FDP-Dreikönigstreffen - Die Liberalen gegen die „Lust am Untergang“

Lieber nicht regieren als schlecht regieren? Die FDP leidet in der Ampel. Die Partei ist gespalten. Beim Dreikönigstreffen zeigt sich Parteichef Lindner trotzig: Die Ampel mache mehr richtig als falsch.

FDP-Politikerin Strack-Zimmermann beim Dreikönigstreffen der FPD / dpa
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Dass die Stimmung beim traditionellen Dreikönigstreffen der Liberalen dieses Jahr eine etwas andere ist, das merkt FDP-Bundesparteichef Christian Lindner schon auf dem morgendlichen Weg zur Stuttgarter Oper. Überall im Schlossgarten haben sich Protestgruppen platziert, Tierschützer sind gekommen, linke Globalisierungskritiker, Kriegsgegner und wütende Landwirte mit ihren Traktoren. Lindner, der nach eigenen Worten Fieber hat, läuft lächelnd vorbei – und hält lediglich kurz für einen Autogrammjäger.

Den Protest bekommt der Parteichef auch im Opernsaal zu spüren. Aktivisten haben sich unter das Publikum gemischt und unterbrechen die Rede des Bundesfinanzministers. Sie fordern lautstark die Einführung des Klimagelds. Lindner reagiert mit Biss: Das sei das erste Mal, dass linke Autonome für das Wahlprogramm der FDP seien. Gelächter im Saal.
 

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Seit mehr als 140 Jahren starten die Liberalen am 6. Januar im Südwesten politisch in das neue Jahr. Die Partei steckt derzeit im Umfragetief, viele Anhänger sind unglücklich mit der Ampel. Vor kurzem votierten Mitglieder nur sehr knapp für einen Verbleib der Partei in der Bundesregierung. Da kommt das traditionelle Treffen in der Oper gerade recht, um etwas Selbstvertrauen zu tanken.

Die Einpeitscherin 

Die FDP-Spitzenkandidatin zur Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, spricht noch vor dem Bundesparteichef, erntet aber den heftigsten Applaus. Sie heizt den Saal auf, bis die Liberalen begeistert von ihren Plätzen springen. Strack-Zimmermann redet sich regelrecht in Rage. Zur EU-Bürokratie sagt sie mit Blick auf Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen, es brauche „weniger von der Leyen und mehr von der Freiheit“. Mit Blick auf die neue Partei von Sahra Wagenknecht und die AfD warnt sie davor, dass bald «die Kacke hier am Dampfen ist, und zwar braun und rot“. Der Saal tobt.

Die Ampel

Um 12.30 Uhr tritt Linder auf die Bühne. Er macht gleich zu Beginn seiner Rede klar, dass die Zeiten nicht leicht seien. Das Mitgliedervotum erwähnt er nicht. Die Bundesregierung sei nicht fehlerfrei, aber entscheide mehr richtig als falsch. Die FDP trage Verantwortung, weil sie das Land gestalten wolle. „Wir sind kein Debattierclub.“ Der Preis dafür seien eben Kontroversen. Die Ampelpartner verschont Lindner weitestgehend mit Kritik. Dafür wird er gegenüber der Union deutlich: Die Kritik der Opposition sei übersteuert. Von der CDU nehme er keine Belehrungen entgegen, dass die Ampel nicht schnell genug damit sei, den von der alten Regierung hinterlassenen Scherbenhaufen zusammenzukehren.

Operation Optimismus 

Lindner appelliert zur Zuversicht. „Epochenumbrüche“ drückten die Stimmung im Land derzeit auf einen Tiefpunkt. Sie führten zu einer regelrechten „Lust am Untergang“. Von Deindustrialisierung, Absturz und Niedergang sei gar die Rede, sagt er. „Ich bin offen: Ich kann es kaum mehr ertragen.“ Eine Gesellschaft, die nicht an die eigene Zukunft glaube, die verspiele die Zukunft, so der Parteichef. „Es gibt einen dritten Weg zwischen Gesundbeten und Schwarzmalerei - und das ist: sich den Realitäten stellen und etwas unternehmen.“ Der deutschen Wirtschaft bescheinigt er ein erhebliches Turnaround-Potenzial – die brauche für den Aufschwung keine Subventionen.

Bauernprotest 

Lindner ruft die Landwirte zu friedlichem Protest auf. „Lassen Sie sich nicht unterwandern und instrumentalisieren. Sie haben sich verrannt, bitte kehren Sie um“, sagt er. Sachbeschädigungen und die angekündigten Blockaden seien unverhältnismäßig. „Landfriedensbruch, Nötigung, Sachbeschädigung – das sind Fälle für den Staatsanwalt.“ Die Gesellschaft habe eine Verantwortung für die Landwirtschaft, aber die Landwirtschaft habe umgekehrt auch eine Verantwortung für die Gesellschaft. Lindner verteidigte die Subventionskürzungen im Agrarbereich. „Gerade eine europäisch und national so hochsubventionierte Branche wird sich nicht jedes Konsolidierungsbeitrags erwehren können.“

Unterstützung der Ukraine 

Der FDP-Chef fordert von den europäischen Partnern mehr Unterstützung für die von Russland angegriffenen Ukraine. Deutschland nehme seine Verantwortung wahr. „50 Prozent der gesamten europäischen Unterstützung für die Ukraine werden von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aus Deutschland geleistet.“ Die Bedrohung durch Russland bestehe aber für Europa insgesamt. „Also müssen sich auch andere an der Lastenteilung beteiligen.“

Die Wehrpflicht 

Lindner lehnt eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht strikt ab. „Im 21. Jahrhundert besteht Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr darin, wieder Kreiswehrersatzämter einzurichten“, sagte er. Sie bestehe vielmehr darin, „dass wir hoch qualifizierte Soldatinnen und Soldaten für eine Technologie-Armee finden“. In Zeiten des Fachkräftemangels würde eine Generation davon abgehalten, einen qualifizierten Beruf zu erlernen und auszuüben, um einige Monate in der Bundeswehr „als angelernte Kraft“ tätig zu sein. Die Wehrpflicht war im Juli 2011 ausgesetzt worden. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) lässt derzeit wegen der veränderten Sicherheitslage Modelle einer Dienstpflicht prüfen.

Die Schuldenbremse 

Der Bundesfinanzminister bekräftigt außerdem seinen Widerstand gegen ein Aufweichen der Schuldenbremse. Dafür gebe es „zwei starke Verbündete“ – die ökonomische Vernunft und das Grundgesetz. Die Zinsen für Kredite seien inzwischen höher als das Wachstum. „Wir halten also die Schuldenbremse ein nicht aus Daffke, sondern um die Glaubwürdigkeit an den Kapitalmärkten zu erhalten, damit Deutschland Stabilitätsanker in Europa bleiben kann, damit wir neue Sicherheitspuffer aufbauen und damit nicht irgendwann dieses Land durch Zinsen und Tilgung stranguliert wird.“ Wenn es einen neuen Finanzierungsbedarf gebe, sei zuerst zu schauen, ob man ihn im regulären Etat durch Umschichtungen decken könne, so Lindner. Die Ausnahme von der Schuldenbremse sei die Ultima Ratio. „Dieser Finanzminister wird keine Entscheidung unterstützen, die neue verfassungsrechtliche Risiken bringt.“

Das Hochwasser 

Politiker von SPD und Grünen hatten ein abermaliges Aussetzen der Schuldenbremse auch im Zusammenhang mit dem aktuellen Hochwasser in Teilen Deutschlands ins Gespräch gebracht. Die FDP lehnt das ab. Lindner sichert den Betroffenen am Samstag aber Solidarität zu. Sie könnten sich darauf verlassen, dass man solidarisch sei. Man wolle den Staat nicht für alles zuständig machen, und er könne auch nicht für alles zuständig sein, so Lindner. „Aber wer unverschuldet in Not gerät, kann sich auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen.“

dpa

 

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