Dienstpflicht - Wendige Wurschtigkeit

Warum die Debatte um Wehrpflicht und Dienstpflicht richtig ist – aber unverantwortlich falsch geführt wird

Übung mit Schützenpanzer Marder: Tritt der Fall der Landesverteidigung wieder ein? / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Anzeige

Etwas Grundsätzliches zuerst: Die allgemeine Wehrpflicht rechtfertigt sich als Eingriff in die persönliche Freiheit eines Staatsbürgers einzig und allein sicherheitspolitisch. Oder sie rechtfertigt sich eben nicht. Weder der Umstand, dass mit ihr als einer Art Schnupperpraktikum in der Truppe Berufs- und Zeitsoldaten rekrutiert werden können, noch die vermeintliche erworbene Fähigkeit junger Menschen, einen Spind ordentlich aufzuräumen, ein Bett zu machen oder ein Oberhemd auf DIN-A-4 Format zusammenzulegen, rechtfertigt diesen Eingriff. 

Aussetzung der Dienstpflicht war eine politische Frechheit

Hätte es nach dem Krieg eine allgemeine Backpflicht gegeben wegen Brotnot, und diese Brotnot wäre hinfällig geworden, dann hätte keine Bäckerinnung der Welt diese Backpflicht aufrecht erhalten können. Weder mit dem Hinweis, dass es doch so praktisch war, junge Menschen erleben zu lassen, wie schön es ist, morgens um vier im Brötchenduft zu stehen. Noch mit dem Hinweis, dass es nicht schaden könne, wenn alle jungen Männer für den Rest ihres Lebens backen können. 

So gesehen war schon die Abschaffung, oder präziser, die Aussetzung der Wehrpflicht vor genau sieben Jahren eine politische Frechheit. Ebenso wie die jetzige Debatte um ihre Wiedereinführung. Seinerzeit hatte der juvenile und fesche Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg in einer allgemeinen Sparrunde erklärt, er könne seinen Sparbeitrag nur erbringen, wenn er die unterm Strich kostspielige Wehrpflicht aussetze. In einem dieser Akte willkürlicher und wendiger Wurschtigkeit (ähnlich wie bei den Themen Griechenland, Atomenergie und Migration) gab Angela Merkel dem statt – entgegen allen eigenen Redens und aller Grundpositionen der CDU. Die Wehrpflicht als Küchenpapier: Wisch und weg. 

Der Fall der Landesverteidigung könnte wieder eintreten

Dabei gab es seinerzeit  tatsächlich sicherheitspolitisch stichhaltige Argumente für die Abschaffung der Wehrpflicht. Deutschland schien von alten und neuen Freunden umzingelt, die Beziehung zu Russland freundschaftlich stabil. Man begann, nicht nur die Wehrpflicht einzumotten, sondern auch die vielen hundert Leopard-2-Panzer gleich mit, die Ursula von der Leyen, Verteidigungsministerin dieser Tage, mittlerweile wieder flottmachen lässt. Außerdem erforderten die permanenten Auslandseinsätze eine Professionalität, wie sie eine Wehrpflichtarmee nicht durchgängig erbringen kann. Zumal reguläre Wehrpflichtige ohnehin nicht in den Auslandseinsatz geschickt werden können und obendrein viele professionelle Soldaten in der Ausbildung binden. 

Die Raison d‘etre der Wehrpflicht war immer die Landesverteidigung. Doch kann man noch davon ausgehen, dass Deutschland nicht in der Lage sein muss, möglichst viele Menschen möglichst schnell dafür zu mobilisieren? Das ist zumindest zu bezweifeln angesichts des aggressiven Auftretens von Russland insbesondere während der schleichenden Übernahme der Krim und der durch das erratische Auftreten des US-Präsidenten Donald Trump verschärften Krise der Nato. Schon vor vier Jahren schrieb in einer Zeit der Eskalation Karl Feldmeyer, der langjährige sicherheitspolitische Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, einen Aufsatz im Cicero, in dem der Doyen der Bundeswehrberichterstattung dafür plädierte, die Wehrpflicht wieder zu reaktivieren. 

Leider krankt auch die jetzige Debatte, so wichtig und richtig sie ist, wieder am mangelndem Respekt vor dem ernsten Kern des Themas. Die amtierende Ministern Ursula von der Leyen hat in Zeiten boomender Wirtschaft noch mehr Probleme, Leute für die Truppe zu gewinnen, inzwischen Frauen und Männer gleichermaßen. Sie kann die nötige Truppenstärke kaum aufrechterhalten und sehnt sich nach dem Rekrutierungsinstrument zurück, wie es die Bäcker nach dem Ende der Backpflicht getan hätten. Zuletzt machte die Meldung die Runde, dass vor lauter Verzweiflung sogar eine Art Fremdenlegion in der Bundeswehr denkbar sein könnte.

Die Debatte muss auf die Füße gestellt werden

Niemand aber, auch nicht die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, von deren Tour durch die Partei der erste Impuls kam, macht sich die Mühe, die Begründung im einzigen validen Feld mitzuliefern. Das ist einerseits darin begründet, dass sich im politischen Raum hierzulande kaum mehr jemand für Sicherheits- und Verteidigungspolitik interessiert. Zuallerletzt die Kanzlerin, die Truppenbesuche scheut wie Dracula den Knoblauch. 

Dabei kann und muss man vielleicht sogar die Wehrpflicht, eingebettet in eine allgemeine Dienstpflicht, wiederbeleben. Es ist keine unbotmäßige Zumutung an die junge Generation, die es ohnehin so gut hat wie keine ihrer Vorgänger. Sie ist die größte Erbengeneration der Geschichte, erntet die Früchte der längsten Friedensperiode seit langer Zeit, bekommt vom Staat allerlei Vergütungen bis hin zum kostenlosen Studium. Da ist es nicht zu viel verlangt, ein wenig davon zurückzugeben an die Gesellschaft und den Staat, die ihnen diese beneidenswerten Lebensumstände ermöglichen. Nicht einmal der Hinweis zieht, dass sie eines Tages diejenige sein wird, die eine überalterte Gesellschaft auf ihre Schultern tragen muss. Denn auch in dieser Hinsicht wäre es sogar in ihrem ureigenen Interesse, dass Teile der Arbeit in der Pflege alter Menschen von jungen Dienstleistenden übernommen werden und nicht in erster Linie von renditeorientierten Unternehmen. 

Kurzum: Das Sommerloch hat etwas Gutes, wenn es nicht beißende Welse oder Alligatoren aus Badeseen zutage fördert, sondern eine Debatte über ein gesellschaftlich und sicherheitspolitisch hoch relevantes Thema. Jetzt muss diese Debatte nur noch vom Kopf auf die Füße gestellt und gegebenfalls politisch umgesetzt werden. Schwer genug. Denn eine ausgesetzte Pflicht ist wie eine eingeführte Steuer: Beides kriegt man eigentlich nie wieder weg. 

Anzeige