Legalize it? - „Cannabis ist nicht harmlos“

Die Ampel-Pläne zur Legalisierung von Cannabis werden kontrovers diskutiert. Noch in dieser Woche könnte der Bundestag darüber abstimmen. Der Suchtmediziner Derik Hermann erklärt, warum er eine Legalisierung für sinnvoll hält – unter bestimmten Bedingungen.

Cannabisplanzen im Blühraum einer Produktionsanlage für medizinisches Cannabis / dpa
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Derik Hermann ist Suchtmediziner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt im Therapieverbund Ludwigsmühle Landau (Drogenrehabilitation, Suchtberatungsstellen).

Herr Hermann, Sie haben sich in einer Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss für eine Cannabis-Legalisierung ausgesprochen. Was spricht denn aus suchtmedizinischer Perspektive dafür?

Dass das jetzige Verbot keinen Erfolg hat. Ich muss aber betonen, dass Cannabis nicht harmlos ist. Es gibt Folgeschäden: Abhängigkeit, Psychosen, Depressionen und neuropsychologische Defizite von Konzentration und Gedächtnis können häufiger auftreten. Das muss man anerkennen, deswegen ist das Ziel, den Konsum von Cannabis möglichst gering zu halten. Die meisten Menschen denken, dass das durch ein Verbot erreicht wird. Das stimmt aber nicht. Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man, dass die Anzahl der Konsumenten trotz Verbot gewachsen ist. In einigen Ländern mit einem Verbot von Cannabis, zum Beispiel Frankreich, konsumieren mehr Personen Cannabis als in den Niederlanden, wo es erlaubt ist. Außerdem sind durch das Verbot die Gesundheitsrisiken erhöht. Ein kontrollierter, aber legaler Verkauf von Cannabis ist deswegen aus meiner Sicht die bessere Möglichkeit, um den Konsum irgendwie kontrolliert zu halten.

In Cannabis vom Schwarzmarkt sind häufig synthetische Cannabinoide enthalten, die zu Nebenwirkungen führen und in Extremfällen Psychosen auslösen können.

Oder teilweise auch toxische Stoffe wie Blei. Wenn man das Cannabis aus Verbraucherschutzsicht kontrolliert, weiß man, was die Inhaltsstoffe sind und wie hoch der Wirkstoffgehalt von THC und CBD ist – das führt zu einer höheren Sicherheit. Außerdem ist das Ziel einer Legalisierung ja nicht, Cannabis einfach für alle freizugeben. Es geht darum, dass man vernünftige Rahmenbedingungen schafft.

Was gehört zu den Rahmenbedingungen?

Zunächst natürlich, dass nur Erwachsene über 18 Jahren Cannabis konsumieren dürfen. Man kann auch festlegen, wo solche Cannabis-Verkaufshops sein können, damit sie zum Beispiel nicht in der Nähe von Jugendeinrichtungen, Schulen und Kindergärten sind. Man kann festlegen, wie hoch der maximale THC-Gehalt ist und wie viel Gramm Cannabis pro Tag gekauft werden darf. Man kann auch festlegen, dass in solchen Shops suchtmedizinisch geschultes Personal arbeitet. Man kann Werbung verbieten. Es gibt also ganz viele Möglichkeiten, wie man das regulieren kann. Im Moment ist der Cannabis-Markt unter Verbotsbedingungen aber völlig unreguliert. Der Dealer fragt seinen Käufer ja nicht, ob er schon 18 ist. Das heißt, der Jugendschutz ist im Moment überhaupt nicht gegeben.

Andererseits ist es vermutlich wie mit dem Alkohol: Wenn man 15 ist und welchen will, kommt man irgendwie ran.

Das ist schon richtig. Aber nur weil die CDU, die lange als Regierung für den Jugendschutz verantwortlich war, es überhaupt nicht geschafft hat, den Jugendschutz beim Alkohol durchzusetzen, ist das kein Argument dafür, warum man es beim Cannabis nicht deutlich besser machen kann. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man eine Alterskontrolle durch Personalausweise macht und es Jugendlichen damit erschwert, an Cannabis ranzukommen.

Wie gefährlich ist Cannabis im Vergleich zu Alkohol?

Derik Hermann / 
Björn Braunsdorf/Therapieverbund Ludwigsmühle

Alkohol ist viel gefährlicher als Cannabis. Es gibt jedes Jahr 40.000 Alkoholtote. Bei Cannabis liegt die Zahl bei null. Es gibt Verkehrsunfälle und Körperverletzungen, die durch den Einfluss von Alkohol passieren. Die Unfälle sind bei Cannabiskonsum auch erhöht, ungefähr aufs Doppelte, bei Alkoholkonsum aber aufs Sechsfache. Und wenn man sich anschaut, welche Krankheiten durch Alkohol verursacht werden, dann sind das nicht nur Leberschäden, sondern auch Magen-Darm-Blutungen, Gehirnschrumpfungen, Nervenschäden, schwere Bauchspeicheldrüsenentzündungen. Krankheiten in Verbindung mit Alkoholproblemen zählen zu den drei häufigsten Diagnosen, warum Menschen in Deutschland ins Krankenhaus aufgenommen werden müssen. Alkohol ist nur akzeptierter, weil die Lobbyarbeit der Alkoholindustrie sehr gut greift. Dadurch kommt es zu krassen Widersprüchen: Wieso wird Alkohol rund um die Uhr an Tankstellen verkauft, obwohl Autofahrer keinen Alkohol trinken dürfen?

Cannabis hat auch, zumindest in der Populärkultur, ein gutes Image. In vielen Filmen und Serien hat Kiffen etwas Romantisches, Heiteres und im Grunde Harmloses.

Das ist ein Problem, weil es ein falsches Bild erzeugt. Neuere Studien zeigen, dass gerade für Jugendliche Cannabis nicht harmlos ist. Diese Studien zeigen, dass bei einem Cannabiskonsum vor dem 18. Lebensjahr dauerhafte Veränderungen im Gehirn auftreten können. Deswegen muss sich das Image von Cannabis als Jugenddroge unbedingt verändern. Das bedeutet, dass man im Fall einer Legalisierung eine intensive Aufklärung betreiben sollte. Gerade was das Auftreten von Psychosen betrifft, bei denen ein Verfolgungswahn, andere Ängste oder auch Halluzinationen auftreten können. Das tritt zwar selten auf, vielleicht bei zwei bis fünf Prozent der Cannabiskonsumenten, aber es ist wichtig, darüber zu informieren und Betroffene schnell in ärztliche Behandlung zu übergeben.

Es ist ja auch eine individuelle Sache, wie jemand psychologisch auf Cannabis reagiert. Kann man psychotischen Schüben angesichts dessen mit einer kontrollierten Freigabe überhaupt gänzlich entgegentreten?

Das kann man nicht gänzlich kontrollieren. Aber es ist so, dass der zweithäufigste Stoff im Cannabis, das CBD, antipsychotisch wirkt und als Medikament gegen Psychosen eingesetzt werden kann. Das heißt, die Pflanze liefert quasi schon das Gegengift mit. Leider ist dieses CBD in dem auf dem Schwarzmarkt verkauften Cannabis weitgehend herausgezüchtet worden, weil es das High-Sein ein Stück weit reduziert. Deswegen wäre es eine gute Idee, einen gewissen CBD-Anteil im Cannabis verpflichtend zu machen.

Wie ist das, wenn Süchtige clean werden wollen? Beim Alkohol ist die Abhängigkeit ja auch physisch, beim Cannabis soll sie „nur“ psychisch sein. Stimmt das?

Wenn man es stark vereinfacht, kann man das so sagen. Aber seit es die hochpotenten Cannabissorten gibt, kann man durchaus auch leichte körperliche Entzugssymptome bei Beendigung eines chronischen Cannabiskonsums beobachten. Gerade Schlafstörungen gehören mit dazu oder auch eine erhöhte Nervosität und Reizbarkeit. Beim Alkohol ist es aber viel schlimmer, da kann der körperliche Entzug lebensgefährlich werden, das ist beim Cannabis nicht der Fall. Aber es ist ganz klar, dass Cannabis psychisch abhängig macht. Etwa 9 Prozent der regelmäßigen Konsumenten werden abhängig. Die Abhängigkeit merkt man daran, dass man bei einem täglichen Konsum nicht mehr einfach aufhören kann und vielleicht auch in unpassenden Situationen Cannabis konsumiert, zum Beispiel vor oder während der Arbeit oder bevor man sich ans Steuer eines Autos setzt. In solchen Fällen ist es wichtig, sich an eine Suchtberatungsstelle zu wenden.

Häufig wird von Legalisierungsgegnern das Argument hervorgebracht, dass Cannabis eine Einstiegsdroge auf dem Weg zu harten Drogen sei. Ist da was dran?

Nein, das ist wissenschaftlich widerlegt. Es gibt gute Studien, die zeigen, dass eigentlich alle, die Cannabis konsumieren, vorher auch Tabak und Alkohol konsumiert haben. Von daher sind Tabak und Alkohol die Einstiegsdrogen. Tatsächlich ist es eher so, dass das Cannabisverbot selbst den Einstieg zu harten Drogen bedingt. Weil Cannabis nur von Dealern angeboten wird, die natürlich auch noch härtere Drogen mit im Angebot haben. Wenn Cannabis in Shops angeboten wird, wird der Käufer dort keine anderen Drogen finden. Und genau das schützt die Konsumenten davor, sich zu anderen, gefährlicheren Drogen überreden zu lassen.

Bei Tabak wird auf Schockbilder gesetzt. Sind solche Abschreckungsmethoden für legalisiertes Cannabis sinnvoll?

Diese Methoden sind zwar weniger effektiv als man erst einmal denkt, haben aber trotzdem einen Effekt. Für Cannabis werden Schockbilder nicht funktionieren, weil wahrscheinlich hauptsächlich Cannabisblüten verkauft werden, auf die man schlecht Bilder drucken kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass beim legalen Cannabisverkauf so etwas wie ein Beipackzettel dazugegeben wird, mit dem auf die Risiken hingewiesen wird. Vor allem sollte es aber ein Werbeverbot für Cannabisprodukte geben.

Weil Werbung ästhetisiert und verklärt?

Werbung hat ja nur zum Zweck, den Verkauf und den Konsum zu fördern – und genau das will man aus gesundheitspolitischer Sicht nicht. Deutschland hat in Bezug auf Alkohol und Tabak in der EU ganz lange verhindert, dass es ein Werbeverbot gibt – aus suchtmedizinischer Sicht ein Fehler!

Warum ist Kanada so ein gutes Vorbild, das immer wieder genannt wird?

Weil sich die Politik in Kanada an gesundheitspolitischen Aspekten orientiert und dort anders als in den USA zum Beispiel Werbung und Cannabis in Gummibärchen verboten sind. Da ist sinnvoll reguliert worden – oder zumindest besser als in den USA.

Es gibt auch Negativbeispiele wie die Niederlande, wo die organisierte Kriminalität überhandzunehmen droht.

In den Niederlanden kann man zwar legal in Coffeeshops Cannabis kaufen, aber die Coffeeshops müssen ihr Cannabis selbst irgendwo einkaufen – und das ist für sie weiter illegal. Die industrielle Herstellung von Cannabis ist weiterhin verboten. Die Coffeeshops müssen auf dem Schwarzmarkt einkaufen, der von der Organisierten Kriminalität bedient wird. Das ist ein Riesenproblem und lässt sich in Deutschland einfach dadurch vermeiden, dass man sowohl den Anbau als auch die Weitergabe von Cannabis unter bestimmten Bedingungen legalisiert. Es gibt seit 2015 einen Gesetzentwurf der Grünen, das Cannabiskontrollgesetz, in dem detailliert beschrieben wird, unter welchen Bedingungen Cannabis von Firmen angebaut werden darf, die dann Cannabis-Verkaufsshops beliefern können.

Portugal ist ein Positivbeispiel aus Europa, das immer wieder genannt wird. Warum funktioniert die Entkriminalisierung dort so gut?

Portugal hat keinen legalen Verkauf von Cannabis durch den Staat, sondern nur eine Entkriminalisierung. Dort ist klar definiert, wie viel Gramm Cannabis jemand dabeihaben darf, ohne dass er verhaftet wird. Dieser Ansatz ist vor allen Dingen deswegen gut, weil er von intensiven Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen begleitet worden ist. Denn wie gesagt: Das Image hat einen viel größeren Einfluss auf den Konsum als ein Verbot. Wenn Cannabis gerade in Mode ist, dann konsumieren mehr junge Menschen es. Deswegen ist es so wichtig, dass man versucht, diese Meinung mit zu beeinflussen – und das hat Portugal sehr gut gemacht. Für Deutschland bedeutet das, dass mehr Geld in die Qualität der Prävention gesteckt werden muss.

Das Geld wäre durch eine Cannabissteuer und durch Einsparpotenziale bei der Polizei vorhanden.

Genau, durch die Entkriminalisierung gäbe es große Einsparpotenziale bei Polizei, Gerichten und auch in Gefängnissen. Und es wäre natürlich wünschenswert, dass dieses Geld direkt in die Prävention gesteckt wird.

Wie glauben Sie wird die Organisierte Kriminalität auf eine Legalisierung reagieren?

Die wird natürlich sehr unerfreut sein, weil ihr eine sehr einfache Einnahmequelle verloren geht. Es gibt noch einen weiteren Aspekt: Jugendliche und junge Erwachsene, die mit Cannabis erwischt und dann angeklagt werden, fühlen sich häufig ungerecht behandelt, weil sie, wenn überhaupt, nur sich selbst geschädigt haben und somit ein opferfreie Vergehen begangen haben, während viele andere Konsumenten unbehelligt weiterkonsumieren. Wenn diese jungen Erwachsenen wirklich ins Gefängnis müssen, werden sie eventuell dort von der Organisierten Kriminalität angeworben und überhaupt erst zu Verbrechern ausgebildet. Das ließe sich mit einer Legalisierung leicht verhindern.

Eine Befürchtung ist, dass die Organisierte Kriminalität die Verluste anderswo kompensiert und zum Beispiel der Kokainmarkt ungeahnte Ausmaße annimmt.

Der große Vorteil ist, dass die Polizei durch eine Cannabislegalisierung mehr Ressourcen übrig hat, um sich auf die wirklich gefährlichen Drogen zu konzentrieren und nicht nur auf die kleinen Cannabis-Konsumenten. Ich glaube, wenn sie die Ressourcen effektiv nutzt, kann sie den Handel mit gefährlicheren Drogen besser in den Griff bekommen.

Das Gespräch führte Ulrich Thiele.

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