Friedrich Merz soll neuer CDU-Chef werden - Ein sehr steiniger Weg

Die Basis hat klar entschieden: Friedrich Merz soll neuer Vorsitzender der CDU werden. Er übernimmt dann die Führung einer zutiefst verunsicherten Partei. Und es dürfte alles andere als einfach für den 66-Jährigen werden, die Christdemokraten aus ihrer existentiellen Krise zu führen. Denn es gibt sehr viele Bruchstellen.

Der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bei der Bekanntgabe des Ergebnisses der Mitgliederbefragung / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Jetzt also doch Friedrich Merz. Drei Anläufe hat er gebraucht, und das heute bekanntgegebene Ergebnis der Parteimitgliederbefragung lässt wenig Zweifel daran aufkommen: Die Basis der CDU wünscht sich Merz als Parteivorsitzenden. Mit 62,1 Prozent der abgegebenen Stimmen lag der „Kandidat der Herzen“ weit vor dem Zweitplatzierten Norbert Röttgen (25,8 Prozent) und sehr weit vor dem Dritten im Rennen, Ex-Kanzleramtsminister Helge Braun, der auf 12,1 Prozent kam. Angesichts einer Beteiligung von 64 Prozent der insgesamt 400.000 stimmberechtigten Christdemokraten kann Merz also einen klaren Führungsauftrag für sich in Anspruch nehmen. Beim Parteitag Ende Januar und bei der darauffolgenden Stimmabgabe per Brief wird das heutige Ergebnis zweifelsfrei bestätigt werden.

Friedrich Merz – und darin besteht seit heute dessen Autoritätsquelle – ist der neue Wunschvorsitzende der CDU in ihrer Breite. Das Mitgliedervotum war praktisch unausweichlich geworden, nachdem die Parteigremien den glücklosen Armin Laschet als Kanzlerkandidaten durchgesetzt hatten, der jetzt den Vorsitz an seinen einstigen Rivalen beim erst ein Jahr zurückliegenden Kampf um die Parteiführung für sich entscheiden konnte. Mit starkem Rückhalt muss Merz nun die Aufgabe stemmen, für die er sich seit dem im Oktober 2018 angekündigten Rückzug Angela Merkels von der CDU-Spitze in Stellung gebracht hatte: der deutschen Christdemokratie zu einem neuen Profil zu verhelfen, ihre Konturen zu schärfen und sie von dem Ruf zu befreien, eine dem linksgrünen Zeitgeist verpflichtete Veranstaltung geworden zu sein. Womit der pathetischen Worte an dieser Stelle auch genug sein sollten.

Weder Dämon noch Lichtgestalt

Denn natürlich ist vieles, was mit Blick auf Friedrich Merz geschrieben und gesagt wird, klischeehaft. Im Guten wie im Schlechten. Weder ist sein heutiger Erfolg ein schierer Ausdruck der totalen Ablehnung von Angela Merkels Politik der vergangenen 16 Jahre durch die Basis. Noch ist der Sauerländer jene Lichtgestalt, die die CDU umstandslos zu neuen Ufern (und vor allem zu besseren Wahlergebnissen) wird führen können. Der vor den Christdemokraten liegende Weg ist steinig und hart, und es ist alles andere als wahrscheinlich, dass sie je zu alter Stärke werden zurückfinden können. Und zwar völlig unabhängig davon, wer den Vorsitz innehat. Insofern ist es Merz genauso hoch anzurechnen wie Helge Braun und Norbert Röttgen, dass sie sich überhaupt dazu bereiterklärt haben, für dieses Amt zu kandidieren. Denn die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns ist groß. Zumindest gemessen an den Erwartungen der 400.000 Mitglieder.

Friedrich Merz wird die Führung der CDU zum Zeitpunkt ihrer tiefsten Krise übernehmen. Inhaltlich ist die Partei nach mehr als anderthalb Jahrzehnten des pragmatisch-opportunistischen Durchregierens ausgelaugt, ihre einstige Strahlkraft als „letzte Volkspartei Europas“ ist spätestens mit der zurückliegenden Bundestagswahl verloren gegangen. Und schon warten auf Merz mit den bevorstehenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und im Saarland die ersten Bewährungsproben, an denen auch und gerade der neue Parteivorsitzende sich wird messen lassen müssen. Die Aussichten für die CDU sind, zumindest derzeit, in keinem der drei Bundesländer besonders rosig – zumal überall der Regierungsauftrag verteidigt werden muss, es also eigentlich nichts zu „gewinnen“ gibt.

Merz, der soeben erst nach langen Jahren der politischen Abstinenz (die zurückliegenden Kandidaturen nicht mitgezählt) wieder in den Bundestag zurückgekehrt ist, muss zunächst einmal dafür sorgen, dass seine Partei (zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung) zu alter Geschlossenheit zurückfindet. Schon das ist eine kaum zu bewältigende Aufgabe angesichts der Tatsache, dass es sich bei ihm um das Paradebeispiel des Anti-Merkelianers handelt. Selbst wenn er die Ex-Kanzlerin jetzt in ein noch so mildes Licht rücken mag, so ist doch den eingefleischten Angie-Anhängern klar, dass ihre Zeit jetzt endgültig zu Ende sein soll. Und der Sauerländer ist zwar unbestritten ein mitreißender Redner, aber um seine Fähigkeiten als Moderator ist es weniger gut bestellt. Fakt ist: Er hat innerparteilich viele explizite Gegner, besonders auch in der Funktionärsebene. Ohne die geht es aber eben nicht.

Übernimmt er den Fraktionsvorsitz?

Natürlich wird sich als erstes die Frage stellen, ob Merz auch den Vorsitz der Bundestagsfraktion anstrebt. Er selbst hat das bisher offen gelassen, aber es wäre schon verwunderlich, wenn ein Mann mit derart großem Ehrgeiz und Gestaltungswillen darauf verzichten sollte, im deutschen Parlament als Oppositionsführer aufzutreten. Da dürften demnächst also noch ein paar mittelschwere Rangeleien folgen, die nicht unbedingt dazu angetan sind, das öffentliche Ansehen der CDU zu mehren. Zumal der amtierende Fraktionschef Ralph Brinkhaus soeben erst eine kämpferische Replik auf die Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz zum Besten gegeben und damit seinen Führungsanspruch untermauert hat.

Eine echte Großbaustelle ist zudem das gestörte Verhältnis der CDU zu ihrer Unionsschwester. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat im zurückliegenden Wahlkampf sehr unmissverständlich klar gemacht, dass er die CDU und insbesondere deren Gremien für eine Gurkentruppe hält. Und es ist auch kein Geheimnis, dass Söder seinen künftigen Parteiamtskollegen von der CDU eher als politisches Leichtgewicht mit Hang zum Choleriker sieht. Merz seinerseits wird Söder aber wieder in die bayerischen Schranken weisen und ihm klarmachen müssen, dass seine Sticheleien jetzt ein Ende haben. Ob die beiden Unionsvorsitzenden am Ende gemeinsam ein schlagkräftiges Duo bilden werden, bleibt abzuwarten. Ein Selbstläufer ist das alles jedenfalls nicht.

Als mindestens problematisch könnte sich erweisen, dass Friedrich Merz schlicht und ergreifend kein Sozialpolitiker ist. Dafür wurde er zwar von der Basis auch nicht gewählt, aber der zurückliegende Urnengang vom 26. September hat gezeigt, dass die Union eben auch deswegen so viele Stimmen verloren hat, weil sich die „kleinen Leute“ nicht mehr von ihr angesprochen gefühlt haben. Der Arbeitnehmerflügel der Union beklagt dies schon lange – und Merz wird sein Blackrock-Image nicht einfach nur deshalb loswerden, weil er jetzt einen auf „mitfühlenden Konservativen“ macht. Konservativ ja, liberal auch – aber sein linkes Standbein ist einfach nicht trainiert genug, um auch für die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) eine sichere Partie spielen zu können.

Das Altersproblem

Das allergrößte Dilemma besteht jedoch in Merzens fortgeschrittenem Lebensalter. Für seine 66 Jahre wirkt der Mann zwar außerordentlich fit und dynamisch, aber ob die Union mit einem dann knapp siebzigjährigen Kanzlerkandidaten ins nächste Rennen gehen will, ist eher unwahrscheinlich. Dass weiß natürlich auch Friedrich Merz, der für sich selbst offenbar die Option sieht, lediglich als Interims-Parteivorsitzender zu fungieren. Andere in der CDU tun das ohnehin. Doch in diesem Fall müssten die Christdemokraten eigentlich in spätestens zwei Jahren schon wieder eine neue Führungsfigur suchen. Was nach den zermürbenden Diadochenkämpfen in der Post-Merkel-Ära auch kein gutes Signal wäre.

Eines aber ist mit dem heutigen Ergebnis einigermaßen sicher: Die weihnachtlichen Feiertage können Deutschlands Christdemokraten als zumindest vorübergehende Verschnaufpause nutzen. Denn eine für weiteren Verschleiß sorgende Stichwahl bleibt der CDU mit diesem klaren Mitgliedervotum zugunsten von Friedrich Merz erspart. Immerhin.

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