Cicero im September - Karlsruher Volten

Ob Corona, öffentlich-rechtlicher Rundfunk oder Klimaschutz: Das Bundesverfassungsgericht wirkt immer öfter wie der verlängerte Arm der Regierung. Wir thematisieren das höchste Gericht in unserer September-Ausgabe.

Cicero im September
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Kaum eine andere Institution genießt bei den Deutschen derart hohes Vertrauen wie das Bundesverfassungsgericht. Dafür gibt es gute Gründe, und einer der wichtigsten ist seine politische Unabhängigkeit, die „Karlsruhe“ in einer mehr als 70-jährigen Geschichte immer wieder unter Beweis gestellt hat.

Natürlich schwebt auch dieses Verfassungsorgan nicht wie ein gerechter Gott über allen irdischen Dingen, und selbstverständlich sind seine Urteile und Beschlüsse keine ewig geltenden Weisheiten. Aber die Bürgerinnen und Bürger erwarten völlig zu Recht, dass die Richterinnen und Richter sich bei ihrer Arbeit weder von einem volatilen Zeitgeist leiten lassen noch von den Erfordernissen eines möglichst geschmeidigen Regierungshandelns.

Zweifel an „Karlsruhe“

Doch seit einiger Zeit drängen sich Zweifel auf. Sei es in Sachen Corona, öffentlich-rechtlichem Rundfunk oder Klimaschutz: Das Bundesverfassungsgericht wirkt immer mehr wie eine Einrichtung, die sich als verlängerter Arm der politischen Entscheidungsträger versteht. Dass der amtierende Gerichtspräsident erst vor wenigen Jahren direkt aus dem Bundestag zum Vorsitzenden des Ersten Senats berufen wurde, ließ schon damals aufhorchen.

„Kann plötzlich frei den Mund öffnen, wer neun Jahre lang klaglos den Kappzaum des Abgeordneten trug?“, fragt der Autor unserer Titelgeschichte mit einer Mischung aus Verwunderung und Entsetzen. Und bei Gerhard Strate, den wir für dieses heikle Thema gewinnen konnten, handelt es sich wahrlich nicht um einen effektheischenden Dauerquerulanten – der Mann zählt zu den bekanntesten Strafverteidigern dieses Landes und befasst sich überdies seit Jahrzehnten mit verfassungsrechtlichen Fragen.

Schieflage

Auch propagiert Strate gewiss keine bizarre Verschwörungstheorie, wenn er mit Argwohn auf die aktuelle Verfasstheit des Verfassungsgerichts blickt. Denn nicht nur Mitglieder anderer höchster Gerichte rollen 
in kleiner Runde vielsagend mit den Augen, wenn die Rede auf ihre Karlsruher Kollegen kommt (habe ich selbst erlebt). Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Haseloff sprach nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Rundfunkbeitrag gar von einem „Demokratieproblem“.

Es entsteht der Eindruck, dass die Gewaltenteilung in der Bundesrepublik zunehmend erodiert – einschließlich insbesondere der gebührenfinanzierten Medien als sogenannter Vierter Gewalt. Dass ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht diesem Eindruck Vorschub leistet, ist bemerkenswert. Und eine Gefahr für die Demokratie.

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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