FDP-Wahlkampf - Absage an die Ampel

Aus dem langweiligsten Bundestagswahlkampf ist der seit Jahrzehnten spannendste geworden. Doch auch die Profiteure des Umfragetrends schauen mit Beklemmung auf die aktuelle Entwicklung, wirft er doch viele Planspiele über den Haufen. Angesichts dieser Situation wäre es für die FDP an der Zeit, einer Ampel-Koalition eine klare Absage zu erteilen.

Ein Mitarbeiter einer Werbemittelfirma klebt ein Bundestagswahlplakat mit einem Foto des FDP-Spitzenkandidaten Christian Lindner / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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So kann man sich irren. Noch vor vier Wochen hätte ich Haus und Hof dafür verwettet, dass wir eine schwarz-grüne Bundesregierung unter einem Kanzler Laschet bekommen. Vielleicht würden beide Parteien noch ein bisschen Federn lassen, so dachte ich damals, aber es wird locker reichen. Die Vorstellung, dass Olaf Scholz sich allen Ernstes Hoffnung auf das Kanzleramt machen kann, hätte ich für komplett abwegig angesehen. Mea culpa.

Wenn die Umfragen der vergangenen Wochen und die in ihnen abgebildeten Trends auch nur halbwegs stimmen, dann steht diesem Land am 26. September ein politisches Erdbeben bevor. Nun gibt es gute Gründe, anzunehmen, dass am Ende des Tages die Union ein wenig besser dastehen wird als momentan. Klar scheint aber schon heute zu sein, dass die Partei Adenauers und Kohls auf ein historisches Desaster zusteuert, selbst wenn man sich auf den letzten Metern doch noch mit ein paar Zehntelprozent vor die SPD schieben sollte.

Sorgen im Willy-Brandt-Haus

Genauso sorgenvoll wie in der Unions-Zentrale dürfte allerdings auch mancher im Willy-Brandt-Haus auf die Entwicklung schauen. Man hatte es sich so schön ausgedacht: Dem gescheiterten Kandidaten um den Parteivorsitz die undankbare Aufgabe des Kanzlerkandidaten zuschieben und nach einer verlorenen Bundestagswahl in die Opposition gehen, um dort die SPD endgültig auf links zu trimmen und Scholz und seine Scholzianer gleich mit zu entsorgen. Dumm gelaufen, möchte man sagen.

Nun droht aus Sicht mancher Strategen in der Parteizentrale eine Art Konterrevolution: Ein nach einem für unmöglich gehaltenen Wahlsieg geradezu allmächtiger Gottkanzler Scholz könnte den programmatischen Linksrutsch der SPD teilweise rückgängig machen und den Weg zu einer linken, woken, feministischen, antikapitalistischen und diversen SPD zumindest für zwei, drei Jahre verzögern. Hier rächt sich die Niederlagengewissheit der linken Sozialdemokratie, die viele Medien mit Disziplin und Harmoniefähigkeit verwechseln.

Beklemmung im Hans-Dietrich-Genscher-Haus

Doch nicht nur Christunionisten und Sozialdemokraten schauen mit Sorge auf die Umfragen der vergangenen Wochen. Auch im Hans-Dietrich-Genscher-Haus blickt man seit drei, vier Wochen mit zunehmender Beklemmung auf die Meldungen der Demoskopen. Nicht etwa, weil es für die FDP schlecht liefe. Nein, das wird niemand behaupten. Aber immer deutlicher zeichnet sich ab, dass eine Ampel eine ganz reale Machtoption werden könnte. Das wäre der definitive Albtraum mancher Vordenker in der Berliner Reinhardtstraße – zu Recht im Übrigen.

Angenommen, die Sozialdemokraten kommen auf circa 23 Prozent, die Grünen enden irgendwo bei 16 und die FDP vielleicht bei 13 Prozent, dann ergibt das eine stabile Mehrheit. Allerdings gilt nach Lage der Dinge: Wenn Ampel geht, geht auch die sogenannte Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und Liberalen. Allerdings wäre den Sozialdemokraten unter dem dann designierten Kanzler Scholz ohne Frage eine Ampel tausendmal lieber als Schwarz-Rot-Gelb.

An diesem Punkt kommt Christian Lindner ins Spiel, der FDP-Chef. Seine Aufgabe wäre es jetzt, die Ampel-Koalition definitiv auszuschließen – komme, was da wolle. Denn nur eine radikale Absage an irgendwelche Ampel-Träumereien ist in der Lage, linke Phantasien vom radikalen Umbau der Gesellschaft im Keim zu ersticken. Christian Lindner muss nun unmissverständlich klarmachen, dass die Liberalen niemals einer linken Regierung zu einer Mehrheit verhelfen werden.

Die Argumente dafür liegen auf der Hand. Grüne und Sozialdemokraten stehen für alles, wogegen die Liberalen seit Jahren kämpfen: Bevormundung, Regulierung, Staatsverschuldung, Cancel Culture, staatliches Nudging und andere Formen der Volkspädagogik. Nichts wäre für den FDP-Chef leichter, als einer Ampel vor der Wahl mit guten Gründen kategorisch eine Absage zu erteilen. Und es würde seine Glaubwürdigkeit erhöhen.

Genug Beliebigkeit

Denn nach der Wahl könnte der Druck enorm werden. Dies umso mehr, als bei der Union das Verlangen, als Juniorpartner von Olaf Scholz in einer Deutschlandkoalition zu enden, eher schwach ausgeprägt sein dürfte. Die Ampel erschiene dann als die spannendere, die frischere Alternative. Dem könnte Lindner vorbauen. Und zugleich dem Wahlkampf noch einmal eine ganz andere Dynamik verleihen. Natürlich ginge man damit seitens der FDP das Risiko ein, zwei, drei Prozentpunkte eher linksliberaler Stimmen an die Grünen zu verlieren. Doch Glaubwürdigkeit und Profil sind eben riskant. Und Beliebigkeit herrscht wirklich genug in diesem Wahlkampf.

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