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Jens Spahn neben Christian Drosten und RKI-Chef Lothar Wieler /dpa

Wissenschaft und Politik in der Corona-Krise - Demokratie ist kein Mittel zum Zweck

In der Corona-Krise wird Politik entpolitisiert und Wissenschaft politisiert. Doch die Demokratie ist kein Mittel zum Zweck, sondern ein Freiheitsrecht. Und das beinhaltet das Recht, auch falsche Entscheidungen treffen zu können.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Politik ist das Gegenteil von Wissenschaft, auch wenn manche Ideologen immer das Gegenteil behauptet haben. Und so verwundert es nicht, dass jene Regime am kläglichsten gescheitert sind, die von sich behaupteten, Politik auf wissenschaftlicher Grundlage zu machen.

Das konnte allerdings nicht verhindern, dass der Glaube an eine wissenschaftliche Politik weit verbreitet ist. Mehr noch: Demokratische Verfahren und Entscheidungen werden von vielen Menschen zunehmend als mangelhaft wahrgenommen. Denn demokratische Entscheidungen basieren auf unterschiedlichen Interessen, Vorlieben und Präferenzen. Am Ende stehen zumeist Kompromisse.

Kein Mittel zum Zweck

Die sind im seltensten Fall in einem wissenschaftlichen Sinne rational. Doch wissenschaftliche Rationalität und demokratische Rationalität sind eben zwei paar Schuh. Wären sie identisch, bräuchte man keine demokratischen Institutionen, sondern einfach eine Diktatur der renommiertesten Wissenschaftler: Wozu abstimmen, wenn Wahlen am Ende nur zu falschen Entscheidungen führen?

Der Fehler an diesem Ansatz: Demokratie ist kein Mittel zum Zweck. Ihr Ziel sind nicht bessere Entscheidungen, sondern demokratische. Demokratie ist ein Freiheitsrecht. Und das umfasst eben auch das Recht, sich zu irren. Demokratie ist das Recht des Volkes, falsche Entscheidungen zu treffen – was immer „falsch“ im Einzelnen bedeuten mag.

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Ernst-Günther Konrad | Sa., 9. Mai 2020 - 10:01

Ich stehe Drosten und Wieler kritisch gegenüber, mich überzeugen Wodarg, Bhakdi und andere Fachleute. Ich sage nicht, dass die letztgenannten recht haben. Wer will schon alles Wissen über das Virus, das bis heute keiner kannte und das die Wissenschaft erst noch kennen lernen muss.
Nur wer keinen offenen wissenschaftlichen Diskurs zuläßt und jede nicht regierungskonforme Kritik als Populismus, Verschwörungstheorie oder gar Leugnung versucht zu diffamieren, braucht sich nicht zu wundern, das Bürger eine Alternative zur Alternativlosigkeit suchen. Ja, Politik und Wissenschaft sind zwei paar Schuhe. Nur haben es sich die Politlaien inzwischen feige sehr einfach gemacht, durch Wissenschaft, NGO's und Gerichte sich ihre eigenen Entscheidung begründen zu lassen. Ich schlage deshalb auf Drosten und Wieler nicht ein, nur weil sie eine andere Einschätzung haben. Politik muss gesamtgesellschaftspolitisch analysieren und entscheiden. Genau das passiert eben nicht, weil alles ideologisiert wird.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 9. Mai 2020 - 10:04

"wurden noch nicht des Landes verwiesen"?
Ich kenne nur Drosten-Whieler und Kekulé, aber das gehört für gestandene Demokraten und entsprechende Medien dazu, dass solche Positionen nicht in einem Eigeninteresse ausgenutzt werden.
Ich fand den Umgang untereinander moderat.
Meine Ansicht bis hierher ist, dass die Deutschen Hitler zwar gewählt haben, vielleicht sogar als Führer, nicht aber für eine Diktatur, deren Ausmasse evtl. auch nur schleichend sichtbar wurden.
Bis man es evtl. vom Ende her beurteilen konnte, war es auch schon das Ende Deutschlands.
Hätte es Hitler nicht gegeben, wäre eine derartige Zuspitzung evtl. nicht möglich gewesen.
Hitler aber inszenierte sich als gottgleichen Führer, mindestens als Himmelsgeschenk für Deutschland.
Beginnende Massenmedien und das war der Anfang vom Ende.
Unsere parlamentarische Demokratie ist vielfältig strukturiert, "jedes Ding hat seine Zeit" und Verbesserungsvorschäge ergeben sich ZUSAMMEN im alltäglichen/ständigen Umgang oder im Krisenmodus

Jürgen Keil | Sa., 9. Mai 2020 - 10:12

Aus dem Essay "Wissenschaft im Gleichschritt", von Boris Kotchoubey. Zitat:
"Wie der amerikanische Wissenschaftshistoriker und Kolumnist der Zeitschrift "Nature" Daniel Sarewitz 2014 schrieb, genießen Wissenschaftler immer noch ein viel höheres Ansehen als Politiker. Indem aber erstere sich immer stärker parteipolitisch engagieren, heben sie nicht das Ansehen der Politiker auf ihr eigenes Niveau, sondern laufen Gefahr, auf das Niveau der Politiker zu sinken." Dem Leser oder Zuschauer wird meistens nur die eine Expertenmeinung präsentiert, welche die Medien für politisch opportun halten. Das der Zuschauer sich nach Aufzeigen der immer vorhandenen unterschiedlichen wissenschaftlichen Meinungen, daraus selbst eine Meinung bilden könnte, dafür hält man ihn wohl für zu dumm.
Thomas Schmid, Herausgeber der Welt: „Ein wenig Vertrauen in die Vernunft der Regierenden täte derzeit not.“ Man könnte in diesem Spruch „Regierende“ auch durch "Bürger" ersetzen!

Horst Kessler | Sa., 9. Mai 2020 - 12:12

Nun kommen sie alle aus ihren Löchern und Reden von Freiheit und Demokratie.Ich möchte bezweifeln dass ein Alexander Grau es gewagt hätte so einen Artikel zu schreiben.Über Diktatur durch die Wissenschaft zu reden ist in meinen Augen eine Unverschämtheit.Zu beginn der Pandemie war die Politik ein wirrer Hühnerhaufen in deren Stall ein Fuchs der sich Corona nennt eingedrungen ist.Da war die Wissenschaft stark gefragt.Da muss man sich doch fragen ob plötzlich alle Staaten von der Diktatur der Wissenschaft befallen waren.Herr Grau hätte lieber über Mängel die in der Krise offensichtlich wurden philosophieren sollen.Die vielen Demokratie und Freiheits Apostel die wie Pilze nach einem warmen Regen aus dem Boden schießen verhalten sich wir Patienten die ihren Arzt der Freiheitsberaubung beschuldigen weil der Bettruhe verordnet hat. Herr A.Grau bei der nächsten Pandemie werden Sie gefragt statt ein C.Drosten.

F.Oldenburg | Sa., 9. Mai 2020 - 12:25

Unsere derzeitige Regierung verwechselt nicht Politik mit Wissenschaft, sie versteckt sich hinter der Wissenschaft. So kann Frau Merkel das tun, was sie am liebsten tut - "moderieren", Macht innehaben ohne Verantwortung zu übernehmen. Die von ihr bevorzugten Wissenschaftler (Drosten versus Bhakdi? Bhakdi findet man nur nach längerer Recherche auf youtube, Drosten sitzt zur Rechten der Kanzlerin und predigt im täglichen (!) NDR Podcast) dozieren vor sich hin und übernehmen explizit auch keine Verantwortung. Ja," Entpolitisierung, Expertokratie und Entdemokratisierung" auf breitester Front, und dabei die weitreichendsten Eingriffe in die Grundrechte der Bürger. Ein beängstigender Zustand. Ich hoffe auf neue Köpfe, die wieder bereit sind, Politik zu machen, selbst zu denken, zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen.

Manfred Bühring | Sa., 9. Mai 2020 - 14:26

"Denn demokratische Entscheidungen basieren auf unterschiedlichen Interessen, Vorlieben und Präferenzen. Am Ende stehen zumeist Kompromisse." In unserer von hysterischen Untergangsprophezeiungen getriebenen Zeiten, befeuert durch auflagenfixierten Medien, findet ein demokratischer Interessenausgleich, auch unterschiedlicher wissenschaftlicher Auffassungen, eben nicht mehr statt. Denn alles "Abweichende" wird entweder ignoriert (ör Medien, Talkshows, streitbare Politik etc.) oder in die Schmuddelecke von Verschwörungstheorie, unwissenschaftlich, Minderheitenmeinung (in der Wissenschaft kann Mehrheit KEIN Kriterium für richtig oder falsch sein!), Klima-/Feinstaub-/Corona-Leugner, schlimmstenfalls rechts, AfD oder - ultima ratio - nazi gedrängt. Genau so schafft sich Demokratie ab und öffnet Tür und Tor für die Sehnsucht nach dem starken Mann/der starken Frau. Die Handhabung der "Corona-Krise" durch Politik und RKI-dominierte "Wissenschaft" wird so in die Geschichte eingehen.

Jürgen Scheit | Sa., 9. Mai 2020 - 16:54

Herr Grau hat das Kernproblem unserer Zeitgeistpolitiker genau erfasst:
Ausnahmslos Alle in politisch leitender Position – vorweg AM – kaschieren ihre fachliche Inkompetenz und persönlichen Defizite & Unfähigkeiten mit allen möglichen meist selbsternannten 'Experten' für dies & jenes, denn sie haben neurotische Angst vor Fehlentscheidungen.
Hierbei fallen sie einem geistigen Urgesetz zum Opfer: Wer selbst Null-Kenntnis von der betreffenden Materie hat, kann gar nicht erkennen, ob der beratende Experte ihm Mist erzählt oder etwas Richtiges & Brauchbares. Und wer immer den Experten vorgeben und entscheiden lässt, was zu tun ist, macht sich selbst überflüssig. Er zeigt damit seine hochgradige 'selbstverschuldete Unmündigkeit', wie sie derzeit 'in' ist und den Weg in die 'Neue Normalität' ebnet.
Kant hatte es richtig erkannt: Es ist sooo bequem unmündig zu sein. In der Politik mündet bequemes Verharren in selbstgewählter Unmündigkeit in kollektive Verantwortungslosigkeit. Chaos droht!

Gisela Fimiani | Sa., 9. Mai 2020 - 18:28

Churchills ironische Ausspruch: „Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen, mit der alleinigen Ausnahme aller anderen Regierungsformen“ bleibt wahr. Deutschland wurde nach WWII die Demokratie verordnet. Wer aber verwandelte es in das erste postpolitische Land der Moderne? Die Deutschen selbst trauten sich von vornherein nur eine eingeschränkte Demokratie zu, indem sie den Parteien, mittels Verhältniswahlrecht und Listenplätzen, mehr Macht einräumten als dem Souverän. Ein Volk, das nie lernen durfte oder musste, dass die Demokratie eben „kein Mittel zum Zweck“ ist, das sich von der Idee des „väterlichen“ Staates nie löste, weist zwangsläufig eine entsprechende Politmentalität auf. Nicht freiheitlich bürgerlich, sondern entlang von Parteien wird gedacht. Risiken,allen Demokratien inhärent, müssen vermieden werden. Vater Staat möge weitestgehend sorgen und versorgen. Er wird es mit geneigten „Experten“ tun,um jeden Zweifel an seiner einverleibten Omnipotenz zu zerstreuen

Christa Wallau | Sa., 9. Mai 2020 - 20:27

... nicht mehr sauber voneinander getrennt.
Dasselbe gilt für Wissenschaft und Wirtschaft.

Ich weiß nicht, wie es in anderen Ländern ist (höchstwahrschienlich nicht viel anders), aber in DE besteht kaum noch u n a b h ä n g i g e
Forschung, seit fast ausschließlich Gelder von großen Firmen in die Institute und Labore fließen.
Echte und notwendige Grundlagenforschung wird daher kaum noch betrieben. Alles dient kurzfristigen Eigeninteressen.

In der Soziologie, Geschichts- und Politikwissenschaft sowie anderen Geisteswissenschaften ist es nicht viel anders: Hier kommt das Geld von der Politik (Parteien) bzw. Medien-Mogulen.

Was man von derart "gesponserten" Einrichtungen
und ihren Vertretern an Sachlichkeit und Neutralität zu erwarten hat, mag sich jeder selber fragen und beantworten.

Es ist schon sehr auffällig, dass seit 2015 (Beginn der Flüchtlingskrise!) in den Medien die Politikwissenschaftler wie Pilze aus dem Boden schießen! Noch erstaunlicher ist, dass diese Experten zumeist links und Gewerkschafter oder Grüne sind oder SPD-nah bzw. in der LINKEN verwurzelt. Mein Eindruck ist, dass die Politik ihre Entscheidungen und Alleingänge nicht mehr plausibel erklären kann und deshalb "fremde Hilfstruppen" - Spezialisten, Experten und Politikwissenschaftler - zur Untermauerung des nicht zu Erklärenden hinzuziehen muss!

helmut armbruster | So., 10. Mai 2020 - 10:14

bräuchte die Führungsriege unseres Landes.
Aber woher nehmen?
Beides kann man nicht durch ein Studium erlernen.
Daher gibt es auch keinen akademischen Abschluss in Weisheit oder Fingerspitzengefühl.
Es ist wie bei der Kunst. Man muss damit geboren werden, sie in sich fühlen und sie leben. Zwar kann man Kunst und Kunstgeschichte studieren, ein wirklicher Künstler ist man damit noch lange nicht.