Steinmeiers gescheiterte Kiew-Reise - Aus guten Gründen unerwünscht

Frank-Walter Steinmeier wollte zu einem Solidaritäts-Besuch in die Ukraine reisen - und wurde von Präsident Wolodymyr Selenskyj brüsk abgewiesen: ein wohl geplanter diplomatischer Affront. Die Rechtfertigungsversuche des düpierten Bundespräsidenten mit Blick auf seine Russland-Politik laufen derweil ins Leere. Ist er am Ende nicht nur in Kiew, sondern auch in Schloss Bellevue fehl am Platz?

Frank-Walter Steinmeier erklärt der Presse am Dienstag, warum er nicht nach Kiew fährt / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Natürlich steht es jedem frei, sich selbst der Lächerlichkeit preiszugeben. Wenn aber ein Staatsoberhaupt dies tut, haben wir ein ernstes Problem. Was dem deutschen Bundespräsidenten jetzt widerfahren ist, dürfte ziemlich einmalig sein in der Welt der Diplomatie: Kurz vor einer „geheim gehaltenen“ Kiew-Reise der Präsidenten Polens, Lettlands, Litauens, Estlands und eben auch Deutschlands wird Frank-Walter Steinmeier aus der Ukraine signalisiert: Vielen Dank, aber bleiben Sie bitte zuhause. Der ukrainische Amtskollege Wolodymyr Selenskyj hat Steinmeier am Dienstag zur unerwünschten Person erklärt. Zweifelsfrei ein Affront, zweifelsfrei genau so gewollt.

Gestern Nachmittag dann das notgedrungene Statement des deutschen Staatsoberhaupts, dessen Reisepläne derart geheim waren, dass die Bild-Zeitung darüber berichtete, noch bevor die Delegation grünes Licht aus Kiew erhalten geschweige denn sich in den Zug gesetzt hatte: Ein „starkes Zeichen der Solidarität Europas mit der Ukraine“ habe man setzen wollen: „Ich hätte diese Gelegenheit gerne wahrgenommen. Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass dies offensichtlich nicht gewünscht ist.“ Deutschland wieder einmal düpiert, Steinmeier wieder einmal in die Falle gelaufen. Nur, dass es diesmal nicht diejenige Putins war. Sondern Selenskyjs.

Ein geplanter Affront

Denn natürlich war die Bloßstellung des deutschen Bundespräsidenten nicht die Folge eines Missmanagements ukrainischer Empfangskomitees, sondern ein geplanter Affront. Der ukrainische Botschafter war in die Reisepläne offenbar eingeweiht, und dass Andrij Melnyk über einen kurzen Draht zum Springer-Verlag und zur Bild-Zeitung verfügt, ist hinlänglich bekannt. Das kann man hinterhältig nennen, politisch unklug – oder auch für völlig angemessen halten gegenüber dem früheren Vorzimmerverwalter des Putin-Freundes Gerhard Schröder. Fakt ist: Steinmeier steht da wie ein begossener Pudel. Und abgesehen davon, dass er bei der Verkündigung seiner stornierten Reise auch genauso aussah, muss sich selbst der wohlwollendste Beobachter fragen: Wenn sich der höchste Repräsentant der Bundesrepublik derart aufs Kreuz legen lässt, war er dann nicht womöglich schon als Außenminister eine Fehlbesetzung?

Dass dem so sein könnte (oder besser gesagt: dass es so war), deucht inzwischen sogar dem einen oder anderen Sozialdemokraten. Denn mit dem Namen Frank-Walter Steinmeier verbindet sich nicht nur die Energiepolitik, sondern insbesondere die gesamte gescheiterte Ostpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Dass der heutige Bundespräsident ein „Spinnennetz an Russlandkontakten“ (Andrij Melnyk) gewoben hat, ist ja keine Phantasie des ukrainischen Botschafters, sondern alles nachprüfbar.

Putins Strategie lief von Anfang an darauf hinaus, Deutschland in Energiefragen von sich abhängig und somit zu einem Einfallstor in die EU zu machen – wobei sich das einstige Duo Schröder/Steinmeier bis zuletzt gegen Bezahlung einspannen ließ (Schröder) beziehungsweise den naiven Peacenik gab (Steinmeier). Beim Bundespräsidenten hat es immerhin eines russischen Angriffskriegs bedurft, um widerwillig alte Positionen zu räumen und öffentlich Abbitte zu leisten. Der frühere Bundeskanzler übrigens sieht selbst nach dem Massaker von Butscha bis heute keinen Anlass dazu, sich von seinem angeblichen Männerfreund im Kreml zu distanzieren. Warum das so ist, darüber wird dieser Tage nicht nur im Willy-Brandt-Haus eifrig spekuliert.

Steinmeiers Reumuts-Tournee

Dass man in Kiew wenig Lust verspürt, Frank-Walter Steinmeier die passende Kulisse für seine Reumuts-Tournee zu geben und ihm bei seinem jetzt dringend erforderlichen Imagewechsel auch noch behilflich zu sein, ist mehr als nachvollziehbar. Nur Steinmeier selbst scheint das irgendwie zu überraschen – der es ja auch für angemessen hielt, Botschafter Melnyk kurz nach Kriegsausbruch zu einem beschaulichen Soli-Konzertnachmittag ins Schloss Bellevue einzuladen, um dort andächtig russischen Musikern zu lauschen. Es ist wirklich zum Verrücktwerden für unser Staatsoberhaupt: Die Ukrainer scheinen sich partout nicht von der präsidialen Symbolpolitik beeindrucken zu lassen. Sie scheuen nicht einmal diplomatische Konflikte, um diese Politik zu entlarven als das, was sie ist: verlogen und selbstgefällig.

Wenn Politiker nicht mehr anders können, als öffentlich zu Kreuze zu kriechen, weil sich Vergangenes partout nicht mehr geradebiegen und schönreden lässt, muss das zwar nicht gleich so beschämend sein wie der heulsusige Auftritt Anne Spiegels am Sonntagabend. Aber auch Steinmeiers Rechtfertigungsgespräch in der aktuellen Spiegel-Ausgabe strotzt nur so vor Peinlichkeit. Da erzählt er lang und breit davon, wie sich seine Wahrnehmung der russischen Politik „natürlich auch bei mir verändert hat im Laufe der Jahre“. Und dass ihm im Oktober 2017 bei einem Besuch in Sankt Petersburg die Begegnung mit Wladimir Putin in schlechter Erinnerung sei: „Die Feindschaft zum Westen, insbesondere zu den USA, war zu seiner dominierenden Ideologie geworden. Das war eine sehr bittere Erkenntnis.“

Aber was macht man mit solcher Erkenntnis? Wie ging Steinmeier (der als einstiger Kanzleramtschef, Außenminister und damals amtierender Bundespräsident sicherlich über andere Informationsquellen verfügt als Otto-Normal-Zeitungsleser) damit um? Unter anderem so: Er bezeichnet noch im Februar vorigen Jahres die Gaspipeline Nord Stream 2 als „fast die letzte Brücke zwischen Russland und Europa“, die es natürlich zu bewahren gelte – und stellt sie dar als eine Art gesamteuropäisches Friedensprojekt. Jene Pipeline also, die Putin als trojanisches Pferd gegen Deutschland nutzen wollte und als Waffe gegen die Ukraine. Steinmeier bringt es sogar fertig, die „mehr als 20 Millionen“ sowjetischen Kriegstoten als Argument für die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 anzuführen. Eine wahre Meisterleistung an politischer Rabulistik.

„Säbelrasseln gegenüber Russland“

„Zugleich haben Sie damals die Nato vor ,Säbelrasseln‘ gegenüber Russland gewarnt“, so die Spiegel-Leute im Steinmeier-Interview. Und ob ihm das heute nicht „unangenehm“ sei. Darauf der Bundespräsident: „Das war schon damals aus dem Kontext gerissen. Ich habe die Politik der Stärkung der Nato mit vorangetrieben und geholfen, sie innenpolitisch mehrheitsfähig zu machen.“ Wie bitte? 

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, hier das kontextuelle Umfeld von Steinmeiers Äußerung aus dem Jahr 2016: „Niemand kann den vorgesehenen Umfang der Nato-Maßnahmen als Bedrohung für Russland werten, und bei allen Maßnahmen für uns war die strikte Einhaltung der Nato-Russland-Grundakte eine klare rote Linie. Was wir jetzt allerdings nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen. Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt. Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern. Es wäre fatal, jetzt den Blick auf das Militärische zu verengen und allein in einer Abschreckungspolitik das Heil zu suchen. Die Geschichte lehrt uns doch: Neben dem gemeinsamen Willen zur Verteidigungsbereitschaft muss es immer auch die Bereitschaft zum Dialog und Kooperationsangebote geben. Und deswegen müssen wir mit unseren Partnern auch wieder verstärkt über den Nutzen von Abrüstung und Rüstungskontrolle für die Sicherheit in Europa sprechen.“ Soviel zum Thema „aus dem Kontext gerissen“.

Kleine Anekdote am Rande: „Planen Sie, in der nächsten Zeit nach Kiew zu reisen?“, lautet die letzte Spiegel-Frage an den Bundespräsidenten. Seine Antwort: Er werde „auch in Zukunft alles in meinen Kräften Stehende tun, um die Ukraine zu unterstützen“. Selbstverständlich gehörten dazu „auch weitere Besuche“. In der Ukraine hat man offenkundig ein anderes Verständnis davon, wie deutsche „Unterstützung“ aussehen sollte. Frank-Walter Steinmeier ist in Kiew schlicht deplatziert. Im Schloss Bellevue leider auch.

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