Flugblatt-Affäre - Aiwanger hätte die Zeitbombe selbst entschärfen können 

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger ist nicht nur ein Opfer einer Kampagne der Süddeutschen Zeitung, sondern auch seines eigenen Verhaltens. Er hätte die Vorfälle aus seiner Schulzeit selbst öffentlich machen sollen.

Hubert Aiwanger fliegt seine Vergangenheit um die Ohren / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Falls Hubert Aiwanger die Flugblatt-Affäre politisch nicht überlebt, wäre er nur auf den ersten Blick das Opfer einer von der Süddeutschen Zeitung termingerecht zum Beginn der Briefwahl gestarteten Kampagne. In Wirklichkeit ist der Chef der Freien Wähler in Bayern (FW) vor allem das Opfer seines eigenen Verhaltens, seines leichtsinnigen Umgangs mit einem üblen Pamphlet aus seiner Schulzeit

Als Aiwanger 2008 mit seinen Freien Wählern erstmal in den Landtag einzog, war ihm wohl bewusst, dass politische Gegner ihm eines Tages das Machwerk vorhalten könnten. Das stammt zwar, wie sein Bruder versichert, gar nicht von Hubert Aiwanger selbst. Doch war er als Schüler bestraft worden, weil er dieses Flugblatt in seiner Schultasche hatte und seiner Schilderung zufolge seinen Bruder nicht verpfeifen wollte. 

Weil Aiwanger um die Gefährlichkeit dieser Zeitbombe wusste, soll er bereits 2008 – so die SZ – eine Parteikollegin aus Landshut zu einem früheren Lehrer geschickt haben. Dieser war am Disziplinarverfahren gegen den Schüler Aiwanger beteiligt gewesen. Die Parteifreundin habe von dem Pädagogen wissen wollen, ob Aiwanger von ihm „Gefahr“ drohe. Es sei „eindeutig gewesen“, dass es dabei um das Flugblatt gegangen sei, zitiert die Zeitung den Lehrer. Dieser Anonymus ist in der ganzen Affäre der Hauptbelastungszeuge. 

Der Lehrer soll schon seit Jahren mit dem Flugblatt geprahlt haben

Dass der ehemalige Deutsch- und Lateinlehrer das Flugblatt aufgehoben hatte, war in dem niederbayerischen Mallersdorf-Pfaffenberg, wo die Brüder Aiwanger das Gymnasium besuchten, offenbar allseits bekannt. So schildert es jedenfalls Johann Kirchinger, ein Kommunalpolitiker der Freien Wähler gegenüber t-online.

Nach Kirchingers Aussage hat dieser Lehrer, „schon seit Jahren damit geprahlt, dass er das einzige Exemplar hat“. Und weiter: „Mit der Geschichte ist er hier überall hausieren gegangen. Er hat es wirklich jedem erzählt, ob der es wissen wollte oder eben nicht.“ Dabei hatte die Schulleitung Ende der 1980er-Jahre alle Exemplare vernichten und das Ganze unter Verschluss halten wollen. 

Der frischgebackene Landespolitiker Aiwanger wusste also, dass mindestens ein Exemplar des Flugblatts noch vorhanden ist. Und dass politische Gegner es jederzeit gegen ihn verwenden könnten. Zudem dürfte Aiwanger bewusst gewesen sein, wie gefährlich es politisch werden kann, wenn man in den Verdacht gerät, als Schüler Sympathien für die Nazis gehabt zu haben. Denn dann besteht die Gefahr, sofort in die rechtsradikale Ecke gedrängt zu werden, ganz gleich, wie man inzwischen denkt und handelt. 

Der Abgeordnete Aiwanger hoffte offenbar darauf gehofft, der Lehrer werde das Pamphlet nicht gegen ihn verwenden. Vielleicht dachte er auch, die auf eine mögliche Veröffentlichung folgende Welle der Empörung werde nicht allzu lange dauern. Dass der Lehrer die „Bombe“ 15 Jahre später mit Hilfe der SZ und genau sechs Wochen vor einer Landtagswahl zünden würde, um ihm massiv zu schaden, konnte oder wollte er sich offenbar nicht vorstellen. 

Aiwangers Verhalten erinnert an das des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff

Aiwanger blieb also untätig – und das war der entscheidende Fehler. Er hätte die Vorfälle aus dem Schuljahr 1987/88 zusammen mit seinem Bruder selbst öffentlich machen, sich deutlich vom Inhalt des Pamphlets distanzieren und sein damaliges Verhalten bedauern können. Natürlich hätte das ihm negative Schlagzeilen eingebracht. Doch das politische Beben wäre vergleichsweise harmlos gewesen im Vergleich zu dem aktuellen Tsunami. 

Aiwangers Verhalten erinnert an das des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Der hatte noch als niedersächsischer Ministerpräsident gewusst, dass die Medien wegen der Finanzierung seines Privathauses recherchierten. Statt offen darzulegen, dass ein väterlicher Freund ihm das Geld geliehen hatte, versuchte er, die Sache auszusitzen. Das kostete ihn schließlich sein Amt als Staatsoberhaupt. 

Was Wulff widerfuhr, wiederholt sich in gewisser Weise auch bei Aiwanger. Die Medien brauchen neuen „Stoff“, um den Fall in den Schlagzeilen zu halten. Da bieten sich dann ehemalige Weggefährten an. So hat jetzt der Aiwanger-Mitschüler Mario Bauer dem Bayerischen Rundfunk erzählt, der Hubert habe manchmal „halt so einen Hitlergruß gezeigt“. Aiwanger habe auch Reden „in diesem Hitler-Slang“ gehalten. Und: „Judenfeindliche Witze, über Auschwitz und so weiter, die sind definitiv gefallen.“  

Ministerpräsident Markus Söder wird weitere Fragen stellen müssen

Mitschüler Bauer wird nicht der einzige bleiben, dem jetzt plötzlich Nachteiliges über den stellvertretenden Ministerpräsidenten und FW-Spitzenkandidaten einfällt und es gerne weitergibt. Gut möglich, dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seinen Katalog über die geplanten 25 Fragen hinaus erweitern muss. Schließlich hat er nach dem Koalitionsausschuss bereits sybillinisch gesagt: „Es darf jetzt auch nichts mehr dazukommen.“ 

Was immer der Gymnasiast Aiwanger getan haben, wie immer seine Einstellung zum Nationalsozialismus damals gewesen sein mag – den Zeitpunkt, das zu erklären und gegebenenfalls um Entschuldigung zu bitten, hat er 2008 versäumt. Er hat sich auch nicht auf eine Explosion dieser Zeitbombe vorbereitet. Andernfalls hätte er bei den Recherchen der SZ nicht einfach alles abgestritten, sondern eine eidesstattliche Erklärung seines Bruders über die Urheberschaft vorgelegt.  

Zweifellos hätte die SZ die Story dennoch gebracht; schließlich ist ja Wahlkampf. Aber ein Hubert Aiwanger, der das „Auschwitz-Pamphlet“, wie die SZ titelte, nur im Ranzen gehabt hatte und nicht der Autor war, hätte kein so lohnendes Ziel abgegeben. Es ist in der Politik eben wie im wahren Leben: Die ärgerlichsten Fehler sind die, die man selbst macht.

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