„Correctiv“ im Berliner Ensemble - Absurdes Theater gegen Rechts

Am Berliner Ensemble inszeniert Kay Voges die Correctiv-Recherche zum angeblichen „Geheimplan gegen Deutschland“ als szenische Lesung. Der Demokratie hat Voges mit diesem Hochamt der Selbstbeweihräucherung allerdings keinen Dienst erwiesen.

Da sind die Bösen: „Schulung in Mündigkeit“ im Haupstadttheater / dpa
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Jakob Ranke ist Volontär der Wochenzeitung Die Tagespost und lebt in Würzburg. Derzeit absolviert er eine Redaktions-Hospitanz bei Cicero.

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Vier Männer und eine Frau in schwarzen Anzugwesten, Fliege und weißen Handschuhen decken die Bühnen-Tafel ein. Das fröhlich-angeregte Gespräch im Zuschauerraum des Berliner Ensembles erstirbt. Es ist angerichtet. Die Vorstellung der Tischgäste kann beginnen.

Auf dem großen Bildschirm erscheinen die Fotos zweier Herren. „Gernot Mörig, hier links im Bild, war Zahnarzt in Düsseldorf. Er ist der Sohn von Wilhelm Mörig, einem SA-Truppenführer, der bereits 1932 Mitglied der NSDAP gewesen ist. Auf dem Entnazifizierungsvermerk von Vater Wilhem Mörig ist vermerkt: Ist für den Öffentlichen und Halböffentlichen nicht tragbar. Nur Tätigkeit in untergeordneter Stellung erlaubt.“

Merke: Wie der Vater, so der Sohn – der Schoß ist fruchtbar noch. Um den Gruselfaktor des vergangene Woche enthüllten „Wannsee-Treffens“ des österreichischen Identitären Martin Sellner mit AfD-Politikern und rechten Gesinnungsgenossen durch szenische Inszenierung noch etwas zu steigern, hatte es sich das Recherche-Netzwerk Correctiv nicht nehmen lassen, seine Recherche auf die Bühne eines Hauptstadttheaters zu bringen. Angekündigt war eine „szenische Lesung“ als Koproduktion des Berliner Ensembles und des Wiener Volkstheaters, dessen Intendant Kay Voges für die Regie verantwortlich zeichnet. Die kurzfristig anberaumte Vorstellung war angesichts der Gefahr fürs Vaterland schnell ausverkauft, versprach Correctiv doch die Enthüllung brisanter neuer Details über den „Geheimplan gegen Deutschland“. Glücklicherweise war die Vorstellung – auch für den Autor dieser Zeilen –über Livestream zu sehen.

Die Darbietung basiert angeblich auf einem Informanten-Gedächtnisprotokoll

Auch der zweite „Gastgeber“, Hans-Christian Limmer, wird gebührend vorgestellt: als „Mann, der lieber unerkannt bleibt“, als Investor, der Sachen ermöglicht, habe er „die Kette Backwerk großgemacht“, sei heute „Gesellschafter der Burgerkette Hans im Glück“. Unerwähnt bleibt, dass Limmer sich zwischenzeitlich von „Hans im Glück“ getrennt hat. Viel wichtiger: „Auch Hans-Christian Limmer kommt aus einer traditionsreichen Familie.“ Eine Gedenkstätte für Gefallene des Zweiten Weltkriegs sei 2005 in den Besitz Limmers und seiner Eltern übergegangen; unter deren Verwaltung sei das Denkmal „zeitweise ein Treffpunkt für das ,Who is who’ der Neonazi-Szene gewesen“.

Es sind Passagen, die dem ursprünglich von Correctiv veröffentlichten Text wohl noch etwas Fleisch hinzufügen sollen. „Tiefer in diese Recherche hineinzuschauen und den unsagbaren Dingen auch einen Körper und eine Stimme zu geben, um sie vielleicht besser nachvollziehen zu können“ – so hatte Regisseur Voges dem RBB vorab den Mehrwert seiner Inszenierung erklärt. Zwischen der Lesung der erweiterten Correctiv-Recherche leihen die Darsteller ihre Körper und Stimmen dann tatsächlich auch den Protagonisten des Treffens selbst, freilich unter Einhaltung juristischer und ästhetischer Abstandsmaßnahmen. Das klingt dann so: „Mein Name ist Gerrit Huy“ – Schauspielerin Constanze Becker lässt ihre Stimme beim y in schwindelerregende Höhen steigen – „und ich bin Bundestagsabgeordnete der AfD. Äh ne, also tschuldigung, ich bin eine Schauspielerin, die jetzt die Figur Gerrit Huy spielt, und diese Figur Gerrit Huy, die ist Bundestagsabgeordnete der AfD.“  „Also, das Konzept der Deportation“ – ein lautes Räuspern unterbricht Becker: „Remigration!“ – „Mein ich ja. Dieses Konzept hab ich schon mitgebracht, ja, als ich vor sieben Jahren in die Partei angetreten bin“ – „Eingetreten!“

 

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Vergleichbare Wechsel von Lesepassagen und überdrehter pseudosatirischer Darbietung – basierend angeblich auf Informanten-Gedächtnisprotokoll – unterhalten die Zuschauer etwa eine dreiviertel Stunde, bevor schließlich die neuen Recherchedetails vorgetragen werden. Mario Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt und „mehrfach verurteilter Gewalttäter“, habe bei dem Treffen über die Bekämpfung der linken Szene gesprochen und sich gebrüstet, mithilfe von Parlaments-Interna die Identität eines ehemaligen Linksextremen aus der Gruppe um Lina E. enthüllt zu haben. Der habe in Polen ein neues Leben als Kindergärtner angefangen und sei, nachdem Müller offenbar dafür gesorgt habe, dass er von polnischen Hooligans verprügelt wurde, zum Kronzeugen gegen Lina E. (gegen die mittlerweile wegen versuchten Mordes ermittelt wird) geworden. Außerdem habe Müller auf dem Treffen behauptet, den X-Kanal „Dokumentation Linksextremismus“ zu betreiben. Was nur bedeuten würde, dass Müller Methoden des politischen Kampfes verwendet, die im linksextremen Spektrum seit langem Usus sind. Nach dem Verlesen der Passage wirft Darsteller Veit Schubert bedeutungsschwere Blicke in den Saal.

Zum Schluss gibt es aber nochmal etwas zu lachen. Gezeigt wird das Video eines Mannes, der das Veranstaltungslokal schüchtern von außen durch den Zaun mit dem Smartphone fotografiert. Vielleicht ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes? „Die Reporterfabrik von Correctiv bietet unter reporterfabrik.org auch Weiterbildung investigativ Interessierter an.“ Bevor das Publikum allerdings gänzlich in Ekstase verfällt, darf die abschließende Warnung nicht fehlen: „Wir wissen, dass dieser Abend keiner ist, aus dem man fröhlich herausgeht. Worum es im Düsseldorfer Forum geht, ist nicht weniger als die Zerstörung unserer Demokratie“ – und die sei im Gange, jetzt. Auch mit etwas Ermutigung werden die Zuschauer nach Hause geschickt: Dieser Abend könne Teil einer neuen Erzählung werden, die damit beginne, dass man sich gegen die „faschistischen Kräfte in unserem Land“ wehre; „die zeigt, dass wir viele sind, dass wir laut sind, dass wir als Zivilgesellschaft nicht pennen, sondern dass wir hellwach sind. Und dass wir uns unsere Demokratie nicht kaputt machen lassen.“ Standing ovations.

Eine künstlerische Vorverurteilung stärkt den Eindruck der konzertierten Aktion

Es bleiben zurück: der schale Nachgeschmack von Heute-Show-Humor; ein gewisses Erstaunen über freihändige Überinszenierung, die Details dessen, was wirklich gesagt wurde, offenbar für vernachlässigenswert hält – schließlich handelt es sich bei den Protagonisten ja gleichsam um Faschisten in zweiter und dritter Generation; und Respekt für die Chuzpe, ein solches Hochamt unkritischer Selbstbeweihräucherung abzufeiern.

Nochmal Regisseur Kay Voges: „Ich glaube, das Theater ist der richtige Ort dafür, um eine Schulung in Mündigkeit zu bekommen, um komplexe Sachverhalte tiefer zu verstehen.“ Dass Bürger von dieser Lesung mündiger nach Hause gegangen sind, ist aber doch zweifelhaft. Eine Anregung zum Selbstdenken war sie jedenfalls nicht. Ob der Demokratie damit gedient ist, aus Enthüllungen, die ja eine gewisse Relevanz besitzen – immerhin widerspricht der Plan, Staatsbürger zur Auswanderung zu drängen, klar der Verfassung und auch der Beschlusslage der AfD – ein szenisches Happening zur Unterhaltung Wohlmeinender zu machen? Wohl kaum. Gerade in den strittigen Punkten über die Inhalte des Treffens steht immer noch Aussage gegen Aussage. Eine künstlerische Vorverurteilung stärkt nur den Eindruck der konzertierten Aktion.

Die letztlich perfekte Zusammenfassung des nun theatralisch präsentierten Fakten-Fiktionen-Gebräus lieferte die Vorstellung der „Bühnenfigur Ulrich Vosgerau“: „Was ich jetzt sage, hab ich auch nicht so gesagt, aber den wesentlichen Punkt den ich machen will, den hab ich schon so gesagt, das haben die vom Correctiv recherchiert, der Rest drumrum, der ist fiktionalisiert, damit`s ein bisschen lustiger ist halt, haha … Naja so richtig lustig ist`s eigentlich gar nicht, wenn ich mir das so richtig anschaue.“

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