Christine Lambrecht - Das Raketenschutzschild der Oberbefehlshaberin Fettnäpfchen

Obwohl Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht mit ihrer peinlichen Neujahrsbotschaft in den Schlagzeilen steht, könnte sie möglicherweise sogar gehärtet aus der Affäre hervorgehen. Eine sich regelmäßig wiederholende Paradoxie unter angeschlagenen Politikern, getreu dem Motto: Was nicht tötet, härtet ab.

Gilt als Schwachstelle des Kabinetts: Christine Lambrecht /picture alliance
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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In einer Theorie des politischen Rücktritts müssen bestimmte überraschende Axiome und manche verblüffende Paradoxien beschrieben werden. Regel eins: Wie unausweichlich, unvermeidlich, zwingend gar ein Rücktritt eines Politikers oder einer Politikerin ist, lässt sich nie wirklich objektiv feststellen oder vorhersagen. Medialer Druck, Empörungs-Tsunamis oder Fettnäpfchen-Jumping allein garantieren eine Demission keineswegs. Dies lässt sich im Fall von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) geradezu lehrbuchhaft beobachten. 

Ganz im Gegenteil kann es hier zu einer Art paradoxer Schubumkehr kommen. Umso mehr die angeschlagene Ministerin oder der Minister einem anschwellenden Gegenwind entgegentritt, ihm tapfer trotzt, umso weniger scheinen die auch massiver werdenden Anwürfe dem Betreffenden etwas anhaben zu können. Getreu dem Motto: Was nicht tötet, härtet ab. Wir erinnern uns an das Musterbeispiel für diesen Shitstorm-Abwehrmechanismus: Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), dessen Rücktritt zwar routinehaft vorhergesagt wurde, aber eben nie kam. 

Geht möglicherweise gehärtet aus der Affäre hervor

Im Fall von Ministerin Lambrecht scheint ihre Krisenresistenz nach der Debatte um ihr verunglücktes Silvestervideo einen gewissen Zenit an Peinlichkeit überschritten zu haben, der, wenn sie ihn aushält, sie schon fast unverwundbar erscheinen lässt. Wer solche Krisen übersteht, hat sich eine neue Qualität erarbeitet, ist durchs Feuer gegangen und geht dann nicht etwa völlig geschwächt, sondern möglicherweise gehärtet aus der Affäre hervor. Eine Ministerin mit einem persönlichen Raketenschutzschild. 

So wie das Nervenkostüm der Angezählten eine Rolle spielt, so ist auch die Geduld des Regierungschefs entscheidend. Wie lange also will sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der schwersten sicherheitspolitischen Krise der Nachkriegszeit eine Ressortchefin im Bendlerblock leisten, die weder fachlich innen wie außen als kompetent angesehen wird, noch im Agieren, in Äußerungen und im Auftritt die geneigte Öffentlichkeit zu überzeugen vermag? Hier kommt das zweite wichtige Rücktrittsparadox ins Spiel. Der vermeintliche Befreiungsschlag der Demission, in süßen Farben von den Medien beschrieben, erweist sich bei Lichte betrachtet im Nachhinein doch allzu oft zumindest als eine beschriebene Niederlage und Schwäche des Kanzlers. Mit einem Rücktritt lässt sich nichts wirklich gewinnen.

Scholz steckt in der Bredouille. Hält er an Lambrecht fest, behält sein Kabinett die ärgerliche Schwachstelle, entlässt er seine Ministerin, haftet der Makel der Fehlbesetzung und des Nachsteuerns eben auch an seiner Regierung – mit ungewissem Ausgang, was die Performance bei einem Nachfolger angeht. Insofern hilft eine den Angriffen trotzende Selbstverteidigungsministerin dem Kabinettschef möglicherweise derzeit mehr, um Zeit zu gewinnen, als ihre schnelle Flucht aus dem Amt nützen würde. Inhaltlich hat das Kanzleramt die Steuerung des Verteidigungsministeriums eh mit übernommen, und personell spielt man auf Zeit.

Zauberwort heißt: Kabinettsumbildung

Schließlich gibt es für Personalprobleme in einer Regierungsmannschaft sozusagen den Königsweg, der Rücktritte umgeht und gleichzeitig eine Erneuerung ermöglicht. Das Zauberwort heißt: Kabinettsumbildung. Zu den weiteren Paradoxien des politischen Betriebs gehört, dass ein Auswechseln etwa zur Halbzeit als Stärke des Trainers gesehen wird, anders als eben die Rote Karte oder das verletzungsbedingte Ausscheiden. 

 

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Wenn also Lambrecht noch ein paar Monate durchhält, kann der Bundeskanzler souverän seine Aufstellung erneuern – ohne dass es allzu deutlich nach Schwäche aussieht. Tatsächlich tun sich dann nach gut einem Drittel der Legislaturperiode weitere personelle Probleme auf. Im Herbst wird in Hessen gewählt. Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser wird als wahrscheinliche SPD-Spitzenkandidatin gehandelt. Auch ihre Amtsführung in Berlin steht in der Kritik, keineswegs aber vergleichbar scharf wie bei Parteifreundin Lambrecht.

Röttgen-Axiom

Bei der Personalie Faeser greift nun das sogenannte Röttgen-Axiom. In jüngerer Zeit auch mit umgekehrten Vorzeichen als Laschet-Dilemma bekannt. Ein Wechsel von der Bundesebene auf die Landesebene hat eine gewisse Unbedingtheits-Anforderung. Damals, als Norbert Röttgen (CDU) in Nordrhein-Westfalen Ministerpräsident werden wollte, hatte er die Idee, bei einem Scheitern in Düsseldorf in sein angestammtes Amt als Bundesumweltminister zurückzukehren. Die damalige Bundeskanzlerin machte der damaligen Karriereplanung Röttgens einen Strich durch die Rechnung. Ein bitterer Rausschmiss statt selbstbestimmtem Rücktritt.

Möglicherweise ginge Scholz mit seiner Genossin glimpflicher um. Ob es aber tatsächlich möglich ist, sich ernsthaft um den Chefposten in der Wiesbadener Staatskanzlei zu bewerben, ohne zuzusichern, nach einer Niederlage auch ins Land zu kommen, auf die harten Oppositionsbänke, die Faeser bereits kennt, ist doch sehr fraglich. Wenn die Noch-Ministerin in Berlin aber tatsächlich nach Hessen wechseln würde, dann hätte Scholz ab Herbst dieses Jahres eine gravierende Personallücke. Mit großer Geste ließe sich dann das Innen- und das Verteidigungsressort neu besetzen. Doch welches Personal stünde für diese Kabinettsumbildung bereit?

Christine Lambrecht war im letzten Kabinett von Kanzlerin Merkel Justizministerin, ein Amt, das die deutlich geräuschloser geführt hat als das jetzige. Zum Schluss war sie nach dem Ausscheiden von Franziska Giffey (SPD) auch noch übergangsweise Familienministerin. Eine Frau für alle Fälle also? Es scheint schwer vorstellbar, dass Bundeskanzler Scholz Lambrecht zur Innenministerin beruft, obwohl sie selbst dieses Ressort immer angestrebt hatte. Doch nach ihrem von vielen diagnostizierten Scheitern mit der Truppe wird das Polizeiressort kaum ihr Comeback ermöglichen. Erstaunlich war ihre Rückkehr in der Politik sowieso. Nach dem Ende der Großen Koalition rechneten viele Sozialdemokraten nicht mehr mit einer Regierungsbeteiligung – und verabschiedeten sich aus der Politik. So hat Lambrecht auch kein Bundestagsmandat mehr. Doch nach der Wahl war die Personaldecke so dünn, dass Scholz sie zurückgeholt hat. Diese Lage hat sich nicht groß verbessert.

Mögliche Nachfolger

Als Nachfolgerin für das Verteidigungsressort bietet sich möglicherweise die Sozialdemokratin Eva Högl an. Sie war ohne jegliche Fachkenntnis als Wehrbeauftragte durchgesetzt worden. Vorgänger und Militärexperte Hans-Peter Bartels (SPD) war rausgekickt worden. Die SPD-Führung wollte eine Frau auf dem Posten, außerdem war manchem in der Fraktion Bartels zu bundeswehrfreundlich aufgestellt. Es war noch die Zeit vor der „Zeitenwende“. Damals galt das Thema Bundeswehr in der SPD als lästig. Högl würde das geschmeidiger machen.

Inzwischen ist Högl im Vergleich zu Lambrecht schon als sachkundig einzustufen, sie hat sich eingearbeitet und gilt nun als ministrabel, so schnell kann es gehen. Wer auch auf den Posten des Verteidigungsministers passen würde, ist der SPD-Chef Lars Klingbeil. Der Soldatensohn ist inzwischen auch zum Militärexperten avanciert, und überhaupt täte der sozialdemokratischen Kanzlerreserve etwas Regierungserfahrung gut. Oder wird Klingbeil Innenminister? Nur würde das die schön sortierte Parität fällen, wenn ein Mann eine Frau ersetzt. Aber man kann nicht alles haben, das wird das Leitmotiv des Kanzlerhandelns in diesem Jahr sein. Rücktritte vermeiden ist die oberste Maxime, das gilt für alle am Kabinettstisch.

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