Debatte um Renten - Man kann die Rentner auch arm rechnen – wenn man das will

Ist Altersarmut in Deutschland ein verbreitetes Problem? Zahlen des Statistischen Bundesamtes scheinen dies zu bestätigen, Medien und Politik schlagen Alarm. Doch Vorsicht: In der Statistik werden auch Ärzte und Anwälte zu „Kleinrentnern“.

Dekofiguren in Form eines Rentner-Ehepaares / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

So erreichen Sie Hugo Müller-Vogg:

Anzeige

Vier von zehn Rentnern müssen mit weniger als 1250 Euro netto im Monat auskommen, jeder vierte Rentner sogar mit weniger als 1000 Euro. So berichteten in diesen Tagen die meisten Medien. Und wer wollte das bezweifeln? Schließlich stammen die Zahlen vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden, also einer seriösen Quelle. Der Linken-Politiker Dietmar Bartsch, der diese Zahlen in Wiesbaden erfragt hatte, kommentierte diese so: Sie seien ein „Armutszeugnis für unser Land“. Deshalb müssten alle Renten „einmalig und zusätzlich“ um zehn Prozent erhöht werden, um zumindest die Inflation auszugleichen. Die meisten Medien stimmten in diesen Tenor ein. Schließlich gibt es – nicht nur bei den Sozialverbänden – die Neigung, das Land arm zu rechnen.

Die meisten Rundfunksender und Zeitungen verzichteten in ihren Schlagzeilen („Vier von zehn Rentnern haben weniger als 1250 Euro netto“, so beispielsweise die „Tagesthemen“) auf ein wichtiges Detail: Diese Zahl bezog sich allein auf das, was die Deutsche Rentenversicherung den Ruheständlern überweist. Das heißt nicht, dass 42 Prozent der Rentner weniger als 1250 Euro und 26 Prozent sogar weniger als 1000 Euro zum Leben hätten. Die meisten haben nämlich mehr, deutlich mehr.

Nur drei Prozent sind auf Grundsicherung angewiesen

Für die meisten Ruheständler ist die gesetzliche Rente die wichtigste, aber nicht die einzige Einnahmequelle. Hinzu kommen Betriebsrenten, Bezüge aus berufsständischen Versorgungswerken und privaten Rentenversicherungen oder Zusatzleistungen für ehemalige Angestellte im öffentlichen Dienst. Nicht wenige Rentner verfügen zudem über Kapital- und Mieteinkünfte. Kurzum: Die Rentner sind keinesfalls so arm, wie sie gerne dargestellt werden.  

Der „Alterssicherungsbericht“ der Bundesregierung aus dem Jahr 2020 belegt dies. Demnach lag das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen von Ehepaaren über 65 Jahren bei monatlich 2907 Euro, das von alleinstehenden Männern bei 1816 Euro. Alleinstehende Frauen kommen mit durchschnittlich 1607 Euro auf ein geringeres Einkommen, liegen dennoch deutlich über den viel zitierten 1250 Euro. Und: Laut Bundesregierung sind nur gut drei Prozent der 65-Jährigen und Älteren auf Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen.

Dass die Höhe der gesetzlichen Rente nicht automatisch etwas über die finanzielle Lage der Älteren aussagt, liegt auf der Hand. Der „Kleinrentner“ mit weniger als 1000 Euro kann durchaus ein ehemaliger Arzt oder Anwalt sein, der einige Jahre lang als Angestellter gearbeitet hat und für diese kurze Zeit der Beitragszahlung eine niedrige Rente bezieht. Dass er zusätzlich von einem berufsständischen Versorgungswerk deutlich höhere Beträge erhält, wird in der Statistik der gesetzlichen Rentenversicherung natürlich nicht erfasst.  

Armutsgefährdung ist nicht gleich Armut

Wenn über Altersarmut gesprochen wird, stehen die Frauen im Mittelpunkt. So auch in den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts. Demnach bekommen 54 Prozent der Rentnerinnen weniger als 1250 Euro im Monat. Damit liegt jede Zweite unter der Armutsgefährdungsgrenze von 1251 Euro. Weil die meisten Medien Armutsgefährdung mit Armut gleichsetzen, fällt dann die Hälfte aller Rentnerinnen schnell in die Kategorie arm.
 

Das könnte Sie auch interessieren:


Doch die Zahl der Frauen mit so niedrigen Renten sagt nicht viel über deren tatsächliche wirtschaftliche Lage aus. Die im Vergleich zu den Männern niedrigeren Renten hängen insbesondere in alten Bundesländern damit zusammen, dass viele Frauen zugunsten von Kindern und Familie ihre Berufstätigkeit eine Reihe von Jahren unterbrochen oder ganz eingestellt haben. Entsprechend niedrig sind die Rentenansprüche.

„Die heutige Rentnergeneration ist überwiegend gut versorgt“

Nicht jede Rentnerin mit 1250 Euro oder weniger lebt allein. Wenn der Partner deutlich höhere Altersbezüge hat, sieht die Welt schon wieder anders aus. Auch verbessert eine Witwenrente zusätzlich zu den eigenen Rentenansprüchen die wirtschaftliche Lage deutlich. Weniger als 1250 oder 1000 Euro im Monat ist also auch bei Frauen nicht gleichzusetzen mit Altersarmut. Viele in den Medien bemitleidete Kleinrentnerinnen leben an der Seite eines einst wirtschaftlich erfolgreichen Gatten im Wohlstand.

Die Bundesregierung stellte 2020 also aus gutem Grund fest: „Die heutige Rentnergeneration ist überwiegend gut versorgt.“ Gleichwohl gibt es Rentner und Rentnerinnen mit extrem niedrigen Renten. Zudem muss zwischen den alten und den neuen Bundesländern unterschieden werden. Die Ostdeutschen konnten zu DDR-Zeiten viel weniger Vermögen aufbauen, auf das sie im Alter zurückgreifen können, als die Westdeutschen. 

Gleichwohl werden von den linken Parteien wie von vielen Medien aus durchsichtigen politischen Gründen ständig die „armen Rentner“ als Beleg für die angebliche Ungerechtigkeit des „Systems“ herangezogen. Dabei sind die jüngst veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamtes ein willkommenes Beweismittel. Doch auch aus richtigen Zahlen kann man die falschen Schlüsse ziehen – wenn man das will.

Anzeige