Leichterer Familiennachzug - Faeser will die Migrationskrise noch verschärfen

Während das Land unter der Last der Migrationskrise allmählich zur Einsicht kommt, dass eine deutliche Begrenzung notwendig ist, wird ein Entwurf zur Erweiterung der Zuwanderungsoptionen aus Nancy Faesers Ministerium bekannt. Ihr Dementi ist erstaunlich.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Bundestag, 22.09.2023/ picture alliance
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Die Erkenntnis, dass Deutschlands Sozialsystem längst die Grenzen der Belastbarkeit durch Armutszuwanderung überschritten hat, erreicht acht Jahre nach dem „Wir schaffen das“-Rausch von 2015 nun sogar die Spitzen der Gesellschaft, etwa den sozialdemokratischen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und seinen Amtsvorgänger Joachim Gauck. Zuwanderung zu begrenzen, sei „nicht verwerflich“, sondern „politisch geboten“, stellt dieser fest. In der Partei von Angela Merkel und sogar unter jenen, die in Stuttgart mit den Grünen koalieren, spricht man nun von einem „Irrweg“. Der Stuttgarter Fraktionsvorsitzende Manuel Hagel fordert im Cicero-Interview eine „180-Grad-Wende in der Migrationspolitik“.

Es gibt hierzulande offenbar eine ganz besonders lange Leitung zwischen der Wirklichkeit und der Politik, die eigentlich nach einer oft bemühten Talkshow-Trivialität mit dem Betrachten jener Wirklichkeit beginnt. Aber es scheint sie immerhin zu geben. Also kann es jetzt ja losgehen mit der ernsthaften Einwanderungspolitik.

Denkste! Ausgerechnet in jenem Ministerium, das für dieses zentrale Politikfeld in erster Linie zuständig ist, nämlich in Nancy Faesers Bundesinnenministerium, scheint man lieber auf dem Holzweg der vergangenen mindestens acht Jahre weiter zu irren. Das zeigt ein Referentenentwurf für ein „Familien- und Arbeitsmarktintegrationsgesetz“, über den die Welt am Sonntag berichtet, der die Migrationszahlen noch erhöhen würde. Er sei schon ein Jahr alt, sagte Faeser heute im Bundestag. Auf eine Kurzintervention des CDU-Abgeordneten Christoph de Vries antwortete Faeser: „Nein, ich habe nicht vor, im Moment den Familiennachzug vorzulegen.“ Ein Sprecher des Ministeriums sagt: „Erleichterungen beim Familiennachzug haben aktuell angesichts der angespannten Unterbringungssituation in den Kommunen keine Priorität.“

Ein seltsames Dementi. Das bedeutet also, sobald die Lage halbwegs entspannt ist, kommt die Priorität zurück, und Faeser sorgt dafür, dass die Krise sich wieder zuspitzt.

Nur eine der Abwegigkeiten in diesem Entwurf, der wohl nur „im Moment“ auf Eis liegt: Wenn es Behörden nicht gelingt, die Identitäten festzustellen, sollen als „letztes Mittel“ Ausländer Angaben zu ihrer Identität und Staatsangehörigkeit durch eine Versicherung an Eides statt abgeben können. Das bedeutet nichts anderes als dass die Einwanderung nach Deutschland künftig auch eine ähnliche Funktion haben kann wie früher der Eintritt in die Fremdenlegion. 

Die Migrationskrise würde durch das Vorhaben noch verschärft

Vor allem aber soll nach diesem Referentenentwurf der Familiennachzug noch weiter erleichtert werden. Das würde nicht nur den unmittelbar Begünstigten eine schnelle Einreisemöglichkeit nach Deutschland (und in aller Regel zumindest kurz- bis mittelfristig den Bezug von Leistungen des deutschen Sozialstaats) verschaffen, sondern dürfte auch die Attraktivität Deutschlands für all jene steigern, die auf illegalem und oft höchst riskantem Wege einreisen wollen. Die Hoffnung, die eigenen Angehörigen später nachholen zu können, dürfte ein besonderer Anreiz sein.

In dem Entwurf ist vom „Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik“ und einem „modernen Einwanderungsland“ die Rede, in dem Menschen „schneller in die Gesellschaft integriert“ werden. Tatsächlich scheint aber vor allem die Steigerung der Zuwanderungszahlen beabsichtigt.

Wie anders soll man schließlich das Vorhaben verstehen, den Familiennachzug für „subsidiär Schutzberechtigte“ wieder unbeschränkt zu ermöglichen? Der war 2016 ausgesetzt und 2018 auf 1000 Personen im Monat beschränkt worden. Es handelt sich um Zuwanderer, die keinen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten, aber stichhaltige Gründe für einen ihnen ernsthaft drohenden Schaden in ihrem Herkunftsland vorbringen können. Der Status wird jährlich verlängert. Dieser Status und das Verlängerungsprozedere wird allerdings zur Farce, wenn sie wie anerkannte Flüchtlinge ihre Familien nachholen können. Und dabei soll laut Gesetzentwurf die Zahl der Nachziehenden nicht pauschal begrenzt werden.

 

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In Faesers Ministerium scheint man Integration nur für möglich zu halten, wenn ganze Familien einwandern dürfen. Aber das Leben in großen, oft archaisch organisierten Familienverbänden dürfte das Einfügen in europäische Lebensverhältnisse für junge Menschen durchaus auch erschweren und das Entstehen von sogenannten Parallelgesellschaften eher befördern.

Völlig absurd ist ein weiteres Detail des Entwurfs zum Familiennachzug: Die Verwandten von unbegleiteten minderjährigen Migranten sollen viel leichter einreisen dürfen. Bisher konnten Geschwister erst legal einreisen, wenn mindestens einem Elternteil eines zuvor unbegleitet eingereisten Kindes ein Schutzstatus zuerkannt wurde. Für Großfamilien, die nach Deutschland einwandern wollen, wird also die ohnehin schon verbreitete Praxis noch attraktiver, ihre Kinder allein auf die Reise zu schicken als Türöffner für die anderen.

Das Phänomen der unbegleiteten minderjährigen Ausländer (in der Behördensprache UMA abgekürzt) ist ohnehin eine der großen Abstrusitäten der deutschen Einwanderungswirklichkeit. Unter der Fahne des Jugendschutzes genießen minderjährige Zuwanderer nämlich ganz besondere Privilegien, die die illegale Zuwanderung für sie beziehungsweise ihre Familien ganz besonders attraktiv machen. Und für die versorgenden Kommunen und vor allem die Bundesländer sind sie ein besonders herausgehobener Kostenfaktor.

Dem Integrationsbetrieb gehen die Helfer aus

Neben der Unterbringung (nicht in Heimen, sondern üblicherweise in Wohngruppen) und der Versorgung fallen für sie noch hohe zusätzliche Kosten für Bildungs- und Integrationsmaßnahmen und ihre amtlich bestellten Vormundschaften an. In Meerbusch zum Beispiel (rund 57.000 Einwohner) leben derzeit laut Rheinische Post 25 UMAs, für die monatlich jeweils 7000 Euro ausgegeben werden. In anderen Quellen ist von mehr als 8000 Euro pro Monat und UMA die Rede. Also werden allein in Meerbusch rund 2,1 Millionen Euro im Jahr fällig. In Nordrhein-Westfalen gibt es derzeit etwa 8400 UMAs. In der Welt war 2017 einmal die Rede von vier Milliarden Euro im Jahr, die die deutschen Steuerzahler für unbegleitete minderjährige Migranten aufbringen müssen.

Zu diesen horrenden Kosten kommt noch ein weiteres Problem: Es fehlt an Menschen, die die Vormundschaften ausüben können. Offenkundig sinkt acht Jahre nach 2015 allmählich die Motivation. Beispiel Meerbusch: Der „Betreuungsverein Niederrhein“ kann „wegen personeller Engpässe“ nur 17 der 25 UMAs bevormunden, für die restlichen müssen das Jugendamt und die Diakonie einspringen. Aber die rechnen deutlich höhere Kosten ab.

Wo man auch hinblickt, im Einwanderungs- und Versorgungsland Deutschland knirscht es an allen Ecken gewaltig. Die Ehrenamtlichen und Idealisten verabschieden sich von der Sisyphos-Arbeit, und die professionellen Integrationsarbeiter wollen bezahlt werden. Ausgerechnet in Faesers Heimatland Hessen, in dem sie am 8. Oktober die Landtagswahl gewinnen will, „finden sich kaum noch Leiter für Deutschkurse“, meldet jetzt die FAZ. Die Lehrer sehen sich einfach zu schlecht honoriert. Das Bündnis Deutsch als Zweitsprache wirft der Bundesregierung eine massive Unterfinanzierung vor.

Vor wenigen Tagen las man über einer aktuelle Umfrage zur hessischen Landtagswahl diese Überschrift: „CDU weiter klar vorn, AfD legt deutlich zu.“ Wenn schon die Wirklichkeit der Migration Faeser und ihrer Partei so gleichgültig ist, so sollte doch die Wirklichkeit der Wahlen wenigstens Beachtung finden.

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