Giorgia Meloni - Zwischen Freiheit und Faschismus

Am Sonntag wählt Italien ein neues Parlament. Folgt man den Prognosen, könnte Giorgia Meloni von den rechten Fratelli d’Italia erste Regierungschefin des Landes werden. Es wäre bereits das zweite Mal, dass die 45-Jährige Politikgeschichte schreibt.

Giorgia Meloni könnte im September zur ersten Regierungschefin Italiens gewählt werden / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Es kommt eher selten vor, dass sich amerikanische Fernsehsender für europäische Politiker interessieren. Bei Giorgia Meloni ist das anders. Die 45-Jährige gab Anfang August dem US-Sender Fox Business ein Interview, obwohl sie in Italien derzeit eigentlich nur Spitzenkandidatin der Fratelli d’Italia (FdI) ist. Doch nachdem Mario Draghi infolge einer Regierungskrise als Premierminister zurückgetreten ist, wird am 25. September ein neues Parlament gewählt – und Melonis Chancen stehen sehr gut, dass sie die erste Frau an der Spitze Italiens werden könnte. 

Es wäre eine Ehre für sie, so die FdI-Chefin im Interview, dieser „großartigen Nation“ vorzustehen. Obwohl das auch eine „Bürde“ sei, da sich das Land angesichts des Ukrainekriegs, der Inflation, der Energiekrise und weiterer Probleme in einer schwierigen Lage befinde. Sollte sie Premierministerin werden, so Meloni weiter, wolle sie die italienische Wirtschaft ankurbeln und Steuern senken. Außerdem, versprach Meloni, würde sich der Staat unter ihrer Führung wieder stärker aus dem Leben der Italiener zurückziehen. Ihr gehe es um Freiheit: „Die Freiheit zu wählen, die Freiheit zu sagen, was man denkt, die Freiheit, ein Unternehmen zu gründen.“ 

Ein Mitte-Rechts-Bündnis

Außenstehende hätten nach diesem Interview zu dem Schluss kommen können, dass es sich bei der Fratelli d’Italia um eine marktliberale Partei handelt. Das ist nicht ganz falsch. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die FdI weit rechts zu verorten sind, und FdI-Chefin Meloni den Ruf hat, noch radikaler zu sein als Matteo Salvini von der Lega. Meloni schimpft gerne über „die Bürokraten aus Brüssel“ und spricht von einer „Masseninvasion von Migranten“. Ihrer Partei wird vorgeworfen, ein nationalistischer, homophober und rassistischer Haufen zu sein – und dass es dort Sympathien für Benito Mussolini geben soll. Das häufigste Adjektiv, das über die FdI kursiert, fällt daher wenig schmeichelhaft aus: „postfaschistisch“. Meloni wiederum nennt die FdI eine „Bastion der Freiheit“ – und macht ein „linkes Medienkartell“ für derlei Zuschreibungen verantwortlich. 

Die FdI könnten, das sagen die Demoskopen, Ende September um die 25 Prozent der Wählerstimmen holen – womit der Weg frei wäre für ein Regierungsbündnis aus FdI als stärkster Kraft, Salvinis Lega und der von Silvio Berlusconi geführten Forza Italia; für ein Mitte-rechts-Bündnis also. In der Folge würde Meloni dann Regierungschefin. Das italienische Parteiensystem ist stark fragmentiert, und Bündnisse sind bereits vor der Wahl sinnvoll, da ein Großteil der Parlamentssitze über das Mehrheitswahlrecht vergeben wird. In der Folge tritt in einem Wahlkreis häufig nur ein Kandidat pro Bündnis an. 

Wohin Italiens Reise mit diesem Mitte-­rechts-Bündnis gehen könnte, lässt sich dem Grundsatzprogramm „Für Italien“ entnehmen, das die Parteien gemeinsam verfasst haben und das auch von Meloni unterschrieben wurde. Darin findet sich ein Bekenntnis zu Europa, zur atlantischen Allianz und dem Westen, außerdem zur Unterstützung der Ukraine. Die Parteien wollen eine nachhaltige Energiewende vorantreiben und dafür auch auf Atomenergie setzen. Steuersenkungen sind für Unternehmen, Selbstständige und Familien geplant. Um illegale Migration zu bekämpfen, sollen derweil „Anlandungen“ blockiert und mithilfe der nordafrikanischen Behörden der Menschenhandel gestoppt werden. Auch von der EU verwaltete Hot­spots außerhalb Europas werden gefordert. 

Sorgen im Rest Europas

Sollte Meloni Italiens neue Regierungschefin werden, würde die Römerin das zweite Mal Politikgeschichte schreiben. Im Jahr 2008 wurde sie unter Berlusconis Parteienbündnis Popolo della Libertà mit 31 Jahren zur Ministerin für Jugend und Sport ernannt – und damit zur jüngsten Ressortchefin in der Geschichte der Republik. Im Jahr 2012 gründete Meloni aus Unzufriedenheit mit Berlusconis Führungsstil und gemeinsam mit Mitstreitern die Fratelli d’Italia, deren Chefin sie seit 2014 ist. Seit zwei Jahren ist sie zudem an der Spitze der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer in Brüssel. 

Während Meloni also am nächsten Kapitel ihrer politischen Karriere feilt, sorgt sich das nahe Ausland vor allem um die möglichen Folgen für die Europäische Union. Etwa dergestalt, dass es zu einem Austritt Italiens aus dem Euroraum kommen könnte. Die FdI-Chefin winkt ab: „Ich lese, dass ein Sieg der Fratelli d’Italia bei den Wahlen im September ein Desaster wäre, zu einer autoritären Wende, dem Austritt Italiens aus dem Euro und anderem Unsinn dieser Art führen würde“, sagte sie jüngst in einer Rede. Nichts davon sei wahr. Eine Rede übrigens, die Meloni auf Italienisch, Englisch und Französisch hielt. Noch ist ihr das Amt der Regierungschefin nicht sicher, aber die FdI-Chefin scheint sich für den Fall der Fälle bereits warmzulaufen.

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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