Die CDU sucht einen neuen Chef - „Sehr viele würden sich sofort hinter ihn stellen“

Nach der komplett vergeigten Bundestagswahl sucht die CDU einen neuen Vorsitzenden. Wahrscheinlich läuft es auf zwei altbekannte Kandidaten hinaus: Friedrich Merz und Norbert Röttgen. Die Begeisterung in der Partei hält sich allerdings in Grenzen, zur Debatte steht eine Interimslösung. Es sei denn, da kommt noch jemand aus dem Osten.

Damals noch in anderer Mission unterwegs: Norbert Röttgen und Friedrich Merz im NRW-Landtagswahlkampf 2012 / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Die CDU sucht (mal wieder) einen Vorsitzenden – und geht dafür neue Wege. Eine Mitgliederbefragung soll dafür sorgen, dass die Basis darüber entscheidet, wer die Partei in eine möglichst gedeihliche Zukunft führt und die Christdemokraten zu alter Stärke finden lässt. Dass der noch amtierende CDU-Chef Armin Laschet kein überzeugter Anhänger des nun gewählten Verfahrens ist, zeigt sich allerdings schon in der Wortwahl des Konrad-Adenauer-Hauses: „Die Bundespartei will dies einmalig so machen, dass wir die Mitglieder befragen, wie die Neuaufstellung erfolgen soll“, zitiert ihn das Hauptquartier. Klar sei aber auch: „Abgestimmt wird nur über die Vorsitzende oder den Vorsitzenden.“ Das klingt eher so, als dürften renitente Kinder im Familienrat mit über das nächste Urlaubsziel entscheiden – aber nur ausnahmsweise und nur für die Herbstferien.

Der Frust bei den einfachen Mitgliedern über die vergeigte Bundestagswahl mit einem von den Funktionären berufenen Kanzlerkandidaten, der für eine maximale Demobilisierung sogar innerhalb der eigenen Partei gesorgt hatte, war einfach zu groß, um weiterhin die Auswahl des Spitzenpersonals den Gremien und Delegierten zu überlassen. Jetzt wird es stattdessen mit Basisdemokratie versucht. Also: Methode SPD. Da die Sozialdemokraten mit Norbert Walter-Borjans demnächst zumindest einen ihrer beiden von der Basis gekürten Vorsitzenden austauschen müssen (und das trotz gewonnener Bundestagswahl), kann von einem über jeden Zweifel erhabenen Verfahren zwar keine Rede sein. Aber die CDU-Elite sitzt angesichts eines Zweitstimmenanteils von 18,9 Prozent (ohne die bayerischen CSU-Stimmen) bei der zurückliegenden Bundestagswahl schlicht in der Falle. Da kann Laschet noch so oft beteuern, „dass repräsentative Demokratie das beste Mittel ist, um politische Entscheidungen herbeizuführen“. Die Kreisvorsitzenden sahen das am vergangenen Wochenende eben anders.

Ende Januar ist es soweit

Von diesem Samstag an und bis zum 17. November werden zunächst die Kandidatinnen und Kandidaten für den CDU-Vorsitz nominiert. Dazu berechtigt sind die Vorstände der Kreis-, Bezirks- und Landesverbände der CDU, die Vorstände der Bundesvereinigungen und der Bundesvorstand des „Evangelischen Arbeitskreises“. Im Anschluss, so der offizielle Ablaufplan, stellen sich die Nominierten vom 18. November bis zum 2. Dezember der Basis vor. Entsprechende Formate, an denen sich die Mitglieder beteiligen und den Kandidatinnen und Kandidaten ihre Fragen stellen können, „werden derzeit erarbeitet“. Die Auszählung der per Brief oder online abgegebenen Stimmen ist für den 17. Dezember vorgesehen; ein Delegiertenparteitag Ende Januar soll das Votum der Basis schließlich bestätigen.

Das Organisatorische ist soweit also geregelt. Weitgehend unklar ist allerdings auch zwei Tage vor Beginn der Nominierungsphase, wer denn überhaupt den Vorsitz der CDU anstrebt. Eine gewisse Resigniertheit ist jedenfalls deutlich zu spüren, wenn man sich innerhalb der Bundestagsfraktion und bei den Landesverbänden der Union umhört. Denn die Namen der gehandelten Kandidaten sind aus den zurückliegenden Diadochenkämpfen hinlänglich bekannt und versprechen keine wirkliche Aufbruchstimmung: Friedrich Merz und Norbert Röttgen, die in der zurückliegenden Runde gegen Laschet gescheiterten Anwärter, werden wohl abermals einen Anlauf wagen. Möglicherweise werfen auch Fraktionschef Ralph Brinkhaus und der scheidende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ihren Hut in den Ring. Der zwischenzeitlich hoch gehandelte Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann dürfte seine Ambitionen zurückstellen, sollte Merz kandidieren.

Die besten Chancen hat nach derzeitigem Stand der Dinge wohl tatsächlich Friedrich Merz, der nach langer Abwesenheit jetzt wieder im Bundestag sitzt; der Sauerländer hat seinen Wahlkreis am 26. September mit einem Erststimmenergebnis von 40,4 Prozent souverän gewonnen und verfügt in Teilen der gesamten Partei weiterhin über eine treue Anhängerschaft. Wobei, auch das zählt zur Wahrheit, der einstige „Merz-Hype“ im konservativ-wirtschaftsliberalen CDU-Flügel inzwischen doch merklich abgeklungen ist. Denn es wäre der dritte Anlauf des 65-Jährigen binnen dreier Jahre; der Zauber des zweiten politischen Frühlings ist langsam verflogen. Zumal Merz bei der nächsten (regulären) Bundestagswahl schon knapp 70 wäre – und damit womöglich zu alt, um als Frische ausstrahlender Kanzlerkandidat von der Union aufgestellt zu werden.

Friedrich Merz ist Favorit

Dennoch gilt es als ziemlich sicher, dass Friedrich Merz ins Rennen um den Parteivorsitz geht. Dem Vernehmen nach versucht er derzeit, ein aus Spahn und Linnemann bestehendes Team um sich zu scharen. Wobei insbesondere die Personalie Spahn etwas seltsam anmuten würde, denn der hatte sich bei der zurückliegenden Vorsitzendenwahl bekanntlich noch mit Armin Laschet gegen Merz verbündet. Ohnehin ist Jens Spahns Stern aufgrund dessen vielfacher Taktierereien aus Sicht der Parteibasis stark gesunken; vielen gilt der Gesundheitsminister mittlerweile als rücksichtsloser Machiavellist, und nicht einmal die Junge Union steht geschlossen hinter ihm. Hinzu kommt, dass er sich mit seinem Agieren in der Pandemie-Bekämpfung nicht nur Freunde gemacht hat.

Eine Kandidatur Norbert Röttgens ist ebenfalls absehbar; der 56 Jahre alte Nordrhein-Westfale war bei der zurückliegenden Vorsitzendenwahl als Außenseiter gestartet – und hatte beim Parteitag am 16. Januar ein überraschend gutes Ergebnis geholt: 224 von insgesamt 1001 Delegierten wollten ihn als Parteichef sehen. Röttgen wird zwar allgemein hohe Kompetenz attestiert, und er versteht es, sich als intellektueller Modernisierer aus der bürgerlichen Mitte darzustellen. Gleichwohl verfügt er über keine solide Anhängerschaft, nicht einmal in seinem eigenen Landesverband. Viele CDU-Leute halten ihn für blasiert und besserwisserisch. Dennoch gewann er am 26. September seinen Bundestagswahlkreis (Rhein-Sieg II) mit 40,1 Prozent der Erststimmen souverän. Was nichts daran ändert, dass er gegen Merz eher geringe Chancen haben dürfte.

Spekuliert wird auch, ob Jens Spahn womöglich doch noch einmal (wie 2018) selbst antritt. „Eher nicht“, heißt es dazu aus den Reihen der Bundestagsfraktion. Die Gründe dafür wurden oben schon genannt; hinzu kommt, dass der 41-jährige Münsterländer sich nicht wirklich loyal hinter Armin Laschet gestellt hatte, als dessen Copilot er eigentlich gestartet war. Nicht vergessen ist auch der Erwerb einer millionenteuren Villa in Berlin ausgerechnet zu einer Zeit, als viele Arbeitnehmer während der ersten Corona-Welle um ihre Jobs fürchteten. Kurzum: Jens Spahn hat sich seinen eher schlechten Ruf innerhalb der Partei konsequent erarbeitet. Die Zeiten sind vorbei, in denen er als politisches Supertalent gehandelt wurde, das früher oder später ohnehin ins Kanzleramt einziehen würde.

Tritt auch Brinkhaus an?

Nicht zuletzt ist auch eine Kandidatur von Fraktionschef Ralph Brinkhaus vorstellbar. Dass er sich den Parteivorsitz zutraut, steht außer Frage. Doch der 53 Jahre alte Ostwestfale hat wohl nicht genug Truppen hinter sich versammelt und ist über die Parteigrenzen hinaus auch nicht wirklich bekannt. Es dürfte am Ende also tatsächlich auf Friedrich Merz als nächster CDU-Chef hinauslaufen, allerdings ohne Perspektive auf eine Kanzlerkandidatur. Der Sauerländer solle jetzt erst einmal während der nächsten zwei Jahre die implodierte Christdemokratie wieder aufrichten, dann werde man weitersehen: So jedenfalls lautet eine verbreitete Einschätzung unter den Funktionären. Merz als Interims-Manager.

Das Problem ist nur: Die allgemeine Bevölkerung zeigt sich angesichts der derzeitigen Personalspekulationen bei der CDU nicht gerade elektrisiert. Einer aktuellen Forsa-Erhebung zufolge halten nur 19 Prozent der Befragten Friedrich Merz für den besten Kandidaten, 17 Prozent nannten Norbert Röttgen. Es folgen Jens Spahn (10 Prozent), Ralph Brinkhaus (9 Prozent) und mit 6 Prozent Carsten Linnemann. Hingegen entschieden sich 39 Prozent der Befragten für die sechste Antwortmöglichkeit: „keinen davon, weiß nicht“. Das hat zwar nicht unbedingt viel zu bedeuten, verheißt fürs erste aber auch keinen kraftvollen Neubeginn.

Michael Kretschmer als Joker

Womit wir bei einer weiteren, wenn auch unwahrscheinlichen Option wären. Nämlich dem überraschenden Auftritt eines Kandidaten, der sich aus den bisherigen Machtkämpfen weitgehend herausgehalten hat. Die Rede ist von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der innerhalb der CDU als Kämpfernatur gilt. Immerhin konnte er 2019 bei der Landtagswahl die im Freistaat außerordentliche starke Alternative für Deutschland noch mit knapp fünf Prozentpunkten überrunden (bei der Bundestagswahl lag die AfD allerdings vorne). Gleichwohl sagt ein CDU-Landesvorsitzender aus dem Westen der Republik über Kretschmer: „Wenn er antreten würde, würden sich sehr viele sofort hinter ihn stellen.“

Michael Kretschmer selbst lässt derzeit allerdings keinerlei entsprechende Ambitionen erkennen. Gut möglich, dass ihm das Risiko zu hoch erscheint, als Chef einer zutiefst verunsicherten Partei schnell verbrannt zu werden. Der tiefe Fall von Armin Laschet ist abschreckend genug, um den Parteivorsitz anderen zu überlassen. Zumindest in den nächsten zwei Jahren.

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