Karl Lauterbach über die Debattenkultur 2.0 - „Ich konnte die ,Dumpfbacke‘ einfach nicht so stehenlassen“

Kaum ein Politiker war in der Pandemie so präsent in Talkshows und auf Twitter wie Karl Lauterbach. Jetzt hat ihn ausgerechnet der Bundestagsvizepräsident gebasht. Dabei geht der SPD-Politiker selbst auch nicht zimperlich mit Gegnern um. Ein gutes Training, um neuer Gesundheitsminister zu werden?

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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Karl Lauterbach ist Arzt, Epidemiologe, Professor. Er sitzt seit 2005 für die SPD im Bundestag. Im Falle eines Wahlsieges der SPD gilt er als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Gesundheitsministers. 

Herr Lauterbach, kaum ein Politiker musste in der Corona-Krise so viel Kritik, Hohn und Spott einstecken wie Sie. Jetzt hat FDP-Vize Wolfgang Kubicki in einem Interview mit Bild gesagt, seine Stammtischfreunde in Schleswig-Holstein würden Sie „Spacken“ oder „Dumpfbacke“ nennen. Ist das der übliche Umgangston unter Politikern, oder gibt Sie Kubicki der Lächerlichkeit preis, um Wählerstimmen im Lager der Corona-Leugner und -Skeptiker zu gewinnen?

Ich hab mich auf jeden Fall darüber geärgert. So etwas gehört sich einfach nicht. Diese Begriffe sind eine Art, sich über jemanden lustig zu machen, um sich damit Leuten anzudienen, denen man sich nicht andienen sollte.

Was war Ihre erste Reaktion, als Sie das gehört haben?   

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Ich hab gedacht, dass er es eigentlich nicht nötig hätte. Selbst wenn er es strategisch gemacht hat, fände ich das unangemessen.  

Als eines der Gesichter des restriktiven Corona-Kurses der Bundesregierung sind Sie ja verbale Entgleisungen gewöhnt. Trifft Sie die Kritik härter, wenn sie von einem Berufskollegen kommt?

Ja, klar. Wenn ich auf der Straße beschimpft werde, erfährt es kaum jemand. Und dann ist es natürlich nochmal ein Unterschied, wer so etwas sagt. In diesem Fall war es ein renommierter Kollege, der auch noch Vizepräsident des Bundestags ist.

Auf Twitter haben Sie gekontert: „Ich wüsste auch, was über Herrn Kubicki gesagt wird. Aber ich erreiche noch mediale Präsenz, ohne dass ich Kollegen beleidige.“ Herr Lauterbach, früher hätte man zum Telefonhörer gegriffen und persönlich darüber gesprochen. Ist Twitter der richtige Kanal, um persönliche Auseinandersetzungen zu führen?

Nein, normalerweise nicht. Aber ich habe ja sehr höflich reagiert. Ich konnte es nicht einfach so stehenlassen.

Warum eigentlich nicht?

Dann wäre der Eindruck entstanden, dass ich das akzeptiere, dass ich ihm sogar zustimme oder dass mir das egal wäre. Ich muss auf jeden Fall klarmachen, dass ich so etwas nicht schätze.

Ach kommen Sie, Sie haben 593.082 Follower auf Twitter, dreimal so viele wie Armin Laschet. Da ist die Verlockung doch groß, Kubicki auch noch einen mitzugeben.

Das habe ich nicht gemacht. Ich habe keinen der Begriffe genutzt, die im Internet über ihn kursieren oder die viele meiner Parteifreunde benutzen, wenn sie über ihn sprechen. Ich hätte es für falsch gehalten, ihn in irgendeiner Weise herabzusetzen.

Der Ton auf Twitter wird immer schärfer. 

Ich kann das auch nicht glauben, denn ich weiß es besser! Lieber Karl, Du könntest es auch besser wissen!
Ich stelle mich weder vor den Kandidaten HG Maaßen noch mache ich gemeinsame Sache mit Nazis. Ich stelle mich vor das Amt als Ministerpräsident und achte sehr die Verfassung.
https://t.co/CGFUwkm5vj

— Bodo Ramelow (@bodoramelow) September 21, 2021 " target="_blank">Der Spiegel schreibt in seiner neuesten Ausgabe, dass Twitter den Wahlkampf vergiftet. Teilen Sie diese Meinung?

Nein, Wahlkampf ist immer schmutzig. Was hier eine besondere Rolle spielt, sind die Corona-Leugner und Querdenker. Die sind sehr aggressiv. Sie arbeiten mit Morddrohungen und Verunglimpfungen. Und was sie schreiben, geht zum Teil auch ins Nationalistische und Rechtsradikale.

Welchen Anteil hat denn Twitter an dieser Radikalisierung?

Also, mich erreichen noch sehr viele Einlassungen per Post oder per Email. Ich kann nicht einschätzen, welchen Anteil Twitter, Facebook oder Instagram haben. In der Corona-Leugner-Szene sind viele bei Facebook oder Telegram. Die verbreiten dort unter ihrem Klarnamen radikale Thesen.   

Sie selbst sind ja auch nicht immer zimperlich, wenn es darum geht, auszuteilen. Bodo Ramelow haben Sie neulich indirekt eine Nähe zu Nazis unterstellt, weil er sich geweigert hatte, bei einer Aktion mitzumachen, die darauf abzielte, Hans-Georg Maaßen als CDU-Bundestagsabgeordneten zu verhindern. Sind da die Pferde mit Ihnen durchgegangen?

Nein, meine Twitter-Äußerung war klar. Ich habe darin nur öffentlich bedauert, dass Bodo Ramelow nicht den Kandidaten unterstützt, der am aussichtsreichsten gegen den Nazi-nahen Maaßen antritt. Ich habe aber nicht Bodo Ramelow in irgendeiner Weise Nähe zu Nazis unterstellt. Ich schätze ihn sehr. Wir sind sogar befreundet.

Aber es steht Bodo Ramelow doch frei, sich nicht an einer Aktion zu beteiligen, von der er sagt, dass sie seinem Demokratie-Verständnis widerspricht. Deshalb müssen Sie ihn doch nicht mit dem Satz unter Druck setzen, sein Verhalten zeige, dass Rot-Grün-Rot keine Basis hätte. Sind da die Pferde auch mal mit Ihnen durchgegangen, Herr Lauterbach?

Nein, nochmal. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass es schade ist, dass Bodo Ramelow als Privatperson nicht dabei hilft, dass der Nazi-nahe Maaßen nicht in den Bundestag kommt. Das ist doch ein legitimer Gedanke. 

Seit wann darf ein Ministerpräsident denn in einem demokratischen Staat zum Boykott eines Kandidaten aufrufen?

Verfassungsrechtlich geht das natürlich nicht. Er hätte nicht zum Boykott einer Partei aufrufen können. Aber als Privatperson hätte er zur Wahl des SPD-Kandidaten aufrufen können. 

Bei Bodo Ramelow kam dieser Vorschlag aber gar nicht gut an. Man hört, er sei explodiert. Haben Sie sich bei ihm entschuldigt?

Ich habe noch persönlich mit ihm gesprochen. Aber ich habe mich nicht entschuldigt. Mein Vorschlag war ja richtig. 

Haben Sie ihn per Direktmitteilung auf Twitter kontaktiert – oder haben Sie in diesem Fall doch besser zum Telefonhörer gegriffen?

Zu den Details möchte ich nichts sagen. Aber sowohl mit Herrn Ramelow als auch mit Herrn Kubicki habe ich mich persönlich ausgetauscht.

Andere Politiker lassen Ihre Account von einem professionellen Team bespielen. Sie twittern selbst. Warum? 

Weil es mir die Möglichkeit gibt, mit einer breiten Gruppe von Wissenschaftlern und Journalisten zu diskutieren. Ich kriege da viele Rückmeldungen. Und viele vermitteln mir neue Einsichten.

Aber Sie werden dort auch regelmäßig beschimpft und bedroht. Haben Sie sich noch nie bei dem Wunsch ertappt, sich wieder abzumelden?

Twitter macht mich nicht angreifbar. Was mich angreifbar macht, sind meine Positionen. Heute morgen habe ich zum Beispiel mit Hendrik Streeck in einer Sendung darüber diskutiert, ob es eine vierte Welle gibt. Querdenker bestreiten das natürlich. Die behaupten, es hätte nicht mal eine dritte Welle gegeben. Wegen dieser Haltung gibt es Dissens. 

Aber Twitter ist die Bühne, auf der Sie solche Positionen vertreten. Sie sind dort 24 Stunden am Tag erreichbar.

Ach, wissen Sie, das Echo ist eher überschaubar. Wenn ich in eine Talkshow von Markus Lanz gehe, erreiche ich dort viermal so viele Menschen wie mit meinem Twitter-Account. Man darf dieses Medium auch nicht überschätzen.

Bei Markus Lanz und bei Anne Will haben Sie ja schon einen eigenen Stuhl. Sind Sie süchtig nach der Droge Aufmerksamkeit?

Nein, das bin nicht und war ich nie. Was ich gerne habe, ist, wenn ich im Parlament die Entscheidungen in der Corona-Krise mitpräge. Oder in der Gesundheitspolitik. 

Na ja, Politik und PR in eigener Sache müssen sich ja nicht gegenseitig ausschließen. Sagt in Ihrer Familie eigentlich nie einer: Karl, jetzt leg doch mal das Handy weg?

Nein, ich bin sehr schnell beim Twittern. So ein Tweet kostet mich vielleicht zwei, drei Minuten. Es dauert viel länger, die Studien zu lesen, über die ich twittere.

Aber die meisten Leute folgen ja nicht dem Wissenschaftler Karl Lauterbach, sondern dem Politiker und der Medienfigur: dem Nerd, der keiner Auseinandersetzung auf dem Weg geht.

Aber um mich persönlich geht es in den Tweets eher selten. Und wenn doch, dann muss es etwas Besonderes sein. Heute war mal eine Ausnahme. Da habe ich beim Klimastreik von Fridays for Future gesprochen und mich mit Kindern fotografieren lassen. Das Foto habe ich dann getweetet.

Sie wollen damit sagen, Twitter habe keine Rolle gespielt bei Ihrer wundersamen Wandlung vom Hinterbänkler mit Fliege zum Liebling der Medien?

Ich war kein Hinterbänkler, sondern Sprecher oder stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Die meisten älteren Leute kennen mich schon lange. Und für die Über-50-Jährigen spielt Twitter überhaupt keine Rolle. Ich würde mal vermuten, dass von denen vielleicht ein Prozent bei Twitter sind. Die jungen Wähler erreiche ich besser über Instagram und die älteren über Facebook.  

Grünen-Chef Robert Habeck hat sich von Twitter wieder abgemeldet, weil er seine Impulse nicht unter Kontrolle hatte. Auch Boris Palmer hatte sich nach einem Shitstorm 2019 vorübergehend eine Facebook--Pause verordnet. Sollte es für Berufspolitiker Kurse geben, in denen man den richtigen Umgang lernt?

Ich weiß es nicht. Ich gebe Robert Habeck keine Ratschläge. Ich persönlich habe weder einen Twitter- noch einen Instagram- oder Facebook-Kurs gemacht. Ich versuche einfach nur ehrlich und authentisch die Botschaften zu senden, die mir wichtig sind. Da muss jeder seinen eigenen Stil finden.

Ist es eine Frage des Temperaments, ob man bei Twitter über die Stränge schlägt?

Keine Ahnung, ich muss in der Regel nur sehr wenige Tweets wieder löschen. An meinen letzten Shitstorm kann ich mich auch schon gar nicht mehr erinnern.

Für die SPD sieht es jetzt bei der Bundestagswahl gut aus. Wird jetzt Ihr Traum wahr, und Sie werden Gesundheitsminister?

Ich warte einfach mal ab, ob wir gewinnen. Olaf Scholz und die Partei hätten es verdient. Aber Olaf Scholz insbesondere. Die Art und Weise, wie er argumentiert hat, ist Weltklasse.

Das kann man auch anders sehen. Er brauchte sich eigentlich nur zurücklehnen und abwarten, bis sich die Union in ihrem Streit um den Kanzlerkandidaten selbst demontiert hat.     

Das stimmt einfach nicht, dass Olaf Scholz nur deshalb stark ist, weil die Union so schwach ist. Er hatte ein gutes Programm, zum Beispiel in der Arbeits-, Renten- und Wohnungsbaupolitik. Er kann das in kurzer Zeit auf die jeweilige Zielgruppe herunterbrechen. Das können in dieser Qualität nur sehr wenige.

Angenommen Sie werden neuer Gesundheitsminister, machen Sie es dann wie Donald Trump und regieren per Twitter?

Nein, auf keinen Fall. Mit Twitter kann man nicht regieren. Trump selbst hat es auch nicht gekonnt. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.  

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