Grundrente - Die schmutzige Bombe der SPD

Mit ihren Vorschlägen zur Grundrente ist die SPD in den Wahlkampfmodus getreten. Laut Umfragen kommt das gut an. Zwei Prozentpunkte mehr gibt es für die Partei. Doch mit diesem Wahlkampfthema haben die Sozialdemokraten einen Pakt mit der CDU gebrochen

Mit Hubertus Heils Vorschlag zur Grundrente ist die SPD in den Wahlkampfmodus getreten / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Nach längerer Abstinenz machen bekanntlich auch schon kleinere Mengen an Rauschmitteln trunken oder high. Die SPD gönnt sich gerade so einen kleinen Trip nach Jahren der Askese. Um zwei Prozentpunkte sind die Umfragen nach oben gegangen, und euphorisch posten Genossinnen und Genossen dieses Wunder der Wiederauferstehung quer durch die sozialen Netzwerke. Die kleine Hausse an der Börse der parteipolitischen Präferenzen wird als unmittelbarer Erfolg der Abkehr von der Agenda 2010 – insbesondere von dem parteiintern größtenteils verhassten Hartz IV – betrachtet. Und als Erfolg der Grundrenten-Attacke von Arbeitsminister Hubertus Heil auf den Koalitionspartner.  

Letzteres ist ein Vorgang, der in seiner politischen Dimension in der allgemeinen Wahrnehmung noch nicht hinreichend erfasst wurde. Vor vielen, vielen Jahren, in einem vorigen Jahrhundert hatten die damals noch großen Volksparteien eine Art Atomwaffensperrvertrag geschlossen. Dieser definierte die Rente als den Atomsprengkopf der politischen Auseinandersetzung, weshalb Union und SPD einander zusicherten, mit diesem Thema niemals Wahlkampf zu machen. 

Letzte Bataillone der Stammklientel

Das war die politische Kultur des 20. Jahrhunderts. Politik im 21. Jahrhundert geht anders. Die SPD hat in nackter Existenznot nun diesen Atomwaffensperrvertrag mit der Union aufgekündigt wie Donald Trump den INF-Vertrag mit Russland (mit dem Unterschied, dass Russland den INF-Vertrag vorher nachweislich gebrochen hatte, die Union den Rentensperrvertrag mit der SPD aber nicht). Und sogleich die schmutzige Bombe gezündet. Mitten in der Koalition.  

Die Kernwählerschaft der SPD reagiert wie die Hardcore-Wählerschaft von Donald Trump: Mit Begeisterung und messbar neuer Unterstützung, in der die SPD badet. Andrea Nahels und Olaf Scholz glauben so, einem Putsch auf breiter Front oder der Attacke des einsamen Reiters Sigmar Gabriel fürs Erste entkommen zu sein. 

Was sie übersehen: Der abrupte Linksschwenk der SPD sichert tatsächlich die letzten Bataillone ihrer Stammklientel. Er wird aber niemals für eine Mehrheitsfähigkeit reichen. Mit dieser Strategie hat sich die SPD also voll und ganz auf Oppositionskurs begeben. Denn selbst ein Dasein als Juniorpartner einer konservativer werdenden CDU wird vor diesem Hintergrund zeitlich begrenzt sein. Opposition oder Rot-Rot-Grün, das sind die Optionen dieser Nahles-Scholz-Heil-Giffey-SPD. Die im übrigen ohnehin längst ihren einstmals „rechten“ Flügel komplett verloren hat.

In nackter Existensnot

In dieser SPD gibt es keine Schilys mehr, keine Clements, keine Schröders und keine Scharpings. Hubertus Heil hat auch nur so lange mit diesen Leitwölfen geheult, wie dies karrieretechnisch opportun erschien. Heute redet er linkssozialistisch-klassenkämpferisch wie einst Conny Gilges und Ottmar Schreiner. „Die Seeheimer“, der ehemals konservative Flügel der SPD, können mit ihrem Anführer Johannes Kahrs einen Kollektiv-Aufnahme-Antrag bei der „PL“, der Parteilinken beantragen. 

Es ist reinstes Appeasement mit dem Ottmar-Schreiner-Flügel und deren Anhängerschaft, an der sich die Führungsriege der SPD da in nackter Existenznot versucht. Dabei wird sie möglicherweise erleben, dass es auch denjenigen hart treffen kann, der die Rente als Wahlkampfmittel freigegeben hat. Denn diese klassenkämpferischen Gerechtigkeitsversprechen, mit denen die SPD da gerade um sich wirft, werden gar nicht einzulösen sein. 

Ein Appeaser, das wusste schon Winston Churchill, ist jemand, der ein Krokodil füttert – in der Hoffnung, dann als Letzter gefressen zu werden. 

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