CDU im Wahlkampf - Partei im Zangengriff

Nach dem Drama „Laschet gegen Söder“ befindet sich die CDU derzeit in einem desolaten Zustand. Auch die Umfragen sind miserabel. Dabei sind dies alles nur Anzeichen für eine viel tiefgreifendere Zäsur, die der Partei noch bevorsteht.

Die CDU positioniert sich noch immer als Partei der Mitte / dpa
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Michael Freckmann studierte Politikwissenschaft in Göttingen und York (UK). Er beschäftigt sich journalistisch und wissenschaftlich mit Parteien im Wandel sowie mit politischen Wahlen.

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Die CDU braucht dringend Veränderung. Bereits im jetzt anlaufenden Wahlkampf wird sie diesen Reformdruck zu spüren bekommen. Vorbei sein wird es mit den Merkel-typischen entpolitisierten Wahlkampagnen. Oft hat die Partei Forderungen von Gegnern übernommen, deren Anhänger dann am Wahltag vermehrt zu Hause blieben. Diese Form der eigenen Modernisierung durch Öffnung hin zu neuen Wählerklientelen bescherte der Partei lange Zeit Wahlerfolge, hatte aber ihren Preis im eigenen Profilverlust. Der Union, die breite Milieus integrieren will, gelingt es immer weniger, die Rolle einer bürgerlichen Klammer wahrzunehmen. Gesellschaftliche Konfliktlinien zur Migration, zum Klimawandel und der Frage einer globalen oder nationalen politischen Handlungsperspektive laufen mitten durch die bürgerlichen Milieus hindurch. Bereits bei der vorigen Bundestagswahl erreichte die Union lediglich bei den über 60-Jährigen volksparteiliche Zustimmungsraten von mehr als 40 Prozent. 

Die CDU reagierte taktisch darauf, indem sie sich jenseits von AfD und Linken überallhin anschlussfähig zeigte. So sollte gegen sie keine Regierung gebildet werden können. Diese Zentralstellung aber droht sie in diesem Herbst zu verlieren. Sollten die Grünen ein hohes Wahlergebnis bekommen, hätten sie durch ihre Stärke und Koalitionsoffenheit mindestens so viele Regierungsoptionen wie die CDU. Auch die Freien Demokraten sind offener geworden für neue Koalitionen. Armin Laschet gilt zwar als jemand, der Koalitionskompromisse herstellen könnte. Die Frage ist aber vielmehr, ob die CDU noch in die Rolle kommen wird, sich Koalitionspartner aussuchen und eine Regierung anführen zu können.

In der Partei rumort es

Je unschärfer das inhaltliche Profil wurde, desto mehr machte die CDU den Regierungspragmatismus zu ihrem Markenzeichen: Krisen abfedern und Probleme abarbeiten. Doch vielerorts gilt dieser sich in der Person Merkel manifestierende Politikstil und das Agieren der Großen Koalition schon lange als zu sehr im Klein-Klein verhaftet und zu wenig Elan versprühend. So wird der einst geschätzte Regierungspragmatismus schnell zu einem ideenlosen Durchwursteln. Der CDU-Vorsitzende, der in Düsseldorf geräuschlos eine Koalition mit Ein-Stimmen-Mehrheit führt, wirkt wie der Regierungspragmatiker schlechthin. Dieser Eindruck verstärkt sich gegenüber den in Gesellschaftsvisionen denkenden Grünen als Hauptkonkurrent der Union bei dieser Wahl noch und wird so umso mehr zu einem Problem für die CDU.

Auch innerhalb der CDU rumort es. Erkennbar besteht derzeit in der sonst so pragmatischen Partei ein Bedürfnis nach Schärfung der eigenen Identität. Zwar haben sich in den vergangenen Jahren die Mitglieder rechtzeitig zu den Wahlkämpfen wieder zusammengerauft, damals trat aber eine Kanzlerin an, die der CDU bereits Wahlerfolge beschert hatte. Nach langer programmatischer Auszehrung und den Enttäuschungen rund um die Debatten um die Kandidaturen von Merz für den Parteivorsitz und Söders Kanzlerangebot kann möglicherweise manches Mitglied nur schwer für den kommenden Wahlkampf motiviert werden.

Zu spröde zum Kämpfen

Wie schwer der Interessensausgleich in der Anhängerschaft der Partei sein wird, macht Laschets Stichwort vom „Modernisierungsjahrzehnt“ deutlich. Es symbolisiert ohne Zweifel Aufbruch. Mancher, der sich sonst nach zupackender Rhetorik eines „starken Mannes“ sehnt, wird vor den Folgen tatsächlich stattfindender gesellschaftlicher Reformen letztlich jedoch zurückschrecken. Eine politische Herangehensweise, die neue Großtrends nicht verleugnet, sondern ausgleichend verarbeitet – etwa mit Blick auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Klimawandel und Digitalisierung – entspräche schon eher dem volksparteilichen Grundgedanken der CDU und auch dem Wesen Laschets. Sie kommt aber nicht in knappen Slogans, sondern eher spröde daher. Für einen mitreißenden Wahlkampf eignet sie sich daher nur bedingt.

In den ersten Bundestagskandidaturen markanter Köpfe zeigt sich bereits, unter welcher Spannung die Partei auch personell steht. Friedrich Merz kandidierte mit Laschets Rückendeckung, Hans-Georg Maaßen bewusst ohne diese. Ob jene, die sich für konservative Christdemokraten halten, nur einen eigenen Parteiflügel für sich wollen, oder die CDU zu einer vollständig konservativen oder noch weiter rechts ausgerichteten Partei machen wollen, bleibt vorerst unklar. Ob für sie der Begriff „konservativ“ ein Zurückdrehen oder ein Bremsen des Fortschritts meint, ist in ihren Reihen ebenso umstritten. Statt wie bei früheren Flügelvertretern eine Integration in die Gesamtpartei hineinzuvollziehen, führt dies eher in eine innerparteiliche Polarisierung. Das würde sich doppelt negativ für die CDU auswirken: Gemäßigte Wähler ließen sich von Maaßen und seinen Leuten abschrecken, seine Sympathisanten hingegen würden letztlich nur durch die Wahl der AfD auf Nummer sicher gehen können. Ähnliches gilt bei ökonomischen Themen für einen zugespitzt auftretenden Merz mit Blick auf eine Wählerflucht zur FDP 

Vitalisierung der Politik

Ob die CDU durch das Herausstellen von Flügelrepräsentanten überhaupt in der Lage sein könnte, verlorene Wähler zurückzugewinnen, ist mehr als fraglich. Trotz der Debatten um rechtsextreme Umtriebe bei der AfD bleiben deren Umfragen bisher relativ stabil. Auf der anderen Seite wählten ehemalige CDU-Wähler in Baden-Württemberg nun zum wiederholten Male die Grünen. Dies zeigt, dass ein gewisser Wählerabfluss von der CDU eben nicht nur kurzfristiger Natur war. Hochproblematisch ist dabei der Zangengriff, in den die Partei geraten ist: Ihre stärksten Konkurrenten sind im Osten die AfD und im Westen die Grünen. Für die CDU-Führung ist dies ein kaum zu leistender Spagat. Je integrativ-präsidialer Laschet über allem zu stehen versucht, desto schwächer würde seine Führungsautorität wirken. Je stärker er eingreift, desto mehr würde er einzelne Lager gegen sich aufbringen.

In der kommenden Wahl muss die CDU die vielerorts vernehmbare Forderung nach einer Vitalisierung der deutschen Politik bedienen. Diese muss sie mit einem für Ausgleich und Pragmatismus stehenden Kanzlerkandidaten erfüllen, der ohne Amtsbonus antritt. Hinzu kommt, dass sie ihre vergangenen 16 Regierungsjahre nicht verleugnen und das Beständigkeitsbedürfnis aus Teilen ihrer Wählerschaft nicht ignorieren kann. Gelingen muss das in einem Umfeld, in dem die Konkurrenz für viele christdemokratische Anhänger wählbar geworden ist. 

Ein Sieg ist keine Rettung

Die CDU wird auch diesen Wahlkampf wohl wieder mit Drohkulissen vor Rot-Rot-Grün und der „Ampel“ sowie der Warnung vor einem ideologischen Furor der Grünen bestreiten. Doch gegenüber Grünen, wie sie Habeck und Baerbock repräsentieren, verfängt dies immer weniger. Eine realistische Regierungsperspektive der Grünen könnte jedoch genug Druck auf die CDU aufbauen, dass sich dort noch einmal alle zusammenreißen. Zu Hilfe kommen könnte ihr auch, dass die Debatten im September möglicherweise vorrangig von den wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise bestimmt sein werden und dann vielen ein ausgleichend auftretender Krisenmanager gerade recht käme. Vielleicht rettet sich die CDU so über die Ziellinie. Ihre strukturellen Probleme löst sie damit nicht. Eine gute Zukunftsperspektive sieht anders aus.
 

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