zu belegen, sprang Anne Will daraufhin Neubauer bei. „Ich finde es erheblich, was Luisa Neubauer sagt“, konstatierte sie in bedrückter Tonlage. Während Laschet sich gegen die Antisemitismus-Vorwürfe zur Wehr zu setzen versuchte, legte Neubauer nach und verfeinerte ihre Argumentation. Sie hätte Maaßen ja nicht vorgeworfen, ein Antisemit zu sein, sondern lediglich, antisemitische Inhalte zu verbreiten. Das ist freilich ähnlich „generös“, als würde man einem Zeitgenossen selbstverständlich nicht unterstellen, ein praktizierender Pädophiler zu sein, sondern „bloß“, kinderpornografisches Material in Umlauf zu bringen. 

Auch diesmal forderte Will von Neubauer zur Wahrung der Neutralität des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks keine Belege ein, sondern sprang ihr erneut parteiisch bei: „Schauen wir uns noch an, versuchen wir zu belegen.“ Erst Tage später wird Neubauer ihren Vorwurf damit untermauern, dass Maaßen mitunter von „Globalisten“ spreche. Und das wäre nun einmal Antisemiten-Sprech.

Neubauers „Argumente“ sind dabei ziemlich deckungsgleich mit denjenigen, die das Internet-Projekt „UnionWatch“ schon seit geraumer Zeit verbreitet. Man habe Neubauer auch Unterstützung angeboten, diese habe darauf aber nicht reagiert. Nach eigenen Angaben sind derzeit neun Personen am Projekt beteiligt, worunter sich drei durch besondere Aktivitäten auszeichnen. Die Anonymität habe man vor allem aus Schutz vor „gewaltbereiten Rechtsradikalen“ gewählt.

Ein Wort als Verdachtsfall

Dass Maaßen ein Antisemit sei, wollen auch die Watch-Aktivisten nicht direkt behaupten. Das sei nämlich nicht „rechtssicher“ nachweisbar: „Gerade Vorwürfe, jemand sei Antisemit/Sexist/Rassist/Rechtsradikaler, enden oft in teuren und langwierigen Gerichtsverfahren oder schlimmer noch in Strafverfahren. Dafür haben wir keine Ressourcen, weder zeitlich noch finanziell“, bekennen die Aktivisten offen. Vorsorglich haben sie zwischenzeitlich ein Dossier über die Causa Maaßen angefertigt und als Schutzschrift bei Gericht hinterlegt.

Darin führen sie als ersten Beleg dafür, dass Maaßen antisemitische Inhalte verbreite, die Tatsache an, dass dieser mitunter von „Globalisten“ spricht, wenn er neoliberale Anhänger der wirtschaftlichen Globalisierung kritisiert. Das Wort werde, so die Watch-Aktivisten, „in rechtsradikalen und verschwörungstheoretischen Kreisen“ häufig als „antisemitische Chiffre/Codewort für ‚Juden’“ benutzt. Da man annehmen dürfe, dass dem ehemaligen Chef des Verfassungsschutzes derartige Zusammenhänge bekannt seien, sei „es folglich also legitim zu behaupten, Maaßen verbreite antisemitische Inhalte“.

Ganz so differenziert wie die Watch-Aktivisten argumentiert indes nicht jeder Debattenteilnehmer. Zwar habe Maaßen nicht direkt den Holocaust geleugnet, so Esther Schapira in der Jüdischen Allgemeinen, aber der Antisemitismus „beginnt nicht mit der Schoa, sondern endet dort“. Das scheint die Argumentation mit gröberen Keilen zu rechtfertigen.

Der unlogische Zirkel

Als „Beweis“ für ihre Behauptungen stützt sich auch Schapira darauf, dass Maaßen mitunter das Wort „Globalisten“ verwendet. Wenn man einen Brandstifter als Brandstifter entlarven will, muss man erst Rauch finden, dann Feuer und drittens nachweisen, dass der Beschuldigte das Feuer auch absichtsvoll gelegt hat. 

Dass allein die Verwendung des Wortes „Globalisten“ dafür sorgen kann, dass der Antisemitismus in den Sprecher einfährt wie der Blitz in einen Baum – einen solchen schlichten Sprachmystizismus vertritt auch Schapira nicht. Es komme schon auf die Verwendung des Wortes, den Kontext und auf die Intention des Sprechers an.

Mit dem „Globalismus“ hätte Schapira schon einmal den Rauch. Dass das Wort eine antisemitische Chiffre sei, könne man sogar in Publikationen der Konrad-Adenauer-Stiftung nachlesen, betont sie. Jetzt fehlt nur noch ein letzter Schritt, nämlich der Nachweis darüber, dass der Rauch zu einem von Maaßen gelegten Feuer gehört. Und der hört sich bei ihr so an: „Keine Frage, Maaßen weiß genau, was er sagt, und er sagt es so und nicht anders, weil er so denkt und weil er auf Stimmenfang rechtsaußen geht. Das ist eine zumindest fahrlässig gefährliche Zündelei mit rassistischen und antisemitischen Ressentiments.“

Verschobene Linien

Man muss diese Volte mehrfach lesen, damit einem der Hintersinn nicht durch die Lappen geht. Warum ist das Aufspüren des Wortes „Globalismus“ im Falle Maaßen noch einmal ein Beleg für seinen Antisemitismus oder seine zumindest „fahrlässige Zündelei mit rassistischen und antisemitischen Ressentiments“? Weil man ja ohnehin vorher schon wusste, wie und was Maaßen denkt. Das ist für Schapira einfach „keine Frage“. Eine solche Chuzpe muss man sich erst einmal leisten können. Das eigentlich erst noch zu Beweisende wird in einer längeren Argumentationskette selbst als Beweis für das zu Beweisende wieder eingesetzt. Das nennt man in der Philosophie einen „Zirkel“, im Rest der Welt einen „Taschenspielertrick“.

Und sie geht noch etwas weiter. Am Ende sei es ihr nämlich herzlich „egal“, mit welcher Motivation jemand rote Linien verschiebe, „sie werden verschoben – und allein das zählt“. Im Zweifel, wenn also die antisemitischen Absichten des Sprechers nicht nachweisbar sind, bleibt er eben trotzdem einer – oder zumindest etwas Ähnliches, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.  Der Kampf gegen den Antisemitismus verwandelt sich so in eine Vor-Verurteilung ohne fairen Prozess.

Ein gefährliches G-Wort?

Wer allerdings den Vorwurf des Antisemitismus ernsthaft von den tatsächlichen Absichten der Akteure abkoppeln will, löst einen Flächenbrand aus. Die taz beispielsweise geißelt Maaßen nicht nur für seine Sprechweise, sondern verwendet in zahlreichen Artikeln ganz naiv und affirmativ selbst die Vokabel „Globalist“. Und sogar die Bundeszentrale für politische Bildung, die ansonsten vor rechtsextremen „Globalismus“-Kritikern warnt, vertreibt auf Staatskosten ein Buch mit dem Titel „Globalisten“ – und das keinesfalls in Antisemitismus-kritischer Absicht.

Wenn man wissen will, was ein Mensch tatsächlich denkt, fragt man ihn am besten selbst. Getan hat das vor wenigen Tagen Roland Tichy. Der Journalist, der vor allem rechtsdemokratischem Denken eine publizistische Heimat bieten will und dabei selbst journalistische Standards nicht immer unbedingt einhält, ist nun sogar ins Internet-TV eingestiegen und hat vor wenigen Tagen seine erste Sendung veröffentlicht – ein Gespräch mit Hans-Georg Maaßen. Freilich spielte auch der aktuelle Antisemitismus-Vorwurf gegen ihn eine zentrale Rolle.

Bemerkenswert ist dabei, mit welcher Ruhe Maaßen den Vorwürfen seiner Kritiker begegnet. Er nutzt nicht einmal eine Steilvorlage Tichys, um dieser Tage den Antisemitismus-Vorwurf in Richtung linker Israelkritiker umzukehren. Auf den Vorwurf, die antisemitische Chiffre „Globalisten“ in den Mund genommen zu haben, entgegnet er in Richtung Neubauer schlicht: „Was redet diese Frau?“ Maaßen begründet seine Sprechweise damit, dass er exakt jenes Buch mit Interesse und Gewinn gelesen habe, das die Bundeszentrale für politische Bildung und damit der Staat selbst verbreite. Mit Antisemiten habe er hingegen nichts am Hut.

Fragt man die Macher von „UnionWatch“, ob sie sich eigentlich eher als Journalisten oder als politische Aktivisten verstünden, erklären sie, dass es so etwas wie „neutralen“ Journalismus ohnehin nicht geben könne. Außerdem müsse man auch als Journalist „Haltung“ zeigen. Das Projekt daher eher dem politischen Aktivismus zuzurechnen, damit hätten die Macher am Ende „kein Problem“.

Verletzung journalistischer Standards

Haltung beweisen wollte am Ende wohl auch Anne Will. Im Nachgang zu ihrer Sendung nutzte sie nicht die Zeit, um ihre Ankündigung auf Überprüfung der Vorwürfe Neubauers wahr zu machen. Stattdessen teilte sie in ihrem Twitter-Account einen Thread der politischen Aktivisten von „UnionWatch“, um Luisa Neubauer erneut beizuspringen. Diese Verletzung journalistischer Mindeststandards löste indes eine Protestwelle im Internet aus – und zwar gegen Anne Will. Sie löschte daraufhin den Thread nach ein paar Stunden wieder und entschuldigte sich für den Faux pas.

Die politischen Aktivisten von „UnionWatch“ sahen sich hierdurch allerdings diskreditiert und antworteten prompt mit einem offenen Protestbrief. Will hätte durch ihr Vorgehen nahegelegt, dass „UnionWatch“ „keine seriöse Quelle“ sei. Das habe dem Ruf des Projektes „massiv geschadet“. „Wir fordern Sie daher auf, sich bei uns (…) zu entschuldigen“, so die Watch-Aktivisten. 

Vielleicht ist es für Journalisten doch ratsamer, die Regeln des eigenen Geschäfts zu befolgen und sich dem Diktum von Hanns Joachim Friedrichs folgend „mit keiner Sache gemein (zu machen), auch nicht mit einer guten“.

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