Lambrechts Rücktritt - Ministerin als Meute-Opfer

Noch während Christine Lambrecht ihren Rücktritt als Bundesverteidigungsministerin bekannt gibt, tut sie das, was sie schon oft getan hat: Sie übt öffentlich Medienschelte. Und zeigt dadurch, dass sie nichts verstanden hat.

Christine Lambrecht vor Journalisten in Sachsen / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Ein Rücktritt besteht meistens aus der Summe seiner einzelnen Teile. Nur selten einmal kommt es vor, dass ein Minister wegen nur eines einzigen Fauxpas' oder wegen des Fehlverhaltens eines Dritten – eines Journalisten oder Medienvertreters gar – seinen ohnehin wackelnden Stuhl zu räumen sucht. Bei Christine Lambrecht, der heute zurückgetretenen Bundeverteidigungsministerin der SPD, fußte der von vielen Beobachtern seit langer Zeit ersehnte Rücktritt am Ende auf einem gut gefüllten Rechenheft.

Wer es heute noch einmal aufschlägt, um die Skandale und Skandälchen nüchtern nachzuzählen, der kommt kaum darum herum, die Ankündigung der 57jährigen Juristin für gut und angemessen zu befinden. Die nämlich hatte gleich am Montagmorgen noch einmal bestätigt, was am Freitag bereits die Bild-Zeitung vermeldet hatte – und was seither der Wochenend-Talk der Republik war: „Ich habe heute den Bundeskanzler um Entlassung aus dem Amt der Bundesministerin der Verteidigung gebeten. Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu.“

Wohlan denn, die Medien! Der liebste Feind all jener, die sich sonst nur allzu gerne in den Schlagzeilen und auf den Titelseiten sonnen würden, wenn man sie nur einmal ließe. Über ein Jahr lang konnte die Öffentlichkeit Christine Lambrecht beim Stolpern und Verfehlen zusehen und gelegentlich darüber erstaunt sein, wie ausgerechnet die Verteidigungsministerin inmitten der größten militärischen Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs einen Lapsus an den nächsten reihte. Und am Ende war eben nicht sie es, die ihr Amt nicht richtig auszufüllen wusste; am Ende war es „die monatelang mediale Fokussierung“ auf ihre Person. 

Die Tat und der Text

Dabei gehört zu jedem Bericht auch einer, der Anlass zum Berichten gibt. Und zu jeder Abhandlung gehört, man ahnt es schon, mindestens so etwas wie eine Handlung. Schon Karl Kraus wusste doch über das Zusammenspiel von Tat und Text manch Verbindendes zu sagen: „Man glaubt gar nicht, wie schwer es oft ist, eine Tat in einen Gedanken umzusetzen.“ Bei Christine Lambrecht, um auf sie zurückzukommen, waren der Taten jedenfalls unzählige – nur eben selten gehörten auch einmal solche dazu, die die deutsche Verteidigungsfähigkeit nach Feststellung eines Finanzlochs von hunderten Milliarden Euro sichtbar vorangebracht hätte. 

Da war 2021 zunächst Lambrechts privater Skiurlaub, angetreten nur wenige Stunden, nachdem die erste Verteidigungsministerin im Kabinett Scholz von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunde überreicht bekommen hatte. Dann folgte Anfang 2022 die mehr als beschämende Ankündigung, statt Waffen oder gar Panzern lediglich 5000 Helme zum Schutz der Ukraine nach Kiew liefern zu wollen. Des Weiteren die unterlassenen Bestellungen an Waffen und Munition nach Bereitstellung des Bundeswehr-Sondervermögens sowie die vollkommen überteuerte Anschaffung des F-35. Im Mai dann die sogenannte „Heli-Affäre“ mit Sohn Alexander; und in der Silvesternacht eine vollkommen missglückte Neujahrsbotschaft auf Lambrechts privatem Instagram-Account. Zugegeben: jede einzelne Aktion wäre der Rede nicht weiter wert gewesen. Aber am Ende wird eben zusammengezählt. Und da steht mittlerweile ein ganz schönes Sümmchen unterm Strich.

Die Bruchlandung

Dass Christine Lambrecht schon zuvor Schwierigkeiten damit hatte, sich selbst als Ursprung all dieser schlechten Nachrichten zu sehen und stattdessen lieber den Boten statt die Missetäterin auf die Anklagebank setzte, das war schon nach der Flug-Affäre im Frühjahr offenbar geworden. Statt dass sich die studierte Juristin und einstige Justiz- wie Familienministerin damals die politische Fluggeschichte Deutschlands als mahnendes Beispiel zu Herzen genommen hätte – immerhin wäre es hier 1996 mit Rita Süssmuth fast zum Absturz einer Karriere gekommen und mit Ex-NRW-Finanzminister Heinz Schleußer vier Jahre später zur politischen Totalbruchlandung – übte sich Lambrecht in Medienschelte. 

 

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Von „Schlüsselloch-Journalismus“ sprach die Bundesverteidigungsministerin noch im November, als Journalisten des Berliner Tagesspiegels wissen wollten, wer denn eigentlich das Foto geschossen habe, auf dem ihr Sohn während des Dienstflugs im Bundeswehrhubschrauber zu sehen war. Doch statt zur Aufklärung beizusteuern, verbiss sich die Ministerin in den Rechtsweg. Gegen einen Eilantrag des Journalisten beim Verwaltungsgericht Köln legte sie Beschwerde ein, das Oberverwaltunbgsgericht NRW schließlich erteilte Lambrecht eine Klatsche: „Der Vortrag der Antragsgegnerin, wonach die streitgegenständlichen Fragen ‚den inneren Bereich der Privatsphäre‘ beträfen […] und namentlich der Beantwortung der Frage nach der Kenntnis der Ministerin über die Veröffentlichung des Fotos der Schutz des Art. 6 GG entgegenstehe, greift nicht durch“, so das Gericht Mitte November letzten Jahres. Einen Tag später dann titelte der Tagesspiegel: „Poser-Bild im Bundeswehr-Helikopter. Lambrecht nahm Foto von ihrem Sohn selbst auf.“

Populisten freuen sich

Schlau geworden ist die Verteidigungsministerin aus der Sache nicht. Kaum einen Monat später wurde bekannt, dass sie kritische Medienvertreter auf ihren Auslandsreisen lieber gleich daheim lasse, als dass sie sich später noch einmal mit unliebsamer Berichterstattung rumschlage. Das Online-Medium The Pioneer hatte darüber erstmals berichtet. Und somit abermals ein Licht auf Lambrechts merkwürdiges Verständnis von jener Gewalt geworfen, der, abgeleitet von den Landepressegesetzen, eigentlich eine Kritik und Kontrollfunktion zukommen sollte.

Ausgerechnet die einstige Justizministerin scheint das nicht verstanden zu haben. Selbst am Tag ihres angekündigten Rücktritts als Bundesverteidigungsministerin hält Christine Lambrecht an der liebgewonnenen Mär von der Ministerin als Meute-Opfer fest. Mit dieser Missachtung der Presse spielt sie nicht nur den Populisten von rechts wie links in die Karten. Lambrecht offenbart auch eine Unfähigkeit zur sachlichen Kritik, wie sie einer in Verantwortung stehenden Ministerin schlecht zu Gesicht steht. Es ist gut, dass sie die Konsequenzen daraus gezogen hat.

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