Für was steht die CDU noch? - Gefallsucht bringt die CDU zu Fall

Merkels Zeitgeistpolitik überzeugt schon lange nicht mehr, und die Union hat ihren Markenkern verloren. Den Konservativen fehlen Heimat und Orientierung. Um zukünftig zu gewinnen, braucht sie Einkehr zur Umkehr.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundesinnenminister Horst Seehofer im Austausch. / dpa
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Will man einem Christdemokraten schmeicheln, lobt man ihn als „wahren Liberalen“. Will man ihn ärgern, nennt man ihn einen „aufrechten Konservativen“. Denn in Deutschland will man nur ungern „konservativ“ genannt werden. Dieses Etikett steht heute für rückständig und rechts – und ist damit als Vorstufe zu Rechtsextremismus gebrandmarkt. Während linke Medien ganz selbstverständlich als „links-liberal“ geadelt werden, wird die Einordnung „rechts-liberal“ so gut wie nie benutzt. Rechts ist allenfalls „rechts-populistisch“ oder gleich „rechts-national“. Also nahe bei der AfD – und damit politisch vergiftet. 

Mit der Begriffsverschiebung nach Links hat auch die CDU ihren Markenkern verloren. Es gibt wenig, was diese Partei noch zusammenhält – außer dem Ziel, an die Macht zu kommen oder wenigstens ein paar Minister stellen zu dürfen. Mit wem, ist zweitrangig und wird als neue Aufgeschlossenheit ausgegeben. Flügelübergreifend kann man sich allenfalls noch darauf verständigen, „dem christlichen Menschenbild“ verpflichtet zu sein. Was dann linke wie rechte Christdemokraten ebenso willkürlich interpretieren wie Christen die Bibel, falls sie diese überhaupt noch kennen. 

Es steht alles Kopf

Mit Helmut Kohl ist einer der letzten bedeutenden Konservativen der CDU in Ungnade gefallen. Der Kanzler der Einheit wurde in seiner langen Amtszeit als pfälzischer Provinzler und „Birne“ verspottet. Angela Merkel hat den Spenden-Sünder 1999 ein Jahr nach dem Machtverlust gestürzt und die Partei vom Ruch des „schwarzen Filzes“ befreit. Nach einer kurzen Aufwallung als mutige Reformerin hat die erste Frau und Ostdeutsche im Kanzleramt rasch beigedreht und sich dem links-liberalen Zeitgeist unterworfen. Nach und nach hat sie die tragenden Pfeiler aus dem Unionsgebäude herausgebrochen.

Dem abrupten Ausstieg aus der Kernenergie nach der Reaktorkatastrophe in Japan 2011 folgt eine ebenso konfuse wie teure Energiewende. Mit der Abschaffung der Wehrpflicht im selben Jahr schwächt sie nicht nur die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, sondern auch ihr Renommee als Partei der Sicherheit. Merkels 2015 ausgerufene Willkommenskultur samt großzügiger Grenzöffnung für Millionen Flüchtlinge aus dem überwiegend muslimisch-arabischen Raum stellt schließlich alles auf den Kopf, was die Union bislang in der Asyl- und Zuwanderungspolitik vertreten hat. 

Die Rolle der AfD

Dieser Kurswechsel ist es vor allem, der die AfD für konservative Wähler zu einer Protest-Alternative gemacht hat, die heute in allen Parlamenten vertreten ist. War es bei deren Vorläufern, den „Republikanern“, noch gelungen, diese als „verkappte Nazis“ zu diskreditieren, so ist die Strategie der rigorosen Abgrenzung bei der AfD nicht gelungen. Selbst in Baden-Württemberg, wo sich die AfD-Fraktion durch Streitereien von 22 auf 15 Mandate ins Abseits gestellt hat, bleibt sie bei der Landtagswahl am 14. März 2021 trotz Verlusten knapp zweistellig (9,7 Prozent). Auch in Rheinland-Pfalz verliert sie ein Drittel ihrer Wähler.

Doch die CDU profitiert davon nicht und stürzt in beiden einstigen Stammlanden auf historische Tiefstwerte. Und das, obwohl die AfD mit jeder Häutung radikaler wurde. Heute muss sich die CDU fragen, ob es nicht klüger gewesen wäre, sich dieser national-konservativen Abspaltung zu öffnen, als sie unter ihrem Gründungsvorsitzenden Bernd Lucke noch für seriöse Politik erreichbar gewesen wäre.

Heimatlosigkeit der Konservativen

Dass die CSU-Granden Söder und Seehofer die lästige Konkurrenz von rechts als staatsgefährdend anprangern und am liebsten verbieten lassen würden, wird im Netz mit alten Reden von Franz-Josef Strauß quittiert, die nach heutigen Maßstäben weit jenseits des politisch Korrekten liegen. Dem Säulenheiligen der CSU war es noch ein Anliegen, dass rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Kraft entstehen dürfe. Söder hat diese Maxime aufgegeben und seine Partei nach links verschoben, um dem grünen Milieu zu gefallen und womöglich als erster Bayern Bundeskanzler zu werden. Er hat die Konservativen in der Union endgültig heimatlos gemacht.

Entfremdung der Anhängerschaft

Mit diesem Greenwash läuft die Union allerdings Gefahr, dass es ihr ergeht wie der SPD. Auch die hat versucht, durch Einbindung der grünen Abspaltung deren wachsende Anhängerschaft zurückzugewinnen. Inzwischen haben die Grünen die Sozialdemokraten erst nach unten gezogen und dann überholt. In Baden-Württemberg, wo ein Lothar Späth absolute Mehrheiten geholt hatte, sind die Grünen nicht nur dank des öko-konservativen Solitärs Winfried Kretschmann zur Volkspartei aufgestiegen. Sondern auch, weil die CDU als ergebener Juniorpartner der ersten grün-schwarzen Koalition jedes Profil verloren hat.

Frei nach Karl Valentin: Konservative Positionen hätten wir schon gerne beziehen wollen, aber haben wir uns nicht getraut. Denn stets lauerte der Dolchstoß aus Berlin. Wie soll man gegen die Grünen Position beziehen, wenn Merkel, CDU-Zentrale und die Konrad-Adenauer-Stiftung eine grün-rote Forderung nach der anderen übernehmen. Von der Homo-Ehe über die Grundrente bis zum Lieferkettengesetz. Von Wehrpflicht, Kernenergie und Asylrecht ganz zu schweigen.

So entfremdete sich die Anhängerschaft, die sich bei Befragungen stets konservativer als das Partei-Establishment verortet und nun gefrustet zu den Nicht-Wählern oder Freien Wählern flüchtet. Beifall gab es hingegen von weiten Teilen der Medien und dem eher grün-roten Millieu. Das bescherte Merkel lange hohe Popularitätswerte. Was ihr stets wichtiger als Beifall von der eignen Partei war, mit der sie seit jeher gefremdelt hat.

Versagen auf ganzer Linie

Nun war die CDU nie eine Programmpartei. Wahlen hat sie gewonnen, weil man ihr gutes Regieren zutraute, um den „Wohlstand für alle“ (Ludwig Erhard) zu mehren. Die Handhabung der Corona-Krise samt Impf-Desaster offenbart nun, dass unter Kanzlerin Merkel vor allem Sozialausgaben und Bürokratie gewachsen sind. Der vielfach versprochene „schlanke Staat“ hat sich ebenso ins Gegenteil verkehrt wie der Anspruch, Partei der Wirtschaft zu sein.

Der CDU-Wirtschaftsrat wurde von Merkel mit einer Geringschätzung gestraft, die nur noch von der Verachtung für die Wertkonservativen in der Partei überboten wird. Lieber empfängt  sie Klimaaktivisten von „Fridays for Future“ als die Vertreter der Industrie. Stur hält sie an Peter Altmaier als Wirtschaftsminister fest, anstatt etwa mit Friedrich Merz eine Persönlichkeit ins Kabinett zu holen, die von Wirtschaft etwas versteht und im bürgerlichen Lager hoch geachtet wird. Aktivposten sucht man in Merkels Ministerriege vergebens. Fast scheint es, als seien die Ressortchefs der Union angehalten, den teuren Reformvorhaben der SPD-Minister nicht allzu viel Widerstand entgegenzusetzen.   

Nur noch Mittelmaß

Der SPD nutzt ihr sozialpolitische Übereifer zwar nicht, aber er schadet der CDU umso mehr. Denn der CDU bricht damit der tragendste aller Pfeiler weg: ihre Kompetenz für Wirtschaft und Finanzen, die durch die Maskenaffäre erneut im Ruch des bloßen Eigennutzes steht.

Selbst Der Spiegel, der den vermeintlichen „Neoliberalismus“ lange Zeit zur großen Plage erklärt hat, erkennt nun den Mangel an ökonomischem Sachverstand: „Am Ende der Ära Merkel ist Deutschland auf vielen Zukunftsfeldern nur noch Mittelmaß, der Staat wirkt schwach, die Gesellschaft müde, ein kleinkarierter Föderalismus bremst das Land. Es braucht einen Plan B.“ Dieser müsste lauten: Zurück zu den Wurzeln. Mut zu Reformen – und weg von der Gefallsucht, die letztlich nur dem grünen Original dient und die Kopie zur Makulatur macht.

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