Corona-Talk am Sonntagabend - Gedanken bei der Nachbetrachtung von Anne Will

Freitags geht es in der Konferenz immer darum, ob sich jemand findet, der am Sonntagabend die Sendung von Anne Will bespricht. Gestern war ich mal wieder dran. Zuerst versagte der Kugelschreiber seinen Dienst, und dann betraten Norbert Röttgen und Karl Lauterbach die Bühne. Aber lesen Sie selbst, wie man sein Wochenende nicht beenden sollte.

Ein Sonntagabend geht zu Ende / Screenshot ARD
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Gestern war der Dritte Advent – ein Tag, den viele traditionsbewusste Menschen mit dem Anzünden der vorletzten Kerze auf dem Adventskranz beginnen und mit dem Betrachten der Talksendung von Anne Will beenden. So auch ich, wobei hinzuzufügen wäre, dass Letztgenanntes nicht wirklich freiwillig und aus tiefster Überzeugung geschah. Es ist vielmehr so, dass wir freitags in der Konferenz immer fragen, ob sich jemand bereiterklärt, am übernächsten Abend bei Will reinzuschauen und möglichst sofort im Anschluss daran noch eine Fernsehkritik zu verfassen. Sie können sich wahrscheinlich denken, dass das nicht der Moment ist, wo alle schreien: „Ich! Hier! Hurra!“

Ben Krischke gehört zu den wenigen Kollegen, die das offenbar nicht nur gut, sondern auch gern tun – aber der war am Wochenende in Portugal, um sich dort mit dem gewerbsmäßigen Anbau von Cannabis zu beschäftigen (mehr dazu erfahren Sie in der Februarausgabe von Cicero). Kurzum: Der gestrige Anne-Will-Dienst blieb an mir hängen, und ich tat mich zugegebenermaßen vom ersten Moment an extrem schwer mit dieser Aufgabe. Was nicht einmal daran lag, dass der bereitgelegte Kugelschreiber nach zwei Minuten seinen Dienst aufgab, und ich auf die Schnelle nur Ersatz fand in einem Kinderfilzstift, der von der Form her einem Raumschiff nachempfunden ist und extrem schlecht in der Hand liegt. Es waren eher das Thema und die Teilnehmer, die mich zur zeitweiligen Resignation brachten.

„Neue Regierung, alte Krisen“

Zum Thema: „Neue Regierung, alte Krisen – kann da der versprochene Aufbruch gelingen?“ So war die Sendung jedenfalls angekündigt, wobei natürlich mit „alte Krisen“ die Pandemie gemeint sein musste, denn andere Krisen scheint es für die Anne-Will-Redaktion in den vergangenen knapp zwei Jahren nicht gegeben zu haben. Sonntags um 21.45 Uhr ist nach „Tatort“ jetzt halt immer Corona-Talk, und gestern war da keine Ausnahme. Der Erkenntnisgewinn war aus meiner Sicht auch diesmal eher bescheiden, und ich gestehe freimütig ein, dass ich kurz überlegt hatte, einfach ins Bett zu gehen und es sein zu lassen mit Anne Will. Aber der Kollege aus der Frühschicht rechnet fest mit einer Rezension, und Sie als Leserinnen und Leser haben schließlich auch einen Anspruch darauf, dass morgens frische Ware vom Vorabend serviert wird.

Zu den Teilnehmern: Als ich heute Morgen im Bett lag, bin ich im Geiste nochmal die Gäste durchgegangen. Und kam auf Karl Lauterbach (was nicht schwer ist, weil der eh immer da ist), Norbert Röttgen, Wolfgang Merkel und Dagmar Rosenfeld. Da mir klar war, dass eine Person fehlte, musste ich also kurz im Internet nachschauen. Es handelte sich um die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, und in diesem Moment fiel mir auch wieder ein, dass Frau Göring-Eckardt gestern Abend die gendergerechte Binnenversalie so überdeutlich aussprach wie manche ModeratorInnen im Deutschlandfunk und (zumindest meiner Erinnerung nach) vehement für Kinderimpfungen plädierte. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Information Sie wirklich weiterbringt – aber ich erfülle hier auch nur meine Chronistenpflicht. Gern geschehen.

Zu Dagmar Rosenfeld, der Chefredakteurin von Die Welt, muss ich sagen, dass wir mal bei einem privaten Abendessen nebeneinander saßen und gemeinsam zum Rauchen auf die Terrasse gingen, als die anderen über Autos und Armbanduhren sprachen. Ich fand sie sympathisch, Dagmar Rosenfeld war damals noch mit Christian Lindner verheiratet, der sie später für eine Jüngere sitzenließ. Was meinem Eindruck nach und irgendwie auch nachvollziehbarer Weise bei der Welt-Chefredakteurin einen nachhaltigen Groll auf ihren Ex-Mann ausgelöst zu haben scheint, den sie auch in Talkshows nicht ganz verbergen kann. Lindner und seine FDP kommen jedenfalls meistens schlecht weg, der gestrige Abend bildete da keine Ausnahme. Offizieller Anlass war, glaube ich, das Auslaufenlassen der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ und das Umfallen der Liberalen in Sachen Impfpflicht.

Verstörende Gedanken

Rosenfeld fand jedenfalls, die Ampelkoalition im Allgemeinen und ihr Ex-Mann im Besonderen hätten einen total miesen Start hingelegt. Das kann man in der Tat so sehen. Ich habe in dem Moment allerdings kurz überlegt, was ich in so einer Sendung beispielsweise zum Thema Kulturpolitik sagen würde, wenn ich früher mit Claudia Roth verheiratet gewesen wäre und die mich für einen knackigen Kameramann von RTL verlassen hätte. Dieser Gedanke verstörte mich derart, dass ich mir in der Küche schnell ein Glas Weißwein holen musste.

Wolfgang Merkel, den Politikwissenschaftler von der Humboldt-Universität hier in Berlin, finde ich eigentlich immer gut. Besonders gefallen hat mir natürlich, dass Merkel bei Will wegen eines Beitrags eingeladen war, den er vor einer Woche für www.cicero.de verfasst hat und den ich an dieser Stelle gern verlinke. Dort können Sie seine Gedanken zum Thema Impfpflicht nochmal in Ruhe nachlesen. Besten Dank an alle Beteiligten.

Kommen wir zu Norbert Röttgen. Der findet den Start der Ampel ebenfalls eher bescheiden, gab sich bei Anne Will aber gewohnt staatsmännisch, indem er der neuen Regierungskoalition auch ein paar Sachen zugutehielt (was genau das war, habe ich vergessen und zu notieren versäumt). Röttgen liebt seine selbstgewählte Rolle als distanzierter Welterklärer, im Nichts-Sagen-Wollen spielt er aber eindeutig eine Liga niedriger als Olaf Scholz. Anderenfalls wäre der Christdemokrat aus Bonn nämlich Bundeskanzler geworden; nach bisherigen Stand hat es noch nicht einmal zum CDU-Vorsitz gereicht. Aber das kann sich ja demnächst ändern. Vor zwei Jahren war ich übrigens auf dem CDU-Parteitag in Leipzig, und als Röttgen auf die Bühne ging, um eine Rede über Geopolitik und Globalisierung zu halten, fingen alle Delegierten an, in ihren Papieren zu rascheln, sich miteinander zu unterhalten oder sich draußen einen Kaffee zu holen. Das muss natürlich nichts heißen.

Auftritt Lauterbach

Bleibt noch Karl Lauterbach. Ich weiß, dass er bei vielen Lesern hier nicht so gut ankommt, mir geht er mit seinem Kölschen Singsang und seinem Corona-Hardlinertum auch meistens gehörig auf die Nerven. Aber da Lauterbach neuerdings als Bundesgesundheitsminister auftreten muss, scheint er jetzt pragmatischer an die ganze Sache heranzugehen. Impfungen sieht er immer noch als einzigen Ausweg aus der aktuellen Malaise, allerdings mit gewissen Abstrichen – wegen deren eingeschränkter Wirksamkeit. Huch! Mich hat dieses Statement Lauterbachs jedenfalls erstaunt; überhaupt fand ich ihn gestern gar nicht schlecht.

Natürlich wollen Sie jetzt wissen, ob gestern Abend irgendjemand aus der Runde irgendetwas gesagt hat, was man sich merken müsste oder von besonderer Bedeutung sein könnte. Mir persönlich ist da nichts in Erinnerung, aber womöglich war ich ja einfach nur im falschen Moment Wein holen oder einen Tee machen. Sicherheitshalber also an dieser Stelle noch ein kurzer Blick zu den Kollegen von dpa. Dort heißt es heute Morgen: „Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat zu Booster-Impfungen aufgerufen, auch wenn die aktuell verfügbaren Impfstoffe noch nicht auf die Omikron-Variante ausgerichtet sind. Geboosterte hätten mit den jetzigen Impfstoffen bereits einen Schutz von 75 Prozent. Das sei sehr nennenswert, sagte Lauterbach in der ARD-Sendung ,Anne Will‘“.

Jetzt sind Sie also hoffentlich rundum informiert. Ich wünsche einen guten Start in die Woche!

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