Debattenkultur - Angriff auf den Warner

Prominenten Muslimen wie Ahmad Mansour, die sich gegen Islamismus engagieren, wird von sich für besonders kritisch haltenden Zeitgenossen gerne eine Nähe zum Rechtsextremismus unterstellt. Ein ebenso absurder wie bösartiger Vorwurf.

Im Visier der Twitterati: der Psychologe und Autor Ahmad Mansour / picture alliance/dpa | Sina Schuldt
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Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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Jetzt hat es den deutsch-israelischen Psychologen Ahmad Mansour erwischt: Nutzer auf Twitter, einer davon mit vielen Followern und hoher Medienpräsenz, werfen ihm Islamfeindlichkeit vor, teils gar „Berührungspunkte“ zu Rechtsextremisten. Im Ozean der Tweets mögen die Angriffe ein Tropfen sein, Aufmerksamkeit verdienen sie dennoch. Denn sie stehen für ein Phänomen, das sich auch jenseits der sozialen Medien beobachten lässt: die Verwechslung, ob aus Unwissen oder absichtsvoll, der Weltreligion Islam mit der Ideologie des Islamismus – und die pauschale Verurteilung jener, die vor dieser Ideologie warnen.

Ahmad Mansour gehört in der bundesdeutschen Öffentlichkeit zu den ausdauerndsten dieser Warner. Weil er seine Meinung oft scharf formuliert, macht er sich nicht nur Freunde. So weit, so harmlos: Der Austausch von Argumenten, gerade, wenn es unbequem wird, hält das Individuum geistig gelenkig und die demokratische Debatte am Leben.

Entscheidend ist dabei jedoch ein Wort: das Argument. Den Muslim Ahmad Mansour, der sich seit Jahren gegen Extremismus aller Couleur einsetzt, als „Islamfeind“ zu verunglimpfen, ist nicht nur absurd. Es beendet auch die Debatte, bevor sie beginnt. Debatten jedoch wollen in einer demokratischen Gesellschaft geführt, nicht vermieden werden. Wie wir alle dürfte sich auch Ahmad Mansour zuweilen irren. Doch allein aufgrund seiner Biografie – er hing einst selbst einer islamistischen Gruppe an und arbeitet heute in der Extremismusprävention mit muslimischen Jugendlichen – hat er mehr zum Thema Islamismus zu sagen als die meisten von uns.

Gewaltfrei heißt nicht harmlos

Und was er zu sagen hat, geht uns alle an. Schließlich ist Islamismus keine „Terrororganisation, wenn Sie so wollen“, wie die SPD-Vorsitzende Saskia Esken einmal im ZDF behauptete, sondern eine Ideologie, deren Anhänger sich zwar auf „den Islam“ berufen, darunter aber eine sehr enge und politisierte Auslegung dieser Weltreligion verstehen. Im Gegensatz zur islamischen Religion ist die Ideologie des Islamismus ein Phänomen der Moderne und eine Reaktion auf sie, entwickelt und propagiert von Denkern wie Hassan Al-Banna und Sayyid Qutb zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gewiss kommt auch der Islamismus heute in vielen Formen daher: Die Terroristen von Al-Qaida gelten ebenso als Islamisten wie die sogenannte gemäßigt-islamistische Partei Ennahda in Tunesien und die Ra’am-Partei in Israel, die sogar Teil der regierenden Koalition ist. Gemein haben diese Bewegungen jedoch ein allumfassendes Weltbild und den Wunsch, die Gesellschaft nach islamistischen Vorstellungen zu ordnen.

Dass viele von ihnen dabei gewaltfrei vorgehen, bedeutet nicht, dass sie harmlos sind. Mit den freiheitlichen, demokratischen Werten, die so viele christliche, jüdische, muslimische und atheistische Bürger hierzulande schätzen, ist die islamistische Ideologie nicht vereinbar. Es ist legitim und wichtig, dass Ahmad Mansour darauf hinweist.

Unter dem Deckmantel harmlos klingender Vereine

Wichtig nicht zuletzt für viele Muslime, wie er selbst einer ist. Den Unterschied zwischen Islamismuskritik und Islamfeindlichkeit zu verwischen, bedeutet nichts anderes, als Islamisten mit Muslimen gleichzusetzen. Und das wäre tatsächlich eine fatale Ungerechtigkeit gegenüber all jenen Muslimen, die mit der islamistischen Ideologie ebenso wenig anfangen können wie ihre nichtmuslimischen Mitbürger.

In der Gleichsetzung von Islam und Islamismus liegt noch eine weitere Gefahr. Auch in Deutschland agieren islamistische Organisationen, oft unter dem Deckmantel harmlos klingender Vereine, um Spenden einzutreiben, Mitglieder zu werben und Propaganda zu verbreiten. Nachlesen lässt sich das regelmäßig in den Berichten des Verfassungsschutzes. Darüber zu sprechen, ist nicht anstößig, sondern angebracht. Wer dieses Gespräch zu unterdrücken sucht, spielt den wahren Rechtsextremisten in die Hände: Die nämlich können sich dann als jene politische Kraft inszenieren, die als einzige sensible Themen anfasst. Und das ist tatsächlich gefährlich. Überlassen wir das Wort lieber Experten wie Ahmad Mansour.

 

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