Krise der Union - Die Selbstzerstörung der CDU

Trotz Wechsels an der Parteispitze geht die Talfahrt der Christdemokraten weiter – der interne Stellungskrieg zwischen Konservativen und Modernisierern wird sie sogar noch beschleunigen. Es droht das Schicksal der SPD

Zerstörtes CDU-Wahlplakat von 2017: Es folgt die Selbstzerstörung / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es bedarf wahrlich keines Influencers mit blauer Haartolle, um die CDU zu „zerstören“, wie es in feinster Youtube-Diktion heißt. Denn ob „Rezo“ mit seinem knapp einstündigen Videomanifest den Christdemokraten tatsächlich geschadet hat, ist mehr als fraglich. Ganz so doof dürften die meisten Wähler nämlich kaum sein, um sich von der unerwarteten Aufwallung eines Internet-Unterhalters in ihrem Stimmverhalten beeinflussen zu lassen.

Dass die populistische Wutrede eines 26-Jährigen dennoch so viel Öffentlichkeit fand, liegt vielmehr am verheerenden Zustand der beschimpften Partei: Wenn die CDU nicht so unfassbar schwach wäre, könnte ein politischer Nobody wie Rezo mit seinem beherzten Tritt in den Hintern kaum für derartige Verunsicherung sorgen. Spektakulär war nicht das Video selbst, sondern wie hilflos die Parteiführung darauf reagierte. Man könnte auch sagen: Die CDU verhält sich zu Rezo wie die SPD zu Kevin Kühnert.

Der Zuspruch schmilzt dahin

Dass die deutschen Sozialdemokraten weder die Disziplin noch die notwendigen Ideen aufbringen werden, um sich als politische Kraft zu regenerieren, steht inzwischen so gut wie fest. Alles hat eben seine Zeit, und die der SPD dürfte – wenn nicht noch ein Wunder geschieht – endgültig abgelaufen sein. Der CDU jedoch droht exakt das gleiche Schicksal. Es scheint sogar, als hätte die Union neuerdings den Turbo eingelegt, um von ihrem Koalitionspartner beim Wettlauf ins politische Niemandsland nicht abgehängt zu werden. In den Umfragen schmilzt der Vorsprung der Unionsparteien zu den Grünen wie das Eis im sommerlichen Klima-Deutschland, und dabei ist das vergleichsweise starke Ergebnis der CSU noch nicht einmal herausgerechnet. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht.
 
Die selbstzerstörerischen Kräfte innerhalb der Union treten zwar schon lange offen zutage, jetzt aber haben sie eine neue Dimension erreicht: Wenn der ehemalige Generalsekretär Peter Tauber Teile seiner eigenen Partei für die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke durch einen (mutmaßlich) Rechtsextremisten in Mithaftung nimmt, ist das eine Zäsur. Verglichen damit sind sozialdemokratische Richtungsstreitigkeiten über Hartz IV oder über den Verbleib in der GroKo harmlose Plänkeleien. Tauber, ebenso wie einer seiner nicht minder erfolglosen Vorgänger, erkennt also die Feinde der Demokratie in den eigenen Reihen. Für eine Volkspartei, die es immer verstanden hat, unterschiedliche Strömungen nicht nur zu überbrücken, sondern sogar Kraft aus ihnen zu schöpfen, ist das ein Todesurteil.

Inquisitorischer Eifer gegen die „Werte-Union“

Den sogenannten Modernisierern innerhalb der CDU, denen eine Anbiederung an den links-urbanen Lifestyle bis hin an die Ränder der Antifa gar nicht schnell genug gehen konnte und kann, war Kritik am Merkel-Kurs schon immer ein Sakrileg. Mit der Migrationspolitik ist dieses Experiment einer umfassenden Koordinatenverschiebung erstmals spektakulär gescheitert. Konservative Kräfte wie die „Werte-Union“ werden von den Merkelianern auch deshalb mit inquisitorischem Eifer verfolgt, um vom eigenen Versagen abzulenken. Für die Machtperspektive der Union sind die derzeitigen Diadochenkämpfe um die Deutungshoheit in der Nach-Merkel-CDU pures Gift.

Annegret Kramp-Karrenbauer wiederum, die angetreten war, um als neue Vorsitzende ihre Partei zu befrieden, wird mittlerweile zwischen den Lagern zu Staub zerrieben. Sie konnte (oder wollte) nicht einmal verhindern, dass im Konrad-Adenauer-Haus für das miserable Abschneiden bei der Europawahl die Junge Union verantwortlich gemacht wurde. Als Kanzlerkandidatin dürfte sich AKK erledigt haben, ihr Verlust des Parteivorsitzes wäre damit nur noch eine Frage der Zeit. Der CDU droht ein Personalverschleiß nach sozialdemokratischem Muster.

Frontalangriff aus Sachsen-Anhalt

Zwei CDU-Landtagsabgeordnete aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, haben soeben eine schonungslose Analyse (Vermerk: „Nur zur internen Diskussion“) zur verpatzten Europawahl vorgelegt, und schon der erste Satz liest sich wie ein Fanal: „Die Wahlergebnisse der Union erodieren seit der Flüchtlingskrise im Jahre 2015 auf allen Ebenen.“ Hier wird also eine Kausalität hergestellt, die von der Berliner Parteiführung stets und mit teilweise atemberaubender Rabulistik in Abrede gestellt wurde.

Es kommt aber noch härter: „Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und sozialer Leistungsfähigkeit muss neu gedacht und politisch diskutiert werden“, schreiben Thomas und Zimmer. Dies gelte „auch für die Neujustierung auf Personen, die künftig diesen Grundsatz über unterschiedliche Politikbereiche glaubhaft und argumentativ verkörpern“. Wer den letzten Satz als Kampfansage an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier versteht, dürfte nicht ganz falsch liegen.

Überhaupt stellen die beiden Autoren aus Sachsen-Anhalt das Glaubensbekenntnis der Merkel-CDU in Frage, wenn sie unumwunden feststellen: „Der Kurs der asymmetrischen Demobilisierung und Beliebigkeit ist gescheitert. Die Union muss sich vom Koalitionspartner emanzipieren. Es bedarf wieder einer neuen Streitkultur um den besten politischen Weg.“
 
28,9 Prozent der abgegebenen Stimmen hat die Union vor einem Monat bei der Europawahl geholt. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis solche Ergebnisse bei der CDU als Erfolg gelten.

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