Deutscher Ethikrat - Alena Buyx und der Balken im Auge

Alena Buyx, Vorsitzende des Ethikrates, bedauert, dass es „uns genommen wurde, die Jahre der Pandemie aufzuarbeiten“. Das ist reinste Heuchelei, die von eigenem Versagen und Fehleinschätzungen ablenken soll. Der Ethikrat zeigt damit erneut, wie überflüssig er ist.

Ethik kann offenbar auch Spaß machen: Alena Buyx vor der Bundespressekonferenz / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Vergangenheitsbewältigung ist eine deutsche Spezialdisziplin. In der Bewältigung der Vergangenheit macht uns niemand etwas vor. Die deutsche Wirtschaft schwächelt, die Bahn fährt kaum noch pünktlich, und der deutsche Fußball ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Aber in Sachen Vergangenheitsbewältigung sind wir auf ewig Weltmeister – könnte man zumindest meinen.

Aber ganz so einfach ist die Sache nun auch wieder nicht. Selbst bei dem Thema der kritischen Aufarbeitung allerjüngster Geschichte zeigt man in Deutschland inzwischen erkennbare Schwächen. Ein schönes Beispiel dafür lieferte jüngst (um genau zu sein: am 17. September im heute journal) Alena Buyx, die Vorsitzende des deutschen Ethikrates.

„Uns ist es ja genommen worden“, so Frau Buyx zur besten Sendezeit, „nach dieser furchtbaren Zeit der Pandemie, gemeinsam aufzuarbeiten und zu heilen. Und das wäre so wichtig gewesen, gerade mit Blick auf die Jungen. Da gab es so eine unerwiderte Solidarität – so haben wir das genannt –, und ich würde mir wirklich wünschen, dass wir da stärker hingucken.“

Zwangsmaßnahmen in einen Akt der Solidarität umzumünzen, ist unverschämt

Man muss die Worte tatsächlich sacken lassen. Denn auf den ersten Blick wirken sie ein wenig wie der übliche Betroffenheitskitsch, mit dem Verantwortliche offensichtlich meinen, beim Publikum Pluspunkte sammeln zu können. Doch hinter dem leicht süßlichen Schwulst von Frau Buyx’ Worten verbergen sich zumindest zwei beachtliche Gedankengänge, die es lohnt, genauer anzuschauen. Beginnen wir von hinten.

Von „unerwiderter Solidarität“ der Jungen spricht Buyx und meint damit wohl, dass in den Jahren 2020 und 2021 monatelang Kindergärten und Schulen geschlossen wurden, was Kinder und Jugendliche nicht nur daran hinderte zu lernen, sondern auch daran, ihre Freunde zu treffen, Sport zu treiben, sich zu bewegen und all das zu tun, was für ihre Entwicklung so wichtig ist. Das wäre an sich schon fragwürdig. Geradezu zynisch wird die Sache jedoch, wenn sie im weinerlichen Ton der Dankbarkeit daherkommt, verpackt in den Vorwurf der unerwiderten Solidarität seitens der Erwachsenen.

 

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Denn nicht erwiderte Solidarität setzt Solidarität voraus. Und Solidarität erfolgt freiwillig. Doch die Kinder und Jugendlichen haben nicht aus freien Stücken solidarisch gehandelt, sie wurden gezwungen. Durch Beschlüsse von Ministerpräsidenten, durch Beschlüsse der Bundesregierung und nicht zuletzt mit Segen des Ethikrates, dem Frau Buyx vorsitzt. Mehr noch: Die Heranwachsenden wurden in eine Situation genötigt, die ihnen teilweise erheblich geschadet hat, ihre Freiheitsrechte massiv einschränkte und zudem epidemiologischer Nonsens war. Diese Zwangsmaßnahmen seitens der Regierung in einen Akt der Solidarität der Jugendlichen umzumünzen, ist schlicht unverschämt.

Noch dreister wird die Aussage von Buyx’, wenn man sie vor einen allgemeingesellschaftlichen Hintergrund hält. Denn wer genau hat denn die Regierung ethisch beraten? Wer genau hat während der Pandemie jede Grundrechtsverletzung, jede Beschränkung der Freiheit mitgetragen? Es war unter anderem: der deutsche Ethikrat. Und es war dessen Vorsitzende Alena Buyx, die es zur moralischen Pflicht erklärte, sich impfen zu lassen, und noch im November 2021 die Maßnahmen „schrittweise hocheskalieren“ wollte.

Es gibt keine Fachleute für das Gute und Richtige

Fangen wir beim Grundsätzlichen an: Kein Mensch braucht einen Ethikrat. Ein Ethikrat suggeriert, es gebe Fachleute für das Gute und Richtige. Die gibt es aber nicht. Frau Buyx hat auch keine bessere Einsicht in das Gute als eine Verkäuferin oder Kassiererin. Sie kann ihre persönliche Sicht der Dinge nur rhetorisch besser verkaufen. Aber wer sollte daran Interesse haben?

Ein Ethikrat ist nicht mehr als ein Moral-Feigenblatt der Regierung, das umstrittenen Entscheidungen den Anstrich wissenschaftlich abgesegneter Moralität verleihen soll.

Wie überflüssig der Ethikrat faktisch ist, demonstriert zurzeit seine Vorsitzende, die nicht einmal in der Lage ist, den Balken im eigenen Auge zu sehen. Wenn es ihr ernst wäre mit dem Aufarbeiten der Corona-Jahre, könnte sie jederzeit beginnen: nämlich bei sich selbst. Etwa bei ihren zahllosen Interviews, in denen sie Maßnahmen forderte, die unser aller Grundrechte missachteten, und Impfungen anpries, die nicht annähernd das bewirkten, was Frau Buyx behauptete. Aber Aufarbeitung an die Gesellschaft delegieren ist natürlich einfacher. Das Positive an dieser Posse: Der Ethikrat zeigt damit eindrücklich, wie überflüssig er ist. Man sollte daraus die Konsequenzen ziehen.

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