Gottschalks TV-Comeback - Wetten, dass Friedrich Merz bald die CDU führen wird?

Traumquoten für Thomas Gottschalks „Wetten, dass …?“-Wiederauferstehung zeigen: Die Sehnsucht nach altbundesrepublikanischer Unbeschwertheit ist groß. Ein Hang zur Nostalgie, dem sich auch die Politik nicht verschließen kann.

„Mein Unterhaltungsmantra ‚Es geht doch um nix‘ hat ausgedient“: Thomas Gottschalk am Samstagabend auf der großen Bühne des ZDF / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

So erreichen Sie Daniel Gräber:

Anzeige

Keine Fernsehshow steht so für die Bundesrepublik der 1980er- und 1990er-Jahre wie „Wetten, dass …?“ die große Samstagabendrevue mit dem dauerjugendlichen Gastgeber Thomas Gottschalk, der belanglose Plaudereien mit kleineren Frechheiten würzt, sich bei politischen Fragen aber vornehm zurückhält, weil er vor alles eines will: sein Publikum unterhalten. Anders als ihm nachwachsende Bildschirmkollegen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk viel zu häufig als Belehrungs- und Erziehungsanstalt verstehen.

Einen kleinen Wink in Richtung dieser Kollegen gab Gottschalk gleich am Anfang seines bemerkenswerten Comebacks am Samstagabend. Das ZDF, unter dessen Mitarbeitern sich einige Sendungsbewusste als Speerspitze des geschlechtergerechten Sprechens verstehen, feierte das 40. Jubiläum der eigentlich 2014 abgesetzten Wettsendung mit einer Wiederauferstehung. Ob er denn gendern würde, witzelte Gottschalk zur Begrüßung: „Natürlich. Wetten die, wetten der, wetten dass.“

Bastion einer längst vergangenen Zeit

„Er braucht keine zwei Minuten, um sich über die Moderne lustig zu machen“, empörte sich ein Fernsehkritiker der Frankfurter Rundschau. „Gottschalk, da lässt er keine Zweifel aufkommen, sieht sich als Bastion einer längst vergangenen Zeit.“ 

Ja, das stimmt wohl. Thomas Gottschalk ist eine Bastion. Ein Bollwerk jenes Deutschlands, das sich viele zurückwünschen und manche schon fast vergessen haben. Ein Land, das mit sich selbst einigermaßen im Reinen ist und unbeschwert in die Zukunft blickt. Das sich samstagabends auf Gottschalks Fernsehcouch und Millionen von Wohnzimmersofas versammelt. In dem ein Auftritt David Hasselhoffs ausreicht, um am nächsten Montag auf etlichen Schulhöfen der Republik „I've been looking for freedom“ aus Kinderkehlen schallen zu lassen. 

Es sind längst vergangene Zeiten. Doch der Erfolg der als einmaliges Ereignis gedachten „Wetten, dass …?“-Wiederauferstehung – Einschaltquote und öffentliche Resonanz waren sensationell – bringt das ZDF dazu, über eine Fortsetzung nachzudenken. Und es zeigt, wie groß die Sehnsucht der Deutschen nach diesen Zeiten ist. Nach Jahren, in denen eine Krise die nächste jagte, und in einer rastlosen Gegenwart, in der ständig von Umbau und Aufbruch die Rede ist, aber niemand genau sagen kann, wohin dieser führen soll, ist Gottschalks heile Fernsehwelt ein Trostpflaster für die Seele.

Nostalgie hilft

Nostalgie wird häufig als etwas Unnützes oder Hinderliches abgetan, als Gefühlsduselei der Ewiggestrigen. Allerdings stellte der Soziologe Fred Davis in seinem Buch „Yearning for Yesterday: A Sociology of Nostalgia“ diese Auffassung bereits in den 1970er-Jahren in Frage. Er entdeckte als Erster die positiven Seiten der Nostalgie, schreibt das Wissenschaftsmagazin Spektrum. „Er bemerkte, dass Kindheitserinnerungen häufig Empfindungen wie Geborgenheit auslösen. Daher hielt er die sentimentale Rückschau für ein wichtiges Werkzeug, um eine eigene Identität schaffen und festigen zu können. Damals stieß seine Annahme auf Kritik; doch zahlreiche Experimente der vergangenen 15 Jahre legen nahe, dass er recht hatte – und dass die positiven Effekte weit über ein kurzfristiges gutes Gefühl hinausgehen.“

Thomas Gottschalk ist 71 Jahre alt, wirkt aber keinesfalls so, als würde er sich bald zur Ruhe setzen wollen. Es spricht also nichts gegen seine regelmäßige Rückkehr auf die „Wetten, dass …?“-Bühne. Mittels sentimentaler Rückschau einem von Zweifeln und Zukunftssorgen geplagtem Land zur mehr Selbstsicherheit zu verhelfen, ist keine schlechte Aufgabe für einen Showmaster.

Friedrich Merz ist der Gottschalk der Politik

Auf politischer Ebene wird der Gottschalk-Effekt bald auch zu spüren sein. Denn in der CDU bahnt sich ein Comeback an, das an das des blond gelockten Fernsehstars erinnert: Friedrich Merz wird am 11. November 66 Jahre alt und schickt sich an, einen dritten Anlauf auf den Parteivorsitz zu nehmen. Unter Politikjournalisten und anderen professionellen Ratgebern gilt der 2002 von Angela Merkel abgesägte CDU-Politiker als Vertreter einer längst vergangenen Zeit. Doch an der Parteibasis sehen ihn viele als Mann der Zukunft. Nicht nur die älteren sondern auch die jungen CDU-Anhänger sehnen sich nach einer Führungsfigur, die konservativere Töne trifft und den politischen Gegner herausfordert statt umarmt.

Was beim ZDF die Einschaltquote ist, wird bei der CDU die Mitgliederbefragung sein. Wenn sich eine deutliche Mehrheit für Merz als neuen Parteichef ausspricht, werden die entscheidenden Funktionäre kaum darum herumkommen, ihn zu küren. Wahrscheinlich tritt er dann zusätzlich zum Parteivorsitz genau den Posten an, den er vor bald einem Jahrzehnt nach einem verlorenen Machtkampf mit Merkel aufgeben musste: Fraktionschef und Oppositionsführer im Bundestag.

Friedrich Merz wäre dann der Thomas Gottschalk des Deutschen Bundestags und die späte Genugtuung für all jene, die Angela Merkels Kanzlerschaft als historischen Irrweg sehen. So wie sich das ZDF eingestehen muss, dass seine (gender-)aktivistischen Nachwuchsstars nur eine ganz bestimme Nische bedienen und das Publikum spalten statt vor den Bildschirmen zu versammeln, wird die CDU nicht umhin kommen, die Fehlentscheidungen der Ära Merkel zu benennen und zu korrigieren. Niemand könnte das derzeit besser und glaubwürdiger als Merz. Wer den Aufbruch wagen will, braucht dazu manchmal einen Mann von gestern.

„Ich vermisse diesen Freiraum“

Und Gottschalk? Der hat sich parallel zu seinem TV-Comeback mit einem Gastbeitrag im aktuellen Spiegel zu Wort gemeldet. Darin wird klar: Sein Genderwitzchen zum Auftakt der Live-Sendung war kein beiläufiger Ausrutscher, sondern ein bewusst gesetzter Akzent. „Man konnte mal streiten, ohne sich zu beschimpfen. Das scheint mir verloren gegangen zu sein“, klagt er darin. „Jetzt, wo ich endlich anfange, mich zu trauen, auch mal den Mund aufzumachen, wenn es um Substanzielles geht, merke ich, wie schwer mir das fällt.“

Und weiter: „Mein Unterhaltungsmantra ‚Es geht doch um nix‘ hat ausgedient. Es geht mittlerweile immer um alles. Die Guten gegen die Bösen. Woke oder tot. Die Aufgewachten gegen die Entschlafenen. Dazwischen gibt es nichts. Ich vermisse diesen Freiraum.“

Anzeige