Cicero Jugend-Serie „Contra Woke” - Danke, Boomer!

Die Phrase „OK, Boomer!“ gehört zum Standardrepertoire woker Totschlagargumente. Dabei haben wir viele politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Errungenschaften den „Boomern“ zu verdanken. Eine Liebeserklärung an die „Generation Sündenbock“.

CDU-Bundestagsabgeordneter Philipp Amthor / picture alliance
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Autoreninfo

Philipp Amthor ist Jurist und seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

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Die Medien sind in den letzten Jahren daran gescheitert, ein Bild der jungen Generation zu zeichnen, das mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wir möchten die Debatte über die Generation Z daher nicht länger identitätspolitisch motivierten Redaktionen überlassen. Denn junge Menschen bewegt mehr als Fridays for Future, Body Shaming und Black Lives Matter.

Die Cicero Jugend-Serie „Contra Woke“ möchte all jenen jungen Menschen eine Stimme geben, die dem vorherrschenden woken Zeitgeist nicht entsprechen, aber gehört werden müssen, um die echte Lebensrealität und die wahren Sorgen der jungen Generation zu verstehen. Sie möchten selbst einen Artikel einreichen? Gerne, schreiben Sie uns hierfür eine Mail an: redaktion@cicero.de.

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Zahlreiche kontroverse Debatten in unserer Republik – von der Zukunft der Landwirtschaft über die Atomenergie bis zur Gender-Debatte – werden derzeit vor allem von zwei hervorstechenden Debattencharakteristika überlagert: Hysterie statt Nüchternheit und die Suche nach Sündenböcken statt nach rationalen Argumenten. Und beide Eigenschaften stehen auch noch in einer sich verstärkenden Wechselwirkung: Ist der vermeintliche Sündenbock erst gefunden, lässt sich die Hysterie geradezu exponentiell potenzieren – auch ohne Sachargumente, ganz einfach ad hominem. 

Und wen trifft es am häufigsten? Wer oder was trägt die Schuld? Der alte weiße Mann? 16 Jahre Union? Der/die/das Fleischesser*in (m/w/d) mit Vorliebe für Verbrennungsmotor_Innen? (Gender-Defizite des Autors sind auf eine Mischung aus seiner Herkunft aus dem ländlichen Raum und fehlendem Respekt vor der Ernsthaftigkeit dieser Ideologie zurückzuführen.) 

Nun, je nach Betrachtungsweise: Die Schuld wird gern auf eine Mischung des genannten Potpourris verteilt. Am wohl häufigsten und intensivsten hatte in den letzten Jahren aber eine Gruppe zu leiden, der spätestens seit „Fridays for Future“ heftiger Gegenwind entgegenwehte und der deswegen die vorliegende Verteidigungsschrift gewidmet sei: die Generation der „Baby-Boomer“.

Rückblick: Als die neuseeländische Parlamentarierin Chloë Swarbrick im Jahr 2019 auf einen Zwischenruf eines älteren Kollegen eine schlagfertige Replik entgegnete, etablierte sie damit eine Phrase, die in kontinentalen Kreisen noch weitaus populärer ist als die linke Umweltpolitikerin aus dem Südpazifik: „OK, Boomer!“ – der kesse Schlachtruf der „Millennials“ und der „Generation Z“. 

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist rein gar nichts dagegen einzuwenden, sondern zu begrüßen und notwendig, dass junge Parlamentarier kreativ und selbstbewusst auftreten, aber „OK, Boomer!“ gehört ganz sicher nicht in die mittlerweile fahndungsbedürftige Kategorie der deduktiven Argumente, sondern eher in die zunehmend bedeutsame Kategorie der „Totschlagargumente“, die eben nicht durch Deduktion des Seins, sondern durch Brandmarkung des Unerwünschten auffallen. 

Was nehmen sich manche Jüngere heraus?

Ein so beliebtes wie einfaches Prinzip, das im vorgelegten Beispiel nicht nur intergenerationell von Jüngeren gegenüber Älteren, sondern sogar auch von um Wokeness bemühten „Boomern“ intragenerationell gegen andere „Boomer“ nutzbar gemacht werden kann – oder wie denken Sie darüber, wenn etwa „Zukunftsforscher“ Harald Welzer die eigene Alterskohorte für nahezu alle aktuellen Probleme verantwortlich macht; sie als „Fettaugen auf der Suppe“ etikettiert? Intellektuell-argumentative Überwältigung überkommt mich bei „Boomer-Kritik“ jedenfalls nicht.

Es greift aus meiner Sicht zu kurz, der „Boomer-Generation“ in hyperventilierender Pauschalität die Schuld für Siechtum von Mensch und Natur zuzuweisen. Es ist ungerecht, wenn Jüngere das Bild zeichnen, dass ihre Eltern und Großelterngeneration rücksichtslos vom Wirtschaftswunder profitiert, ihr ganzes Leben mit kräftigem Konsum in Saus und Braus verbracht und sich dabei Autos, Kreuzfahrschiffe und Atomkraftwerke zugelegt haben, ohne dabei an die nachfolgenden Generationen zu denken. 

 

Zuletzt in der Jugend-Serie „Contra Woke“ erschienen:

 

Was ist das für ein Zerrbild? Was nehmen sich eigentlich manche Jüngere heraus, wenn sie sich über ihre Chefs, Professoren und sonstige „Mitfünfziger*Innen“ aufregen, die von Jüngeren jetzt Leistung und Einsatz erwarten und kein Verständnis dafür haben, dass sich mancher der gestressten Nachwuchsgeneration schon spätestens an einem Mittwoch mit einer Lieferando-Bestellung auf dem Küchentresen von der schweren Woche erholen muss, während er oder sie nach einer Online-Petition für die „Viertagewoche“ sucht? Frei nach dem Motto: „Erst haben die Alten den Planeten in die Klimakatastrophe und die Rentenkassen in die Schieflage getrieben, und jetzt muss ich trotzdem noch arbeiten? Was erlauben Boomer?!“

Eine solche Haltung ist nicht nur fatalistisch-selbstgerecht, sondern auch geschichtsvergessen. Auch die „Boomer“ hatten es nicht leicht und sind in keinem anstrengungslosen Wohlstand aufgewachsen. Ganz im Gegenteil: Babyboomer zu sein, bedeutete – und das historisch validiert – eben auch, von Geburt an ständig einen Kampf führen zu müssen – volle Schulklassen, große intragenerationelle Konkurrenz um gute Ausbildungsstellen und Studienplätze und später dann auch um gut bezahlte Arbeitsplätze und um bezahlbaren Wohnraum und Bauland. 

Ohne „Boomer-Generation“ wäre unser Wohlstand undenkbar

In der Tat waren die „Boomer“ einfach immer zu viele. Zudem mussten sie in einem geteilten Deutschland aufwachsen, was den Blick dafür öffnet, dass ein Teil der heute pauschal verteufelten Generation in der DDR übrigens unter einem diktatorischen Sozialismus leiden musste, in dem man von einem Leben der heutigen „Generation Z“ mit freien Wahlen, Reisefreiheit und schier grenzenlosem Individualismus nur träumen konnte. Diese „Boomer-Generation“ – aus Ost wie West – ist für mich nicht Sündenbock, sondern Ermöglicher unserer heutigen Chancengesellschaft. 

Der Sieg der marktwirtschaftlichen Ordnung über sozialistische Phantastereien, die Einheit unseres Vaterlandes und der Weg zur europäischen Integration, der Pfad zu zunehmender Gleichberechtigung und Bildungsgerechtigkeit und das Fundament generationenübergreifenden Wohlstands unserer Bundesrepublik – das alles ist auch und vor allem ein Verdienst der „Boomer“. Und dafür klage ich sie nicht an, sondern sage aus vollem Herzen: Danke, Boomer!

Woke Weltverbesserer und ihr Finger der moralischen Überheblichkeit

Zugegeben: Natürlich war und ist auch die „Boomer-Generation“ ebenso imperfekt wie auch die ihr nachfolgenden Generationen. Aber das ist kein Spezifikum dieser Generationen, sondern Spezifikum des Menschlichen. Oder alttestamentlich aus den Büchern der Weisheit gesprochen: „Was früher geschehen ist, wird wieder geschehen; was man früher getan hat, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne!“ (Koh 1, 9). Will sagen: Es gibt zwar keinen Grund, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, aber es hat auch noch keine Gesellschaft weitergebracht, mit dem Finger nachträglicher moralischer Überheblichkeit auf frühere Generationen zu zeigen, weil man sich zu viel auf die gegenwärtige Gesellschaft einbildet und vorschnell über die schlechten Zustände früherer Gesellschaften urteilt. 

Ganz im Gegenteil: Statt Schuldzuweisungen braucht es im Angesicht des Fachkräftemangels, einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung und diverser multipler Krisen umso mehr das Ziehen an einem Strang. Und das nicht nur aus Dankbarkeit für die „Boomer“, sondern auch aus einem Eigennutz der „Generation Z“, da der woke Weltverbesserer von heute ganz schnell auch der alte weiße „Cis-Mann“ von morgen sein kann – und vielleicht sogar werden will. 

Ich persönlich verbinde mit der Zukunftsaussicht meiner Generation jedenfalls keine Angstzustände, sondern bin sogar mit schmunzelndem Grinsen dankbar, dass im Internet eine „Userin“ über mich – wohl weniger nett gemeint – einmal schrieb: „Wow, alte weiße Männer gibt es jetzt auch in jung.“ Denn ich verbinde mit „alten weißen Männern“ in meinem Leben auch viele kluge und weise Männer (und Frauen), denen ich auch zu persönlichem Dank verpflichtet bin, weil sie mir Vorbilder waren – etwa für Leistungsbereitschaft und Ehrgeiz und für intellektuelle Satisfaktionsfähigkeit. In dieser Hinsicht kann man manchem „Boomer-Basher“ nur von Herzen eine mittel- bis langfristige Transformation zum „alten weißen Boomer-Mann“ (m/w/d) wünschen.

Der 31-jährige Philipp Amthor ist Jurist und seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Dort ist er Mitglied des Fraktionsvorstandes, Vorsitzender der CDU-Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern und Fachsprecher für Staatsorganisation und Staatsmodernisierung.

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