Grünen-Parteitag - Viel Pose, wenig Politik

Gegen die betörende Inszenierung vom Grünen-Parteitag in Bielefeld scheint kein Kraut und auch kein Kommentar in den Medien gewachsen. Dabei sind die Grünen von heute jene Leute, vor denen die Grünen von früher immer gewarnt haben

Ganz Gelb vor Grün: Annalena Baerbock / picture alliance
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Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Eines der prägendsten Erlebnisse meiner journalistischen Sozialisation geht zurück auf das Jahr 2007. Die junge Kanzlerin Angela Merkel hatte die Mächtigen der Welt in einen riesigen Strandkorb nach Heiligendamm geladen und einen Klimagipfel der G8 abgehalten –  damals auch noch traut dabei, der inzwischen vom Tisch gebannte Wladimir Putin. Es war ein großes Ereignis in einem traumhaften Hotelkomplex an der Ostsee, perfekt organisiert und inszeniert. Meine Kollegen von der Süddeutschen Zeitung und ich hatten eine Ferienwohnung genommen, einmal gab es von mir selbst gefangenen Hornhecht, der Anfang Juni immer vor der Küste steht.

Als Berliner Büroleiter der Süddeutschen Zeitung hatte ich das Privileg, den Leitartikel zu schreiben. Er ist euphorisch ausgefallen, und ich war ganz stolz darauf. Anderntags zurück im Büro in Berlin dann die Video-Schalte mit der Zentrale in München. Und statt meine güldenen Wort zu rühmen, eröffnete der große Chefredakteur Hans Werner Kilz die Runde ohne weitere Vorrede, „Na, Herr Schwennicke“, hob er mit seiner wunderbar sonoren Stimme an, „da haben Sie sich von den Merkel-Leuten ja sauber einseifen lassen.“

Was war ich empört und fühlte ich mich ungerecht behandelt! Heute weiß ich längst: Kilz hatte so recht. Und ich habe viel gelernt in dieser Lehrstunde eines großen Chefredakteurs.

Euphorische Zeilen und TV-Aufsager mit verzücktem Gesicht

Dieser Tage kam mir diese so schmerzhafte wie lehrreiche Episode wieder in den Sinn. Als nicht Anwesender, und damit dem Zauber des Happenings nicht Anheimgefallener, las ich die trunkenen Berichte und Kommentare vom Grünen-Parteitag, wie Hans Werner Kilz seinerzeit meinen Leitartikel aus Heiligendamm. Was für ein Feiern, was für eine empathische Freude verströmten all die euphorischen Zeilen, all die TV-Aufsager mit verzücktem Gesicht.

Offenbar geht es uns anderen, die wir nicht dabei waren, wie jenen, denen Goethe seinerzeit von der Kanonade von Valmy berichtete und von sich – im Unterscheid zu seinen Lesern sagen, er sei dabei gewesen an diesem Ort und Moment, von dem ein neues Zeitalter ausgeht. Es wird interessant sein zu beobachten, ob eine ähnliche publizistische Sympathiewelle demnächst vom AfD-Parteitag übers Land schwappt.

Die Grünen-Aktie wird nun höher gehandelt

Bevor der Parteitags-Zirkus nun weiterzieht und die CDU, die AfD und die SPD ihre Gastspiele haben in Leipzig, Braunschweig und Berlin, ein kurzer, distanzierter Blick zurück auf den Gig der Grünen in Bielefeld, ihre Bundesdelegiertenkonferenz, wie das früher einmal unnachahmlich sperrig hieß bei ihnen.

Zunächst das: Man darf mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Aktie Grüne an der Demoskopenbörse umgehend um einige Prozentpunkte höher gehandelt wird. Grund: siehe oben.

Es gibt natürlich einen realen Grund für diesen medialen Erfolg. Der Zauber der Grünen 2020 liegt in ihrer Leidenschaft. Nur wer von sich selbst begeistert ist ... Oskar Lafontaine, wir erinnern uns. Und die Grünen sind begeistert über sich selbst. Schon immer alles gewusst, vom Lauf der Klimageschichte recht bekommen und die einzig richtigen Antworten für die Zukunft. Wer hat einer solchen Legacy ernsthaft etwas entgegenzusetzen.

Perfekte Bilder vor dem Blätterwald

Krasse Widersprüche werden vertagt (wie beim Thema Homöopathie) Gegensätze (Industrie und Umwelt) für voll kompatibel erklärt. Verbote werden zu einem konstitutiven Teil der Freiheit, was ja auch gar nicht so falsch ist, wie schon der alte Kant in seinem kategorischen Imperativ feststellte. Dazu kommt ein Paar an der Spitze, gegen das sich Animateure in den teuersten Clubs dieser Welt wie Stümper ausnehmen.

Robert Habeck, den Kopf leicht zu Seite gelegt, die Augen zusammengekniffen, sich nachdenklich den Dreitagebart reibend – Auguste Rodin würde seinen Penseur heute am Bilde Habecks formen. Dazu Annalena Baerbock, in hochhackigen Beinahe-Overknee-Stiefeln, jedes Kleidungsstück nach Wirksamkeit handverlesen, noch sorgsamer ausgesucht als ihre Worte. Was passte dieses Gelb des Oberteils ästhetisch zum grünen Blätterwald hinter dem Podium. Ihr ansteckendes Lachen, das sie anknipsen kann wie sonst nur Gerhard Schröder und Barack Obama. Perfekte Bilder.

Die neue Hybris

Diese Entwicklung der Grünen zur neuen Poser-Partei geht einher mit einer Abkehr von den Belangen, für die sie einmal gegründet wurden. Die Grünen, zur Erinnerung, gehen zurück auf den Bürgerprotest gegen ein Atomkraftwerk im badischen Wyhl. Eine Bürgerbewegung, die sich vom Bauern auf dem Traktor bis zum Uni-Professor aus Freiburg speiste. Sie alle haben sich gegen die zusammengetan, die es damals angeblich oder tatsächlich besser wussten und die bedingungslos die Kernkraft pushten.

Heute verhalten sich die Grünen als glühende Windkraftanhänger wie die Kernkraftpusher von damals, und die Bürgeriniatitiven, aus denen sie geboren sind, interessieren sie nicht die Bohne. Auch nicht jene gegen die Windindustrieanlagen, liebevoll „Parks“ genannt, vor denen die Anwohner inzwischen fliehen und ihre Häuser dort mit Verlust verkaufen. Die Grünen von heute, das sind im Vorgehen die Leute, vor denen die Grünen von gestern immer gewarnt haben. Mit Graswurzel hat das alles nichts mehr zu tun. Mit Hybris sehr wohl.

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