Deutschland im Abstieg - Ist der Rudi-Völler-Effekt die Lösung?

Nicht nur im Fußball, sondern in so gut wie allen Bereichen rutscht Deutschland mehr und mehr auf Mittelmaß ab - und darunter. Zumindest im Falle der Nationalelf scheint ein Führungswechsel an der Spitze eine Wende gebracht zu haben. Ein Vorbild für die Politik?

Leider gibt es nur einen: Interims-Bundestrainer Rudi Völler / dpa
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Autoreninfo

Alfred Schlicht ist promovierter Orientalist und pensionierter Diplomat. 2008 erschien sein Buch „Die Araber und Europa“. Sein Buch „Das Horn von Afrika“ erschien 2021, beide im Kohlhammer-Verlag.

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Ganz Deutschland staunt. Die notorisch erfolglosen deutschen Fußballer konnten auf einmal wieder gewinnen. Zufall – oder steckt mehr dahinter? Zumindest der Niedergang Deutschlands ist eindeutig nachweisbar und mit Zahlen belegbar. Er ist nicht, wie einige Traumtänzer vermuten, lediglich Ausdruck von Malaise und Ressentiment einer Schlechte-Laune-Fraktion. 

Über den letzten Platz unserer Sänger beim European Song Contest mag man noch schmunzeln. Aber der Abstieg ist eben auch in allen anderen Bereichen unübersehbar. Bei der Leichtathletik-WM 2023 blieb Deutschland erstmals in der Geschichte dieses Wettbewerbs ohne Medaille. Noch bedenklicher ist, dass Deutschlands Patentstatistik eine eindeutige Sprache spricht: In Deutschland wurden im Jahr 2018 über 67.900 Patente angemeldet, im Jahr 2020 waren es noch über 62.100 und 2022 nur mehr 57.214.

Diese Entwicklung zeigt sich nicht nur in den Sphären der Erfinder und Patente. Auch im Alltag, beispielsweise im Schulbereich, ist das Bild düster: „Der Trend bei den Kompetenzen von Schülern und Schülerinnen geht bergab.“ So resümiert das Bildungsportal Deutschland der Robert-Bosch-Stiftung den Bericht „Bildung in Deutschland 2022“. Und der ehemalige Vorsitzende des deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, urteilt anlässlich des Erscheinens des „Bildungsmonitors 2023“: „Die [vormalige!] Bildungsnation Deutschland befindet sich weiter im Sinkflug.“ Die internationalen Schulleistungsstudien PISA, TIMSS und IGLU bestätigen diesen Trend. Das Statistische Bundesamt teilte mit, dass die Zahl der Schüler, die 2022 die Hochschulreife erlangt haben, im Vergleich zum Vorjahr um 2,1% gesunken ist.

Kein Wunder: Bezogen auf das Bundesinlandsprodukt gibt Deutschland weniger für Bildung aus als der Durchschnitt der OECD-Länder. Und während von der Politik vollmundig Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte nach Deutschland in Aussicht gestellt wird, findet in der Realität das Gegenteil statt: Im Jahr 2022 hat mehr als eine Viertelmillion Menschen Deutschland verlassen – 75% davon haben einen Hochschulabschluss. Seit 2015 ist die Zahl der Auswanderer sprunghaft angestiegen

Weniger Qualifizierte – mehr Messerstecher 

Gleichzeitig drängen Studienabbrecher in die Spitzenpositionen der Politik und haben Erfolg damit. Wichtige Bundesministerien setzen die Zugangsvoraussetzungen für angehende Beamte herab – mit anderen Worten: geringere Anforderungen für künftige Ministerialbeamte. Böse Zungen behaupten, dies solle jenen eine Ministerialkarriere erleichtern, die mehr ideologische Eignung als solide Fähigkeiten und Kenntnisse mitbringen.

Im Alltag wird derweil alles deutlich schlechter: 2022 hat sich die Zahl der Postbeschwerden wegen verlorener oder erheblich verspätet zugestellter Postsendungen verdreifacht – und 2023 noch einmal verdoppelt. Zunahmen verzeichnen auch gewisse Bereiche der Schwerstkriminalität – man hat verstanden, dass man das Offensichtliche nicht länger einfach abstreiten kann. So sagte die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg nach der Justizministerkonferenz der Länder im Mai 2023: „Wir haben beschlossen, die kriminologische Zentralstelle damit zu beauftragen, ein Lagebild über die bundesweite Entwicklung der Messerangriffe vorzulegen.“ Durch die Messerattacke im Regionalzug von Brokstedt (Januar 2023) hatte die Diskussion um Messermorde in Deutschland neue Dynamik entwickelt.

Die langjährigen Bemühungen, dieses Phänomen zu verdrängen, zu verschleiern, zu ignorieren oder rundweg abzustreiten, haben sich als kontraproduktiv erwiesen und lediglich der AfD neue Rekordergebnisse beschert. Treuherzig verkündete die Senatorin: „Wir wollen prüfen, ob es sich um singuläre Ereignisse handelt oder um ein Phänomen.“ Immerhin gab es im Jahr 2022 bereits 8160 Messerangriffe mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung, im Jahr 2021 waren es noch 7071 (laut BKA) – also handelte es sich doch wohl eher nicht um „Einzelereignisse“. In Berlin, der Region München und in Baden-Württemberg stellten Ausländer die Hälfte der Täter in diesem Bereich. Im Lagebild Clankriminalität 2022 des Landes Nordrhein-Westfalen wird deutlich, dass die Straftaten mit Clanbezug im Vergleich zum Vorjahr um über 20% zugenommen haben. 

Dass Deutschland – ganz im Gegensatz zur Schweizkein funktionierendes Eisenbahnsystem (mehr) hat, dass ihm eine Rezession droht (während alle anderen Industrienationen inklusive Russland Wachstum vorweisen können), dass wir im EU-Rahmen die höchsten Steuer- und Abgabenlast zu tragen haben (nur Belgien ist noch schlimmer) sowie die höchsten Energiekosten – all das ist sattsam bekannt. Die ausufernde Bürokratie kann jeder am eigenen Leib erleben. Dass es nicht mehr genug Medikamente gibt, ebenso. (Wohl dem, der nahe der niederländischen Grenze wohnt.) Und alle satirischen Formate dieser Republik haben sich bereits darüber lustig gemacht, dass die Bundeswehr nur für zwei Tage Munition hat, jedoch an den Krisenherden dieser Welt präsent sein muss. Aber Hauptsache, alles ist durchgegendert! 

Es gibt nur einen Rudi Völler 

Beim überraschenden deutschen Sieg über Frankreich am 12. September schrieben viele diesen unerwarteten Erfolg dem verdienten Altstar des deutschen Fußballs, Rudi Völler, zu, der in letzter Sekunde das Traineramt der Nationalmannschaft vorübergehend übernahm. „Rudi Völler haucht DFB-Elf neues Leben ein“, schrieb die Frankfurter Rundschau pathetisch. 

Sollte das die Lösung sein, einfach die Führungsspitze auswechseln? Immerhin sagt ein Sprichwort: Der Fisch stinkt vom Kopf her. Doch aus dem gleichnamigen Lied wissen wir: Es gibt nur ein’ Rudi Völler. Und der muss schon den deutschen Fußball retten. Wenn wir auch nur einen vom Format Rudi Völlers haben, ein Neuanfang wäre in vielen Bereichen dieser Gesellschaft bitter nötig. Dazu könnte durchaus auch der eine oder andere Personalwechsel gehören. Aber nicht in dem Sinn, dass tüchtige Beamte unter falschen Anschuldigungen kaltgestellt werden – wie in der Causa Schönbohm geschehen. 

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