Freiheit und Verbote - Unterm Joch der Zwangsbeglücker

Wer die Freiheit liebt, hat zunehmend schwer. Denn von allen Seiten wird uns die Verpflichtung zu einem angeblich vernünftigen Lebensstil aufgedrückt. Diese Einstellung ist Symptom einer alternden Gesellschaft und hat gravierende Folgen

Kräftige Bisse in den Schokoladenweihnachtsmann sind für Verbotsfetischisten kein gesundes Fressen / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Vergangenes Jahr traf es die Strohhalme und das Einweggeschirr. Dann folgten innerstädtische Fahrverbote für Dieselfahrzeuge. Auch der Zucker in Fertigprodukten geriet ins Visier staatlicher Fürsorgewut. Die Deutsche Umwelthilfe würde gerne ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen durchsetzen. Und wenn die Schlagzeilen und Kommentare der vergangenen Woche nicht trügen, wird das Silvesterfeuerwerk bald das nächste Opfer aller Verbotsfetischisten und Zwangsbeglücker.

Triumph des Neopaternalismus

Während der traditionelle Paternalismus auch lange nach seinem Ableben noch mit allem Mitteln bekämpft wird, triumphiert seit Jahren eine Art Neopaternalismus, der mit steigender Regelungswut in die Privatsphäre des Bürgers eingreift. Denn der Mensch ist faul und träge und hat ungute Angewohnheiten. Also gilt es, sein Konsumverhalten zu reglementieren und zu steuern.

Denn der Mensch in seiner Ignoranz schadet nicht nur sich selbst, sondern auch noch anderen. Beides ist zu unterbinden. Denn, so die nur selten offen ausgesprochene Prämisse, wir haben die Verpflichtung zu einem gesunden und vernünftigen Lebensstil. Wer das nicht einsieht, dem muss man auf Sprünge helfen. Zwei Päckchen Rothhändle am Tag, fetthaltige Nahrung oder zu viel Zucker, das alles geht gar nicht. Aus genau diesem Grund steht auch der Alkohol zunehmend auf der Liste der regelungsverliebten Gesellschaftsingenieure. Wäre doch gelacht, wenn mit Bier, Schnaps und Wein nicht das gelingen sollte, was mit dem Tabak schon so trefflich funktioniert hat.

Symptom einer alternden Gesellschaft

Es ist nur auf den ersten Blick paradox: Alternden Gesellschaften entwickeln offensichtlich die normative Vorstellung, noch älter werden zu müssen. Denn Unbekümmertheit ist ein Privileg der Jugend. Alternde Menschen jedoch, da können sie solange Base-Caps und Skinny-Jeans tragen wie sie wollen, werden ängstlich und verzagt. Es ist diese Mischung aus Kleinmut und Rechthaberei, die sich als Vernunft geriert und der Gesellschaft als Ideal oktroyiert wird.

Das entscheidende Problem liegt in der Freiheitsauffassung und dem Demokratieverständnis, das diesem neuen Paternalismus zugrunde liegt. Denn Zwangsbeglückungsphantasien sind nur dann demokratietheoretisch legitimierbar, wenn sie von dem konkreten Individuum, also dem faktischen Einzelnen und seinen tatsächlichen Interessen absehen und stattdessen auf ein abstraktes Individuum und dessen allgemeinen Interessen zielen. Doch die Wünsche, Vorlieben und Interessen von Menschen aus Fleisch und Blut unterscheiden sich eben erheblich von den imaginierten Zielen und Präferenzen intellektueller Pappkameraden. Abstrakte Individuen aus dem Ethiklabor sollten vielleicht Fahrradhelme tragen, sich zuckerfrei ernähren und auf Feuerwerk verzichten. Konkrete Individuen wollen aber genau das unter Umständen nicht. Am allerwenigsten wollen sie es sich vorschreiben lassen.

Der Sozialstaat überwuchert den Rechtsstaat

Freiheit die ihren Namen verdient, man muss hin und wieder daran zu erinnern, ist die Freiheit, unvernünftig zu sein. Wer Freiheit auf die Wahl zwischen angeblich vernünftigen Alternativen reduzieren will, hat von Freiheit nichts verstanden. Und gefühlt hat er sie ohnehin niemals.

Staatspraktisch hat diese Freiheitsverachtung gravierende Folgen: Der Sozialstaat beginnt den Rechtsstaat zu überwuchern. Die Fürsorge wird wichtiger als die Freiheitsrechte. Applaus bekommt diese Deformation des Politischen nicht zufällig von all jenen, die ihren Lebensunterhalt ohnehin staatsalimentiert führen: insbesondere unseren beamteten Ethikern, Moraldenkern und Gesellschaftstheoretikern.

Soziologisch und mentalitätsgeschichtlich kommt hinzu, dass der Neopaternalismus eigentlich kein Paternalismus ist, sondern ein Maternalismus. Setzt der alte Paternalismus auf die Durchsetzung klassischer Sekundärtugenden – Fleiß, Gehorsam, Disziplin –, so sind den neuen Regelungsideologen solche Sekundärtugenden vollkommen gleichgültig. Umso mehr pochen sie auf die Durchsetzung konkreter Lebensweisen. Bildlich überspitzt: War es den alten Paternalisten egal, was man aß, solang man sich an die Tischmanieren hielt, so sind den neuen Maternalisten die Tischmanieren vollkommen schnuppe, aber wehe das Essen ist nicht vegetarisch oder zumindest biologisch.

Freiheit ist ein Wert an sich

Aus Sicht unser sanften Maternalisten müsste die chinesische Idee eines Sozialpunktesystems eigentlich eine visionäre Lösung sein: Denn was spricht schon gegen soziales, verantwortungsvolles und dem Allgemeinwohl dienendes Verhalten? Und was spricht dagegen, den nötigen sozialen Druck auszuüben, um es durchzusetzen? Die einfache Antwortet lautet: Nichts spricht dagegen, wenn man nicht erkennt, dass Freiheit ein Wert an sich ist. Also, wehret den Anfängen.

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