Cum-Ex-Skandal - „Olaf Scholz macht sich erpressbar“

In der Cum-Ex-Affäre um Steuerbetrug durch trickreiche Aktiendeals spielt die Hamburger SPD eine dubiose Rolle. Für den möglichen Bundeskanzler Olaf Scholz könnte das noch gefährlich werden, warnt der Finanzexperte und ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken Fabio De Masi.

Ex-Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nach einer Sitzung des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses in Hamburg. / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Fabio De Masi ist Finanzexperte der Linkspartei. Von 2014 bis 2017 war er Mitglied des Europäischen Parlaments und von 2017 bis 2021 Abgeordneter im Bundestag. Er hat dort die Aufklärung des Cum-Ex-Skandals vorangetrieben. Auf eine erneute Kandidatur verzichtete er.

Herr De Masi, in der zurückliegenden Woche durchsuchten Ermittler die Wohnungen und Büros von ehemaligen SPD-Politikern sowie Finanzbehörden in Hamburg. Wie gefährlich wird das für Olaf Scholz?

Der Cum-Ex-Skandal rückt noch weiter an ihn heran. Der Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, dessen Wohnung nun auf Antrag der Staatsanwaltschaft Köln durchsucht wurde, war lange Jahre einer der wichtigsten Strippenzieher der Hamburger SPD. Als der Chef der Hamburger Privatbank M.M.Warburg & Co die Unterstützung der Politik suchte, um eine Rückforderung der Cum-Ex-Millionen abzuwehren, stellten Kahrs und der ehemalige Innensenator Alfons Pawelczyk für ihn den Kontakt zu Olaf Scholz her.

Scholz war zu dieser Zeit Erster Bürgermeister von Hamburg. Was hat er für den Bankier getan?

Herr Scholz hat sich während des laufenden Ermittlungsverfahrens dreimal mit dem Warburg-Bankier Christian Olearius getroffen, dem nun eine Haftstrafe droht. Damals gab es bereits Durchsuchungen bei der Warburg-Bank. Olaf Scholz hat diese Treffen trotz Befragungen dazu im Bundestag erst dann eingeräumt, nachdem Medien ihn mit entsprechenden Tagebucheinträgen von Herrn Olearius konfrontiert hatten. Angeblich habe er sich an die Treffen nicht erinnert. Er wollte aber ganz genau wissen, dass er dort nichts Schlimmes besprochen habe.

Um was könnte es denn bei den Treffen gegangen sein?

Fabio De Masi im Bundestag / dpa

In der Akte zum ersten Treffen von Scholz und Olearius sowie in dessen Tagebüchern steht ganz klar drin: Es ging um die kriminellen Cum-Ex-Geschäfte und somit um etwaige Rückforderungen des Finanzsamts in zweistelliger Millionenhöhe. Herr Scholz hat mittlerweile auch eingeräumt, dass es darum ging. Durch trickreiche Aktiendeals hatte sich die Warburg-Bank Kapitalertragssteuern erstatten lassen, die sie zuvor gar nicht gezahlt hatte. Auch andere Banken haben diese sogenannten Cum-Ex-Geschäfte betrieben. Zwar war die Rechtslage damals noch nicht eindeutig geklärt, aber die zuständigen Betriebsprüfer des Finanzamts in Hamburg wollten das Geld von der Warburg-Bank zurückfordern. Denn es gab dazu erste Urteile, und Hamburg hatte auch bereits in einem anderen Cum-Ex-Fall durchgegriffen.

Der Bundesgerichtshof hat die Cum-Ex-Deals inzwischen für illegal erklärt.

Ja. Herr Scholz behauptet auch, er habe Cum Ex schon immer für kriminell gehalten. Warum hat er das dann Herrn Olearius nicht gesagt und ihn drei Mal dazu getroffen? Schlimm finde ich in diesem Zusammenhang auch, dass die Hamburger SPD Parteispenden der Warburg-Bank angenommen hat und Herr Scholz das kürzlich noch gerechtfertigt hat. Das war ein Trinkgeld, schmutzige Cum-Ex-Spenden.

Neben ehemaligen SPD-Politkern ist auch eine Hamburger Finanzbeamtin beschuldigt. Welche Rolle spielte sie?

Frau P. war die für die Warburg-Bank zuständige Sachbearbeiterin. Sie kam damals in einem 28-seitigen Gutachten zu dem überwiegenden Ergebnis, dass die Cum-Ex-Deals unrechtmäßig waren und das Geld zurückgefordert werden müsse. Später hat Olaf Scholz ein Schreiben mit Gegenargumenten der Warburg-Bank, das im Finanzamt bereits vorlag, entgegengenommen, Herrn Olearius angerufen und ihn sodann aufgefordert, das Schreiben kommentarlos an den damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher zu übermitteln. Von dort wanderte das Schreiben mit Anmerkungen des Senators in die Finanzverwaltung. Dann wurde Frau P. von der Finanzbehörde – so heißt in Hamburg das Landesfinanzministerium – einbestellt und änderte ihre Position um 180 Grad. Erst wollte sie die Cum-Ex-Tatbeute einziehen, dann nicht mehr.

Und deshalb wird jetzt gegen sie ermittelt?

Sie hat versichert, dass es keine politische Einflussnahme gegeben habe. Frau P. wurde daher von der Hamburger SPD immer als Entlastungszeugin für Herrn Scholz angeführt. Jetzt wird von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Begünstigung gegen sie ermittelt. Sie hatte auch einen überaus engen Kontakt mit der Warburg-Bank und soll ihr geraten haben, die Politik zu kontaktieren, da sie angesichts der Sachlage nichts mehr für die Bank tun könne.

Bislang ist Olaf Scholz mit der Taktik des Schweigens und Aussitzens gut durchgekommen. Er hat die Bundestagswahl gewonnen.

Der potentielle Bundeskanzler ist dadurch von einem potentiellen Kriminellen erpressbar. Was ist denn, wenn Herr Olearius irgendwann um sich schlägt und auspackt? Auch ich werde nicht locker lassen, bis der Skandal aufgeklärt ist. Ich rate Scholz daher dringend dazu, alle Karten auf den Tisch zu legen.

Wie erklären Sie sich, dass der Skandal im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hat?

Wir leben in Zeiten, in denen es ständig eine neue Empörungswelle gibt. Jede Woche regt sich jemand über einen neuen Nicht-Skandal auf. Aber die eigentlichen Schweinereien, bei denen es um richtig viel Geld geht, gehen in der Öffentlichkeit unter. Deshalb ist es so wichtig, hartnäckig zu bleiben. Es dauert vielleicht länger, aber irgendwann kommt die Wahrheit heraus.

Aus der SPD heißt es, die Ermittlungen in Hamburg seien parteipolitisch motiviert. Die Kölner Staatsanwaltschaft wolle den SPD-Kanzlerkandidaten in Bedrängnis bringen, um Armin Laschet und der CDU zu helfen.

Das ist Unsinn. Und das sage ich als Linker, der sich wirklich keinen CDU-Kanzler wünscht. Die zuständige Staatsanwältin aus Köln wollte schon vor einem Jahr die Durchsuchungen in Hamburg machen. Aber sie wurde innerhalb ihrer eigenen Behörde daran gehindert. Eine unabhängige Richterin hat das genehmigt. Dann haben die Ermittler extra noch die Bundestagswahl abgewartet, um deren Ausgang nicht zu beeinflussen. Der Skandal ist vielmehr, dass die Staatsanwältin ein Jahr ausgebremst wurde und dadurch wichtige Akten eventuell vernichtet wurden. Die Frau verdient einen Orden.

Das Gespräch führte Daniel Gräber.

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