Zum Zustand der Groko - Eine Koalition wie ein Komposthaufen

Gerade zur Sommerpause sind die Vorgänge in der Großen Koalition vergleichbar mit jenen eines Komposthaufens. Ob in Berlin oder in Brüssel, überall sind die Zerfallsprozesse zu beobachten. Schlimm daran ist vor allem die quälend behäbige Gärungszutat namens SPD. Zeit für schnellere Zersetzung

Zersetzung führt zu feinem Humus. Aber wie schnell? / picture alliance
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Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Das politische Deutschland im Sommer 2019: Eine zitternde Bundeskanzlerin, die Anlass zur Sorge gibt, aber wenig Auskunft über ihre gesundheitliche Lage, ein kopf- und führungsloser Koalitionspartner, bei dem sich gerade Vorsitzenden-Kandidatenpärchen finden wie früher in der Tanzstunde. Ein Koalitionspartner, der zudem bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine Schwalbe hinlegt, sich also theatralisch fallen lässt und dabei „Foul!“  ruft. Hinzu kommt eine amtierende Verteidigungsministerin, die von ihrer bisherigen SPD-Kabinettskollegin Katharina Barley im europäischen Parlament für unwählbar erklärt worden ist.

Ursula von der Leyen ist von ihrem Naturell her nicht diejenige, der Herzen einfach so zufliegen. Aber den Grill, auf den sie die SPD gerade legt, hat sie wirklich nicht verdient. Gerechtigkeit für von der Leyen: Sie hat sich nicht wie seinerzeit beim Bundespräsidentenamt in den Vordergrund gedrängelt, sondern ist als „Dea ex machina" in letzter Not auf den Plan gerufen worden, als alle Versuche zu scheitern schienen, noch einen Kandidaten oder eine Kandidatin für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten zu finden. Innerhalb von 48 Stunden traf sie dann in Brüssel ein, redete in drei Zungen allen nach dem Munde, versuchte, die auseinanderstrebenden Kräfte und Mächte einer bröselnden Union zusammenzuhalten. Es ist ein Schmierentheater sondergleichen, jetzt von ihr aus dem Stand eine Art Masterplan für Europa zu erwarten, den im übrigen vor ihr auch keiner hatte, um ihr dann eventuell, gegebenenfalls, möglicherweise am kommenden Dienstag gnädigerweise doch die Stimme zu geben.

Kaum mehr zu unterdrückender Fluchtreflex

Diese dritte Große Koalition unter einer innenpolitisch geschwächten und in Europa weitgehend isolierten Angela Merkel ist in einem Zustand, den man in seiner ganzen Zerklüftung nur deshalb irgendwie hinnimmt, weil der Verfallsprozess schleichend ist und man sich bekanntlich an allem gewöhnt, nicht nur an einen falschen Dativ, sondern auch an eine schlechte Regierung.

Die SPD kann ihren Fluchtreflex aus diesem Bündnis, das sich für sie als letal erweist, kaum noch unterdrücken. Daran ist im Prinzip nichts auszusetzen, wenn sie denn einfach klipp und klar sagen würde, dass hier und jetzt Schluss ist. Stattdessen nölt sie erst, weil ihr Ursula von der Leyen als Kandidatin angeblich ohne Absprache aufgezwungen wurde. Dann mosert sie an der Eignung dieser Kandidatin herum und erklärt den ganzen Prozess der Findung eines Kompromisses (nach dem Scheitern von Manfred Weber und Frans Timmermans) zu einer Zumutung.

Die Annäherung der SPD an einen Clown

Die eigentliche Zumutung ist das Gebaren der SPD. Wenn ihre kommissarische Führung tatsächlich glaubt, mit dieser Performance als Opposition in der Regierung wieder Boden unter die Füße zu bekommen, dann täuscht sie sich zu ihrem weiteren Schaden innenpolitisch gewaltig. Europapolitisch ist das Verhalten noch verantwortungsloser, weil die Europäische Union so fragil geworden ist, dass die Benennung einer neuen Führung der Kommission nicht für innenpolitische Spielchen genutzt werden sollte. Die SPD bricht dieses Tabu und verhält nicht viel anders als der Clown Martin Sonneborn, der sich seit jeher einen Spaß aus diesem Europa macht.

Wer jemals einen Komposthaufen in seinem Garten umgestochen hat, der wird dieses Wunder kennen, wie nach Jahren des Zerfalls aus allerlei teilweise unappetitlichen Resten aus Garten und Haushalt ganz unten am Ende feinster Humus herauskommt. Manchmal muss man mit Kompostbeschleuniger ein bisschen nachhelfen, damit der Zerfallsprotzes auf dem Weg zum neuen guten Boden schneller und rückstandsfreier vonstatten geht. Solchen Kompostbeschleuniger möchte  man dieser Tage am lieben in den politischen Komposthaufen Koalition streuen, um diesen gärenden Zerfallsprozess hin zu etwas ganz Neuem endlich zu Ende zu bringen.

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