Friedrich Merz - Der Konservatismus-Simulant

Friedrich Merz wird vor allem von den Konservativen in der CDU als Heilsbringer gefeiert. Doch mit konservativen Werten hat er nichts zu tun, abgesehen von den grauen Anzügen und seiner gespielten Zackigkeit. Mit ihm an der Spitze würde die CDU eine große Chance verspielen

Friedrich Merz: ungesunde Nähe zu den Feudalherren unserer Gegenwart / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Der Hype um Martin Schulz hielt immerhin zwei Monate: von Ende Januar bis Ende März des letzten Jahres, von seiner Nominierung als Kanzlerkandidat bis zur Saarlandwahl. Ob die Hysterie um Friedrich Merz ebenfalls so lange anhält, darf bezweifelt werden. Wenn der Schein nicht trügt, ist der Stern des Kandidaten Friedrich Merz schon wieder am Sinken. Verwundern kann das nicht. 

Denn Friedrich Merz ist ein Relikt vergangener Zeiten, ein Wiedergänger aus den neunziger und den nuller Jahren, der Zeit der Deregulierungen, der großen Privatisierungen, des Aktienhypes. In diesen Jahren veröffentlichte Friedrich Merz Bücher mit so zackigen Titeln wie „Mut zur Zukunft“ und „Nur wer sich ändert, wird bestehen.“ Einer allerdings hat sich in all den Jahren nicht verändert: Friedrich Merz.

Verkörperung des Dilemmas der Konservativen

So gesehen steht der Sauerländer emblematisch für das Dilemma des Konservativismus. Denn schon früh liebäugelten Konservative mit den Mächtigen des Wirtschaftslebens. Das hatte verschiedene Gründe. Zunächst soziale und ästhetische: Die Wirtschaftsführer der Industrialisierung bildeten die neue Eliten, den Ersatzadel, zu dem sich der Konservative schon äußerlich hingezogen fühlte. Vor allem aber schienen die Wirtschaftsführer und ihre Ideologen natürliche Verbündete im Weltanschauungskampf. Denn Konservative ebenso wie Wirtschaftsliberale waren und sind streng antisozialistisch. Und der Feind meines Feindes ist schließlich mein Freund.

Hätten die Konservativen doch nur in ihren Marx geschaut. Dort, im Kommunistischen Manifest, hätten sie lesen können: „Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. (…). Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt. (…) Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitige Beziehung mit nüchternen Augen anzusehen“.

Die Chance des Konservatismus

Kurz: Bei Karl Marx hätten die Konservativen lernen können, dass es kaum eine größere Mesalliance gibt als die Verbindung von Konservativismus und Kapital. Doch statt die Ursachen des Zerfalls all jener Dinge zu bekämpfen, die dem Konservativen heilig sind, arbeitete man sich daran ab, sich über Symptome zu echauffieren.

So geriet der Konservativismus in eine Dauerdefensive und liefert sich seit zweihundert Jahren quälende Rückzugsgefechte mit der Moderne. Das ist, je nach Standpunkt, tragisch oder lächerlich. Hinzu kam, dass dem Konservativen immer der Hautgout des Opportunisten und Thronlakaien umwehte, der vor den Mächtigen zu Kreuze kroch. Keine sehr attraktive Position.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts bietet sich dem Konservativismus jedoch eine einmalige Chance. Denn der Konservativismus ist in die gesellschaftliche Opposition geraten. Von hier aus, befreit von dem unschönen Verdacht, überkommene Herrschaftsstrukturen zu rechtfertigen, böte sich ihm nun die Chance, einen Gegenentwurf zu dem sozialen, kulturellen und ökologischen Zerstörungswerk der Spätmoderne zu präsentieren. 

Ungesunde Nähe zum Kapital

Doch genau das passiert nicht. Stattdessen berauschen sich Teile der Union an einem Kandidaten, der in alter schlechter Manier eine ungesunde Nähe zu den Feudalherren unserer Gegenwart unterhält und jubeln ihm zum konservativen Hoffnungsträger hoch. Dabei ist an Friedrich Merz rein gar nichts konservativ, wenn man von den grauen Anzügen und seiner gespielten Zackigkeit absieht. Konservativismus ist etwas anderes als Wirtschaftsliberalismus garniert mit Familienwerten. Das sollte man schon daran erkennen, dass es Unternehmen wie Blackrock sind, die der Institution Familie mehr schaden, als eine Regierung mit ein paar Kindergartenplätzen wieder gut machen kann.

Wer Aufsichtsratschef eines Unternehmens ist, das, um mit Marx zu sprechen, „alles Heilige entweiht“, der ist nicht liberal und schon gar nicht konservativ, sondern allenfalls eine Konservativismus-Simulant. Ein Friedrich Merz an der Spitze der CDU oder gar im Kanzleramt, das könnte für viele Konservative in der Union noch ein böses Erwachen geben.

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