Michael Kretschmer über Deutschland nach Corona - „Diese Krise wird genutzt, um die Gesellschaft zu spalten“

Mit Sorge beobachtet Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), dass Verschwörungstheoretiker Falschinformationen verbreiten. Kurzarbeitergeld reiche nicht aus, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise einzudämmen. Deutschland stecke schon im Strudel einer weltweiten Rezession.

Michael Kretschmer sieht den richtigen Umgang mit der Krise in „Maß und Mitte“ / dpa
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Autoreninfo

Adrian Arab ist Absolvent der Axel Springer Akademie und arbeitete als Politikredakteur bei der WELT/WELT AM SONNTAG in Berlin und San Francisco. Er schreibt heute als freier Journalist und hat ein besonderes Interesse an Wirtschaftspolitik. Für das Multimedia-Projekt „Sachor jetzt“ wurde er 2016 mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet.

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Herr Kretschmer, durch Corona ist der Staat auch im Privaten allmächtig geworden, viele Menschen lassen sich ihre Freiheiten geradezu freiwillig beschneiden. Sie sind in der DDR aufgewachsen – irritiert Sie diese neue Staatsgläubigkeit?
Bei einer lebensbedrohenden Krankheit wie Corona ist es ein Gebot, den Schutz der Bevölkerung zu garantieren. Dazu gehören auch Einschränkungen, wie wir sie vorher nicht kannten, wenn uns die Experten aus der Wissenschaft überwiegend dazu raten.Das hat nichts mit Staatsgläubigkeit zu tun, sondern ist eine Frage von Verantwortung. In gleichem Maße, wie jetzt die Wahrscheinlichkeit an Corona zu erkranken abnimmt, müssen wir wieder mehr auf die Eigenverantwortung der Menschen setzen und die einschränkenden Maßnahmen zurückfahren. Verhältnismäßigkeit sollte uns durch diese Krise leiten. 

Politiker wie Markus Söder oder Sebastian Kurz, die sich als strenge Zuchtmeister des Volkes geben, befinden sich gerade im Umfragehoch. Armin Laschet hingegen wird gerne dafür verspottet, dass er sich – angeblich im Sinne der Wirtschaft – für Lockerungen einsetzt. Lohnt es sich für Politiker momentan, für größere Freiheiten zu kämpfen?
Mir gefällt diese Debatte nicht, denn ich halte diese Attribute nicht für zutreffend. Wir erleben gerade eine Situation, in der fast alle Verantwortlichen einen gemeinsamen Weg einschlagen und auf Maß und Mitte setzen. Dass es dabei auch regionale Unterschiede gibt, ist völlig legitim. Das ist kein Zögern und auch kein Vorpreschen. 

Künftig soll in Deutschland eine Corona-Obergrenze von maximal 50 Neuinfektionen pro 1.000 Menschen gelten. In vielen Landkreisen werden nicht einmal 50 Leute pro Woche getestet werden, Kritiker monieren zudem, dass die vorhandenen Daten von Risklayer und der Johns-Hopkins-Universität die täglichen Veränderungen gar nicht richtig abbilden, zudem wirkt die Zahl willkürlich. Was, wenn in Zukunft jeder Kreis seine eigene Begründung findet, warum gerade für ihn diese neue Regel nicht gilt – wie zum Beispiel die Stadt Greiz in Thüringen? 
 Wir haben in den vergangenen Monaten in vielen Ländern erlebt, was passiert, wenn man zu leichtfertig mit Corona umgeht. Die Gefahr dieser Pandemie ist, dass sie in extrem kurzer Zeit vollständig außer Kontrolle geraten und man einen Vorsprung innerhalb weniger Tage verspielen kann, wenn man sich zu sehr in Sicherheit wähnt. Deshalb liegen die jetzt beschlossenen Maßnahmen in unserem ureigenen Interesse, und ich halte sie auch für richtig. Die regionalen Gesundheitsämter haben in den vergangenen Wochen einen super Job gemacht, ohne sie wäre die Reduzierung dieses Ausbreitungsverhaltens überhaupt nicht möglich gewesen. Ich teile Ihre Sorge, dass diese Regeln nicht eingehalten werden können, deshalb nicht.

Wie gesagt: Die Stadt Greiz hat die Regeln wenige Tage nach dem Beschluss aber schon wieder gerissen. 
Greiz liegt nicht in Sachsen, sondern in Thüringen. Ich kenne die Situation dort zu wenig. Aber klar ist doch, dass es einen Unterschied macht, ob sie einen Ausbruch in einem Altenheim haben, der örtlich klar begrenzt ist und deshalb auch isoliert werden kann, oder ob ein Flächenbrand entsteht, weil man die Erkrankten nicht mehr lokalisieren kann. Genau diesen Flächenbrand wollen wir mit den jetzigen Maßnahmen verhindern. Es darf zu keiner unkontrollierten Ausbreitung kommen. 

Wer in Deutschland darauf hingewiesen hat, dass die Schweden auch ohne Verbote gut durch die Krise kommen, wurde schnell in die Nähe von Verschwörungstheoretikern gerückt. Warum eigentlich?
Nicht jeder, der die Maßnahmen kritisiert, ist gleich ein Verschwörungstheoretiker. Aber ich weise darauf hin, dass die Legende, Schweden sei ganz ohne Verbote durch diese Krise gekommen, sachlich falsch ist. Schweden hat eine ganze Menge an Maßnahmen ergriffen, die der Eindämmung von Corona dienten. Und auch der Kurs der dortigen Regierung ist innerhalb Schwedens und in den angrenzenden Ländern alles andere als unumstritten. Das gehört zur Wahrheit dazu.

Viele Menschen, die jetzt gegen die Corona-Demonstration demonstrieren, beklagen, dass sich ein Lockdown leicht verordnen lässt, wenn davon nicht die nächste Mietzahlung abhängt. Angesichts der Kontaktsperren hat die Politik gerade wenige Möglichkeiten, dieser Haltung etwas entgegenzusetzen, weil die Veranstaltungen im Wahlkreis erstmal gestrichen sind. Brauen sich gerade einige gefährliche Kollateralschäden dieser Pandemie zusammen?
Ich sehe mit Sorge, dass diese Krise von einigen Menschen als Vorlage für Falschinformationen und politische Instrumentalisierung genutzt wird. Denken Sie an die Debatte über eine Impfpflicht. Ich würde mich sehr gern impfen lassen, sobald es einen Wirkstoff gibt. Aber wer jetzt auf bösartige Weise versucht, die Menschen zu spalten, indem er behauptet, die Regierung wolle einen Impfzwang einführen, dem muss ich sagen: Das stimmt nicht. So eine Krise wird lebensgefährlich, wenn Populisten die Macht haben, und wir können froh sein, dass das in Deutschland nicht der Fall ist. Ich glaube, die Bürger sehen gerade ganz genau, wer es ernst meint und Verantwortung übernimmt oder wer sich nur Gedanken darüber macht, wie man den größten Profit aus dieser Krise zieht. Ich habe an dieser Stelle großes Vertrauen in die Sensibilität der Menschen.

In den Umfragen legt die Union aktuell kräftig zu – aber wir stehen am Anfang der Krise. Was passiert, wenn aus der Kurzarbeit Massenarbeitslosigkeit wird?
Wir dürfen den Blick nicht nur auf Deutschland verengen. In einer globalen Welt liegt es nicht nur in unserer Hand, wie gut wir wirtschaftlich durch diese Krise kommen. Viele Länder haben beim IWF um Hilfe angefragt, Lieferketten sind beeinträchtigt, mit Amerika und Russland sind ganze Märkte weggebrochen, kurzum: Corona ist der Auslöser einer weltweiten Wirtschaftskrise. Das bereitet uns allen große Sorge. Aber wir haben gehandelt, etwa mit dem Kurzarbeitergeld oder den Sofortmaßnahmen für Unternehmen. Zur Wahrheit gehört aber auch dazu: Wir werden die Auswirkungen dieser Krise nicht vollständig abfedern können. 

Hat diese Krise das Zeug, unser Leben nachhaltig zu verändern?
Ich bezweifle, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für philosophische Debatten ist. Erstmal müssen wir durch diese schwierige Phase kommen. Meine Hoffnung ist, dass wir in naher Zukunft einen Impfstoff haben. Der Blick in die Vergangenheit macht mir Hoffnung: Wenn ich an die spanische Grippe denke, an SARS oder die Geflügelpest, ist der Alltag immer schnell zurückgekommen.

Haben Sie für dieses Jahr noch Hoffnung auf Baden an der Algarve oder Kiten auf Mallorca?
Wir müssen in den kommenden Wochen klar beschreiben, unter welchen Bedingungen wirtschaftliches, gesellschaftliches und soziales Leben verantwortbar ist. Ich sehe mit großer Freude, dass die Wirtschaft gerade sehr kreativ ein Hygienekonzept nach dem nächsten aufstellt. Diesen Ideen sollten wir keine Grenzen setzen. Aus meiner Sicht sind 1,50 Meter Abstand und Mundschutz ausreichende Schutzinstrumente, mit denen vieles möglich sein kann – auch baden im Sommer. Ob das aber in diesem Jahr an der Algarve stattfinden kann, haben nicht wir zu entscheiden. Man kann es den Ländern nur wünschen, dass sie ähnlich gut durch diese Krise kommen, wie wir. 

Was ist Ihre Strategie, mit der Krise umzugehen?
Diese Situation ruft nach Maß und Mitte, nach sorgfältiger Reflektion. Das bedeutet für mich zweierlei: Sich nicht von einzelnen Studien und Wortmeldungen beirren zu lassen. Und so viel wie möglich zu erklären. Das geht gerade weniger im persönlichen Kontakt, aber für eine Weile über Facebook oder Skype. Wenn wir unsere Zuversicht und Umsicht nicht verlieren, kommen wir gut durch diese Krise.  

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