CDU Thüringen - Zwischen Merkel und Maaßen

Tolerant bis an den Rand – mit dieser Strategie will CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring die Wahlen in Thüringen gewinnen. Jetzt bekommt der Politiker sogar Morddrohungen von rechts. Können die ostdeutschen Wahlen dieses Jahres eine Antwort auf die Frage nach der Ausrichtung der CDU geben?

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„Schluss damit!“ Mit klaren Worten will die CDU in Thüringen Profil gewinnen / Fotos: Nora Klein
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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An diesem Wochenende im September hagelt die Bundes-CDU Mike Mohring mal wieder ordentlich in den Wahlkampf: Während der 47-Jährige im Thüringer Wald oberhalb von Suhl seinen Namen auf eine Unterschriftenliste gegen den Bau zweier Windräder setzt, versucht sein Parteikollege und Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf einem Gipfel in Berlin, den ins Stocken geratenen Bau von Windkraftanlagen wieder anzukurbeln.

Es ist nicht der einzige Punkt, in dem CDU-Spitzenkandidat Mohring einen Monat vor den Thüringer Landtagswahlen mit der Bundespartei über Kreuz liegt. „Nicht hilfreich“ nennt er die Querelen um einen möglichen Parteiausschluss von Ex-Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen, die Annegret Kramp-Karrenbauer mit einem Interview ausgelöst hatte. Für sein Verhältnis zur Bundes-CDU hat er einen eigenen Begriff definiert, erzählt er, während er an diesem Spätsommertag von Wahlkampftermin zu Wahlkampftermin eilt: „freundlicher Abstand“. Den spiegelt auch das Design seines Wahlkampfs wider: Die türkise Grundfarbe lässt keine Assoziation mit der Bundespartei aufkommen.

Die Lehren aus dem Bund

In diesem Herbst geht es nicht nur um die Frage, ob die CDU, die in Thüringen bis 2014 die Landespolitik ähnlich dominierte wie im benachbarten Sachsen, an die Regierung zurückkehren kann. Es geht auch um die Lehren, welche die Bundes-CDU aus den drei Ost-Landtagswahlen für ihren zukünftigen Kurs zieht. Wie offen nach rechts muss sich die CDU positionieren, um Wahlen zu gewinnen? Ganz konkret: Kann die Werte-Union um Hans-Georg Maaßen zur CDU gehören oder nicht?

Über Jahrzehnte hatte die Stabilität der CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei darin bestanden, dass sie ihre Flügel integrierte – lange Jahre personifiziert von Politikern wie Alfred Dregger auf der einen und den „Herz-Jesu-Marxisten“ Norbert Blüm und Heiner Geißler auf der anderen Seite. Diese integrative Kraft ist in der Ära Merkel verloren gegangen. Auch deshalb das Erstarken der AfD und zuletzt das Entstehen der Werte-Union, die von der Führung in Berlin als häretisch empfunden wird. Das Erstarken der AfD macht auch den Thüringer Christdemokraten zu schaffen.

Heute rechtspopulistisch, früher CDU

Aus Berliner Sicht wird jedoch ein anderes Bild gezeichnet. Man muss nur im September Ralph Brinkhaus auf einer Feierstunde der CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft zu ihrem 70. Jubiläum im Reichstag lauschen: „In den letzten 70 Jahren ist viel passiert. Und die Union hat sich auch ein bisschen verschoben, nicht zum Schlechteren, sondern in die Realität hinein“, sagt er da vor versammelter Mannschaft. „Ein bisschen verschoben“? Was heute weithin als rechtspopulistisch abgelehnt wird, war noch in den achtziger Jahren CDU-Mittelmaß: Nach der Bundestagswahl 1983, Helmut Kohl war im Amt des Bundeskanzlers bestätigt worden, waren sich CDU und CSU einig, dass der Ausländeranteil in den nächsten zehn Jahren halbiert werden müsse. Die Überzeugung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und seine Zukunft bunt, setzte sich erst ab den neunziger Jahren durch. Auch die Idee der EU als „Europa der Vaterländer“, von der heute nur noch die AfD spricht, hatte noch in den neunziger Jahren mit Alfred Dregger, bis 1991 immerhin Fraktionsvorsitzender, einen prominenten Verfechter. Bei der Dekriminalisierung und Gleichberechtigung sexueller Minderheiten hat die CDU (und mit ihr die gesamte Republik) seit den neunziger Jahren einen weiten Sprung vollbracht. Also noch einmal: „Ein bisschen verschoben“?

Von Erfurt aus kann Mike Mohring am Kurs der Führungsspitze wenig ändern, insbesondere, solange er in der Opposition gegen das rot-rot-grüne Bündnis sitzt. Eine Weile lang gehörte er dem konservativen „Berliner Kreis“ an, bevor der überhaupt diesen Namen bekam. Aber schon 2011 distanzierte sich Mohring von ihm. Dafür verortete er sich in dieser Zeit öffentlichkeitswirksam politisch – als Herausgeber des Sammelbands „Was heißt heute konservativ? Bausteine für einen modernen Konservativismus“.

Sicherheit und Bildung

Doch statt nun Richtungskämpfe auszutragen, will er die Kümmerertugenden der CDU wiederbeleben. Dazu hat er seine Partei aus „Die Thüringen Union“ in „Die Volkspartei“ umbenannt, das soll mehr Nähe atmen und weniger staatstragend daherkommen. Die Webseite der Partei findet man jetzt unter kuemmern.de. Mohrings größter Vorwurf in Richtung Berlin ist nicht ideologisch, sondern jener, dass durch permanente Selbstbeschäftigung der Eindruck besteht, dass „nicht gehandelt und umgesetzt“ werde. Von der Großen Koalition hätte er gerne die Grundrente „geliefert“ bekommen, ein drängendes Thema in Thüringen. Mit oder ohne Bedarfsprüfung, das wäre ihm, dem Pragmatiker, egal gewesen.

Im Wahlkampf setzt Mohring nun auf Themen wie Sicherheit und Bildung, zudem hat er den Protest gegen den Bau von Windrädern als Thema entdeckt. Schlüsselbegriff in seinen Reden ist das „Augenmaß“ – so will er die Probleme angehen. Das Thema Flüchtlinge erwähnt er in seinen Auftritten nicht explizit – umso unruhiger machen ihn im September Zeitungsberichte darüber, dass über die Balkanroute wieder vermehrt Flüchtlinge kommen. Das hilft nur der Konkurrenz von rechts. „Aber heute läuft das ja alles viel kontrollierter“, glaubt er. „Die Probleme, die wir hier haben, sind Altlasten von 2015.“ Hätte die Bundesregierung das Gesetzespaket zur Migration nicht erst in diesem Juni, sondern schon früher beschlossen, hätte sie damit Handlungsfähigkeit durch Ordnung und Steuerung bewiesen und eine ganz andere Wirkung erzielt, ist Mohring überzeugt.

Die Repräsentanten fehlen

Die freundliche Distanz wahrt Mohring dabei in beide Richtungen: kein Auftritt mit Maaßen also. Diese Strategie fährt er auch deshalb, weil er nach der Wahl auf die erste deutsche Simbabwe-Koalition zusteuern könnte: schwarz-rot-gelb-grün. Und doch hat er zu Maaßen eine klare Meinung: „Die CDU ist eine Volkspartei – und zu dieser Partei haben immer unterschiedliche Strömungen gehört.“ Deswegen hat er auch kein Problem mit den CDU-Politikern aus Thüringen, die Mitglieder der Werte-Union sind und Maaßen zum Wahlkampf eingeladen haben. Mohring erinnert sich daran, wie die CDU-Führung unter Merkel einst mit dem „Berliner Kreis“ umging – dazu gehörte neben ihm selbst auch Alexander Gauland. Dessen Forderungen nach Anerkennung ignorierte die Partei, 2013 ging Gauland zur AfD. „Den Fehler, konservativen Parteimitgliedern die kalte Schulter zu zeigen, weil sie sich zusammenschließen, sollten wir nicht wiederholen“, sagt Mohring. „Oft hat man diese Debatten über einen vermeintlichen Richtungsstreit auch deswegen, weil die Repräsentanten fehlen“, ist er überzeugt. Auf Landesebene soll ihm das jedenfalls nicht passieren. „Wir gehen unabhängig von Berlin einen eigenen Weg.“

Mohring ist gleichzeitig nicht davon überzeugt, dass ein einfacher Rechtsruck der CDU die AfD wieder überflüssig machen könnte. Die Partei beziehe ihre Stimmen neben der CDU auch aus der SPD oder der Linken – und zu einem großen Teil aus dem Fundus der Nichtwähler, bei denen man ohnehin nicht wisse, was diese vorher gewählt haben.

„Auch faule Äpfel sind dabei“

Von Mohrings Thüringer Toleranz­edikt profitiert derweil Marcus Kalkhake. An diesem Spätsommertag strotzt der Kandidat für die Landtagswahl aus Suhl vor Selbstvertrauen. „Wandern mit Mike Mohring“ – unter diesem Motto ziehen Kalkhake, Mohring und an die 70 CDU-Unterstützer in Südthüringen durch trockene Wälder zur Waldbaude an der sogenannten Langen Bahn.

Kalkhake, ein Kriminalbeamter in seinen Vierzigern, der die Probleme mit straffälligen Flüchtlingen nicht vom Hörensagen kennt, hatte schon im Oktober 2015 seinen Namen unter einen Brandbrief an die Kanzlerin gesetzt, in dem 34 kommunale CDU-Politiker ein Umschwenken in der Flüchtlingspolitik forderten. Sein Eintritt in die 2017 gegründete Werte-Union war nur folgerichtig. Nach über einem Jahrzehnt im Stadtrat wagt er nun den Sprung in den Landtag.

Und sieht sich in seinem Kurs bestätigt: Gegen den Trend stellt die CDU seit letztem Jahr in Suhl den Bürgermeister und hat in diesem Mai bei den Wahlen in den Stadtrat fast 30 Prozent geholt. Die Linke verlor massiv, und auch die AfD kam nur auf 12 Prozent. „Das liegt daran, dass wir als CDU hier immer Klartext geredet haben: Bei den Flüchtlingen sind eben auch faule Äpfel dabei“, sagt der kräftige Familienvater. Das war gerade wichtig in einer Stadt, in deren Flüchtlingsheim es schon im August 2015 zu schweren Krawallen kam. Die Suhler waren aufgewühlt von den Ereignissen. Aber mit einer klaren Linie insbesondere bei der inneren Sicherheit, so glaubt Kalkhake, könne man die AfD wieder überflüssig machen.

„Es gibt jetzt eigentlich zwei CDUs“

Kalkhake hat als einer von vier Thüringer Ortsverbänden Hans-Georg Maaßen zum Wahlkampf eingeladen. Wie viele von den Thüringer Kandidaten eher auf seiner Linie sind, kann er nicht sagen. Natürlich gebe es auch solche, die noch dem „Berliner Kurs“ folgten. „Aber abgerechnet wird am 27. – dann sehen wir weiter“, sagt er trotzig. Von Mohring, der sich selbst beim Thema Flüchtlinge zurückhält und öffentlich auch keine Kritik mehr an der Kanzlerin übt, fühlt sich Kalkhake dennoch gut vertreten.

„Es gibt jetzt eigentlich zwei CDUs“, glaubt Kalkhake. „Wir hier im Osten kämpfen gegen rechts, die im Westen gegen links“, sagt er. Und dass es da oft schwer sei, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

Den gemeinsamen Nenner versucht Mohring zu schaffen. Er bringt es fertig, 2018 den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz und in diesem Jahr den bayerischen Nachbarn Markus Söder zum Jahresempfang der CDU nach Erfurt zu holen – zu Auftritten vor Tausenden Zuschauern. Bis zu den Wahlen werden aber auch Kramp-Karrenbauer und Merkel nach Thüringen kommen. „Nur so kann das Konzept Volkspartei funktionieren“, ist er überzeugt.

Die Initialzündung für Mohrings Politikerdasein

Eigentlich hat Mohring die perfekte Biografie für einen ostdeutschen Politiker. 1971 wurde er in der Kleinstadt Apolda, auf halbem Weg zwischen Erfurt und Leipzig, als Sohn eines Maurers und einer Verkäuferin geboren. Im Herbst 1989 führten er und seine Freunde die Montagsdemos in der Stadt an. Mit Kerzen und Tausenden Menschen zogen sie zur SED-Kreisleitung.

Mike Mohring war damals 17, ein halbes Jahr später wollte er Abitur machen. Seinen Studienwunsch Medizin hatte man ihm versagt, noch lieber hätte er Jura studiert, aber das war ihm zu systemnah. Als er nach den Ferien zurück in die Klasse kam, fehlten einige Freunde. Sie waren mit ihren Eltern im Sommer über Ungarn in den Westen gegangen. Mohring wollte nicht weg, aber auch nicht mehr weitermachen wie bisher. Mit ein paar anderen gründete er eine Jugendgruppe und schrieb eine neue Schul­ordnung. Natürlich waren die Lehrer sauer. Nicht mehr mitzumachen, bedeutete, sich Ärger einzuhandeln. Auch das ist so eine Initialzündung für sein Politikerdasein. Über das Neue Forum kam er 1993 zur CDU. Die Leute seien ihm sympathischer gewesen, wie er sagt. Mohring ist ein politisches Kind der Wende, doch erstaunlich ist, wie wenig Kredit es ihm heute bringt. Sowohl Linkspartei als auch AfD thematisieren die friedliche Revolution vor 30 Jahren. Der Revolutionär von einst aber hat es schwer.

Bodo Ramelow macht einen guten Job

Am 27. Oktober könnte Mohring zur tragischen Figur werden: Wenn die FDP wie in Sachsen und Brandenburg an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, wird es der CDU wohl an Koalitionspartnern fehlen – und die Wahrscheinlichkeit, dass Rot-Rot-Grün unter dem Linken Bodo Ramelow weiterregiert, ist groß. Denn ähnlich wie bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen scheint auch er vom Landesvater-Bonus zu profitieren.

„Der Ramelow macht nüscht verkehrt“, bringt es eine Rentnerin im Café am Erfurter Anger auf den Punkt. Seine Bodenständigkeit macht den Linken über Parteigrenzen hinweg beliebt. Der Westler Ramelow, der erst in den Neunzigern nach Thüringen kam, profitiert auch davon, dass er wegen der guten Konjunktur in den letzten fünf Jahren fünf Milliarden Euro mehr ausgeben konnte als erwartet. Eine schwarze Null unter der Führung der Linken – wer hätte das für möglich gehalten? Ramelow wirbt auf Plakaten mit dem Slogan „Nähe, Verlässlichkeit, Offenheit“ und seinem Gesicht, dessen sorgenvolle Stirnfalten von einem optimistischen Blick ergänzt werden. So einfach ist das. Zumindest, wenn man den Umfragen glaubt. Die Linke wird wohl als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgehen, vor CDU oder AfD. Und könnten die Thüringer den Ministerpräsidenten direkt wählen, würden sich 41 Prozent für Ramelow entscheiden, nur 15 Prozent sähen gerne Mohring auf dem Posten. Zwar hat ihm das Öffentlichmachen seiner Krebserkrankung im Januar und die erfolgreiche Rückkehr ins politische Leben nach einer Therapie im Juni Sympathie verschafft. Aber in der Disziplin bodenständiger Auftritt schlägt Ramelow den CDU-Kandidaten um Längen.

Verunsicherter Nachwuchs

Dass AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke im direkten Vergleich noch weit schlechtere Werte bekommt, ist ein schwacher Trost. Die Partei, die in Thüringen besonders völkisch auftritt, wird über 20 Prozent kommen, mit Stimmen von Linken, SPD, bisherigen Nichtwählern, aber natürlich auch von der CDU.

Der CDU-Tross um Mohring ist inzwischen an der Bergbaude Lange Bahn angekommen. Bratwurst und Bier gibt’s, ein Alleinunterhalter singt Schlager. Ein 18-Jähriger von der Jungen Union, der aus dem benachbarten Wahlkreis gekommen ist, um mit Mohring zu wandern, tritt auf den Spitzenkandidaten zu und sagt frei von der Leber weg: „Die Leute sagen uns, dass sie sich von der CDU noch deutlichere Worte in der Flüchtlingsfrage wünschen.“ Mohring nickt verständnisvoll, dann verweist er den Nachwuchs auf sein Regierungsprogramm und die Kampagne „Schluss damit!“ … und versichert dem verunsicherten Nachwuchs: „Da geben wir noch mal Gas.“

Dieser Text ist in der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können. 

 

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