Kandidaten für Merkel-Nachfolge - Dreikampf mit Tücken

Die CDU sucht einen neuen Vorsitzenden: Kramp-Karrenbauer, Merz oder Spahn. Doch eine überzeugende Antwort auf die Herausforderungen des neuen Parteiensystems bietet keiner der drei Kandidaten. Stattdessen birgt die Operation Machtwechsel in der CDU beträchtliche Risiken

Friedrich Merz wird gefeiert wie ein christdemokratischer Märtyrer. Wird er die Leidenszeit der Konservativen beenden? / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

So erreichen Sie Christoph Seils:

Anzeige

Es ist ein bemerkenswerter Schauspiel, das die CDU seit Anfang dieser Woche aufführt. Kaum hatte Angela Merkel am Montag angekündigt, sie werde sich auf dem CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hamburg nicht wieder um den Parteivorsitz bewerben, reckten drei mögliche Nachfolger bereits ihren Arm in die Höhe. Vor allem die schnelle Wortmeldung von Friedrich Merz offenbarte: Nicht alle in der CDU waren überrascht von Merkels Ankündigung und ganz so freiwillig, wie behautet, erfolgte sie offenbar auch nicht. 

So viel Chaos war in der CDU noch nie

Die CDU zieht ziemlich unvorbereitet in die neue Zeit. Auf die Schnelle sollen nun Regionalkonferenzen organisiert werden, damit sich die Basis der Partei ein Bild von den Kandidaten machen kann. Doch gerade dies bisschen Basisdemokratie in einer an sich durch und durch hierarchisch organisierten Partei offenbart die Tücken des Dreikampfes, der in der CDU jetzt begonnen hat. Dass die Partei einen neuen Parteivorsitzenden sucht, wo sie doch eigentlich einen Kanzlerkandidaten küren müsste, macht die Sache nicht einfacher, sondern noch tückischer. So viel Chaos wie in diesen Tagen war in der CDU noch nie.

Für eine Debatte über ein paar eigentlich ziemlich wichtige strategische Fragen ist in diesem Chaos keine Zeit mehr. Wie viel Kontinuität braucht die CDU bei dem jetzt bevorstehenden innerparteilichen Machtwechsel und wie viel Bruch mit der Ära Merkel? Wie viel Konservatismus verträgt die neue CDU und wie viel merkelschen Sozialdemokratismus muss sie bewahren? Wie muss sich die CDU in einem sich rasant verändernden Parteieisystem machtstrategisch positionieren, auf welche Bündnisoptionen jenseits der Großen Koalition will sie setzen? Und wie kann sie der Herausforderung durch die Grünen in der Mitte der Gesellschaft begegnen? 
Stattdessen spielen Emotionen bei der Suche nach dem Merkel-Nachfolger oder der Merkel-Nachfolgerin eine entscheidende Rolle, vor allem Hoffnungen, Stimmungen und Sehnsüchte. Das könnte sich für die CDU noch rächen.

Wird der Merz-Hype enden wie der Schulz-Hype?

Die Begeisterung, die Friedrich Merz seit Montag der Öffentlichkeit entfacht hat, und die Aufregung der Medien erinnern nicht zufällig an den Schulz-Hype im Januar 2017. Wie Schulz in der SPD eignet sich Merz in der CDU bestens als Projektionsfläche für alle diejenigen, die von der Union oder von Merkel enttäuscht sind. Dass niemand genau weiß, wofür der 62-Jährige Ex-Fraktionsvorsitzende politisch steht, macht die Projektionsfläche eher noch größer. Irgendwie gilt Merz als konservativ, und irgendwie verspricht er allein mit seiner Rückkehr auf die politische Bühne, dass alles wieder so werden könne wie früher. Wie damals, als die Welt noch übersichtlich war, es keine Sozialen Medien gab, keine AfD und die Union bei Bundestagswahlen locker die 40-Prozent-Marke übersprang. Dazu gilt Merz nicht nur als Merkel-Gegner, sondern sogar als Merkel-Opfer und damit in den Augen vieler Konservativer als christdemokratischer Märtyrer. Einer, der die Leidenszeit beendet und Erlösung verspricht. 

Dass der Merz-Hype allerdings so enden wird wie der Schulz-Hype ist alles andere als ausgemacht, denn natürlich hat Friedrich Merz das politische Potenzial und auch die innere Unabhängigkeit sich als Politiker neu zu erfinden. Deutlich mache das folgende Aspekte: Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur verzichtete er auf jede Form der Abrechnung mit Merkel und vor allem auch mit ihrer Flüchtlingspolitik. Dazu vermied er jede plumpe Anbiederung an AfD-Wähler. Stattdessen verband er seine Kandidatur mit einem Plädoyer für die politische Integration in Europa.

Wer im übrigen meint, man könne Friedrich Merz bekämpfen, in dem man ihm 15 Jahre alte Zitate vorhält oder sein berufliches Engagement für einen amerikanischen Pensionsfonds, der versteht wenig von politischen Prozessen und politischer Dynamik. Nicht seine Vergangenheit wird entscheidend dafür sein, ob Friedrich Merz eine Chance hat Merkel zu beerben, erst in der Partei und später auch im Kanzleramt. Stattdessen wird es auf das Versprechen ankommen, das er für die Zukunft des Landes formuliert.

Die Chancen von Annegret Kramp Karrenbauer 

Wer das Gesicht gesehen hat, mit dem Annegret Kramp Karrenbauer am Montag den Auftritt Merkels vor der Hauptstadtpresse verfolgt hat, der konnte erkennen, wie sehr die CDU-Generalsekretärin von deren Ankündigung überrascht wurde. Für „AKK“ kommt Merkels Rückzug viel zu früh. Die 56-Jährige hat damit gerechnet, dass Merkel frühstens im Sommer kommenden Jahr den Machtwechsel in der CDU einleitet. Bis dahin wollte Kramp-Karrenbauer die Programmdebatte in der CDU nutzen, um sich programmatisch zu profilieren und sich Schritt für Schritt von der Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin zu emanzipieren. Jetzt muss sie stattdessen als Merkels Mädchen in den Ring steigen. 

Was nicht heißt, dass Kramp-Karrenbauer keine Chance hat, die Vorsitzendenwahl auf dem Parteitag für sich zu entscheiden. Es ist schließlich nicht so, dass es in der CDU und vor allem unter den Parteitagsdelegierten keine Merkel-Anhänger mehr gibt. Im Gegenteil: In Teilen der Partei und in einflussreichen Landesverbänden besitzt Merkel noch immer eine breite Unterstützung, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Schleswig-Holstein. Und die scheidende Parteivorsitzende hat selbstredend noch viel Einfluss. Auch wenn sie sich offiziell aus der Nachfolge-Debatte raushält, besitzt sie viele Möglichkeiten, diese trotzdem zu steuern. Zudem ist Kramp-Karrenbauer die einzige der drei Kandidaten, die im Saarland schon gezeigt hat, dass sie Wahlen gewinnen kann. Auch das ist in der Machtpartei CDU ein wichtiges Argument.

Annegret Kramp-Karrenbauer stünde für einen weichen Umbruch in der CDU. Dies wird vor allem denjenigen Funktionären in der Partei gefallen, die in den 18 Merkel-Jahren in der CDU etwas geworden und die von ihrem Politikstil geprägt worden sind. Dass es ein „weiter so“ nicht geben kann, dass sich die Partei in der Nach-Merkel-Ära neu aufstellen muss, weiß Kramp-Karrenbauer. Möglicherweise jedoch wird für sie die Zeit bis zum Parteitag zu knapp, um dies glaubhaft der Basis oder zumindest den moderaten Konservativen in der Partei zu vermitteln. Ihre kritischen Äußerungen zur merkelschen Flüchtlingspolitik kamen in der vergangenen Woche möglicherweise schon zu spät.

Geht Spahn als Hans-Dampf in allen Gassen die Luft aus?

Es sieht also so aus, als besäße Jens Spahn die schlechteste Ausgangsposition im Machtkampf um die Merkel-Nachfolge, obwohl er mit seinen 38 Jahren der einzige ist, der tatsächlich einen Generationenwechsel verkörpert. Aber zwischen Kramp-Karrenbauer und Merz, zwischen der Kandidatin des Parteiestablishments und dem Mann mit dem Hype ist für den dritten Kandidaten wenig Platz zur eigenen Profilierung. Spahn ist zudem schon zulange der konservative Hans-Dampf in allen CDU-Gassen, als dass er sich nicht auch Gegner gemacht hätte, zugleich eignet er sich nur halb so gut wie Merz als Projektionsfläche. Als Spahn vor einem halben Jahr Gesundheitsminister wurde, verstanden viele in der CDU dies auch Auftrag an den Jungkonservativen, sich in der praktischen Regierungsarbeit zu profilieren. Für eine Antwort auf die Frage, ob ihm dies gelungen ist, ist es noch viel zu früh. 

Aber wer kann angesichts des Chaos, das in der CDU in dieser Woche ausgebrochen ist, sicher sein, dass am Ende nicht doch Spahn der lachende Dritte ist? 
Wie das Rennen um den Parteivorsitz in der CDU ausgeht, lässt sich seriös also noch überhaupt nicht prognostizieren. Stark wird die Debatte um die Merkel-Nachfolge in der CDU allerdings auch von der Frage bestimmt werden, wer am besten mit der Kanzlerin Merkel zusammenarbeiten kann. Denn Merkel hat den Rücktritt vom Parteivorsitz mit der Ankündigung verknüpft, das Land bis zum Ende der Legislaturperiode regieren zu wollen. Und da es im Bundestag keine Mehrheit für einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin gibt, werden sich die Christdemokraten mit dieser Ankündigung bis 2021 arrangieren müssen oder bis die SPD die Große Koalition verlässt und Neuwahlen erzwingt. Das Grundgesetz räumt dem Kanzler beziehungsweise der Kanzlerin eine sehr starke verfassungsrechtliche Stellung ein, sodass auch kein CDU-Vorsitzender den Machtwechsel im Kanzleramt erzwingen kann. Also kommt es darauf an, welcher der drei Kandidaten in dieser machtpolitischen Zwischenzeit die stabilste politische Achse zwischen CDU-Parteizentrale und Kanzleramt garantieren kann. 

Das Blei von Merkels Entscheidung

Paradoxerweise spricht dies eher für Friedrich Merz, auch wenn die meisten Kommentartoren vom Gegenteil ausgehen. Merz muss sich gegenüber Angela Merkel am wenigsten profilieren oder beweisen. Eine Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer hingegen müsste als Vorsitzende sofort damit beginnen, sich von der Kanzlerin abzusetzen, um den Vorwurf zu entkräften, sie sei eine Vorsitzende von Merkels Gnaden. Spahn wiederum wäre zwar einerseits Parteivorsitzender, wäre aber andererseits als Gesundheitsminister unter Merkel in die Kabinettsdisziplin der Großen Koalition eingebunden. Auch das muss zwangsläufig zu Konflikten führen, die die Wähler wenig schätzen. 

Manches spricht also dafür, dass die christdemokratischen Chaostage auch nach der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden auf dem Parteitag in Hamburg weiter gehen. Und dass der Richtungsstreit erst anschließend richtig Fahrt aufnimmt, weil dann an die Stelle der emotionalen wieder die strategischen Fragen in den Vordergrund drängen. Mit der Entscheidung, den Machtwechsel an der Spitze der Partei vom Machtwechsel im Kanzleramt zu trennen, hat Angela Merkel ihrer Partei letztendlich also keinen Gefallen getan. 
 

Anzeige