FDP-Politiker Konstantin Kuhle - „Bei der Schuldenbremse gibt es Kompromisspotenzial“

Der FDP-Politiker Konstantin Kuhle schließt Steuererhöhungen unter einer Regierung mit Beteiligung der Liberalen kategorisch aus. Bei der Schuldenbremse sieht er allerdings Potenzial für Kompromisse mit den Grünen.

Konstantin Kuhle: „Die FDP ist kein Beiboot, das man flexibel dazubuchen kann“ / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Konstantin Kuhle ist innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Generalsekretär der FDP Niedersachsen. Er wurde gerade zum zweiten Mal nach 2017 in den Deutschen Bundestag gewählt.

Herr Kuhle, laut Medienberichten sollen Christian Lindner und Robert Habeck bereits die Ministerposten diskutieren. Stimmt das?

Ich gehe davon aus, dass Christian Lindner, Volker Wissing, Robert Habeck und Annalena Baerbock vertrauensvolle Gespräche führen, die sich wohltuend davon unterscheiden, was während der letzten Jamaika-Verhandlungen 2017 passiert ist: Damals fand die Hälfte der Verhandlungen in der Öffentlichkeit statt, weil alles durchgestochen wurde. Wir beobachten gerade eine Kernschmelze der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, wo jede Wortmeldung aus Bundesvorstands- und Fraktionssitzungen in der Öffentlichkeit breitgetreten wird. So wollen wir nicht über eine gemeinsame Regierung verhandeln, sondern vertrauensvoll. Und wenn es dann Ergebnisse gibt, dann tritt man damit gemeinsam vor die Öffentlichkeit.

Wo sehen Sie die größten Differenzen mit den Grünen?

Im Bereich der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Wir sind uns einig, dass es einer aktiven und engagierteren Bekämpfung des Klimawandels bedarf. Aber wenn die Grünen glauben, dass damit eine Veränderung unseres Wirtschaftssystems oder gar eine Abkehr von Wirtschaftswachstum und Exportorientierung verbunden sein können, dann wird das mit den Freien Demokraten nicht zu machen sein. Da treffen unterschiedliche Welten aufeinander.

Christian Lindner hat auf dem FDP-Parteitag im Mai rote Linien gezogen: Mit der FDP werde es keine Steuererhöhungen und keine höhere Staatsverschuldung geben. Die Liberalen wollen ohne Kompromisse an der Schuldenbremse festhalten, die Grünen müssen sie aufweichen, um ihr Programm zum klimaneutralen Umbau finanzieren zu können. Wie soll da überhaupt ein Kompromiss möglich sein?

Es gibt einen Unterschied zwischen der Schwarzen Null und der Schuldenbremse im Grundgesetz. Die Schuldenbremse lässt gerade bei einer schwachen Konjunktur ein gewisses Maß an Verschuldung zu. Wenn diese Verschuldung sich im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse bewegt und gleichzeitig für Investitionen genutzt wird, dann ist nicht jede Staatsverschuldung per se ein Verstoß gegen die Grundüberzeugungen der FDP. Sie ist dann ein Verstoß gegen unsere Grundüberzeugungen, wenn sie für konsumtive Ausgaben genutzt wird oder wenn sie in einer Höhe stattfindet, die von kommenden Generationen nicht zu schultern ist.

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Sie sehen also Kompromisspotenzial?

Ja. Die Schuldenbremse im Grundgesetz hätte nach der konjunkturellen Entwicklung während der Pandemie in diesem Jahr – ohne dass der Bundestag sie außer Kraft gesetzt hätte, was er ja im Rahmen der Schuldenbremse als Notfallregelung getan hat – 70 Milliarden Euro an Investitionen zugelassen. Das muss man sich immer klarmachen. Wir können auch nicht in Europa von anderen Ländern Haushaltsdisziplin und strukturelle Reformen verlangen und uns dann selber nicht mehr an die Schuldenbremse halten.

Die SPD will höhere Steuern für Besserverdiener, um niedrigere Einkommen zu entlasten, die FDP lehnt das ab. Ist als Kompromiss eine leichte Steuererhöhung mit der FDP denkbar?

Nein. Da gilt, was Christian Lindner gesagt hat.

Sie haben gesagt, Ihnen wäre ein Bündnis mit Union und Grünen lieber. Was spricht gegen eine Ampel-Koalition?

Deutschland hat eine fast zweijährige Phase des Krisenmodus hinter sich. Manche glauben, dass die massive Einschränkung der privaten Geschäftstätigkeit, die Behinderungen und Beeinträchtigungen von Gründungen und auch die Wachstumskritik, die an vielen Stellen geübt worden ist, ein Zukunftsmodell ist, mit dem sich der Klimawandel wirksam bekämpfen ließe. Wir glauben, dass wirtschaftliches Wachstum, eine Ankurbelung von Unternehmensgründungen, Entbürokratisierung, wirtschaftliche Entlastung und steuerliche Entlastung der Weg sind, der Deutschland nach der Krise wieder auf den Wachstumspfad führt und auch in Verbindung mit Innovationen eine Lösung des Klimawandels bewirken kann. Diese Grundüberzeugung teilen wir mit der Union. SPD und Grüne teilen sie nicht. Deswegen ist eine Jamaika-Koalition mit der Union naheliegender als eine Koalition mit der SPD.

Die CDU hat die Wahl verloren und ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren, außerdem ist Armin Laschet in der Bevölkerung denkbar unpopulär. Können Sie sich wirklich vorstellen, ihn zum Kanzler zu machen?

Es kommt wirklich auf die Inhalte an. Die Union ist in einem ganz komplizierten internen Zustand nach dieser Wahl. Und ich wünsche mir, dass eine staatstragende Partei wie sie jetzt möglichst schnell ihren inneren Findungs- und Klärungsprozess durchmacht, um dann an den Verhandlungstisch zu kommen. Ehe dieser Prozess abgeschlossen ist, darf man nicht davon ausgehen, dass es automatisch auf eine Ampel hinausläuft.

Halten Sie Laschet nach jetzigem Stand für einen geeigneten Kanzler?

In Nordrhein-Westfalen arbeiten die FDP und Armin Laschet gut zusammen. Wer ein so großes Bundesland führen kann, der ist erst einmal auch als Bundeskanzler geeignet. Jetzt hat die CDU aber weniger Stimmen bekommen als die SPD und insgesamt gibt es viele Diskussionen in der Union. Deswegen muss die Union das jetzt für sich klären.

Ist der Wahlkampf, den die CDU explizit gegen die FDP geführt hat, schon vergessen? Stichwort: „Wer FDP wählt, wählt den Linksrutsch.“

Nein, das ist nicht vergessen. Es ist schon beachtlich, dass ausgerechnet die Union, die mit der SPD im Bund und vor allen Dingen in mehreren Bundesländern als Juniorpartner der SPD und sogar der Grünen regiert, uns attestiert, wir würden programmatisch Inhalte aufgeben, um zu regieren. Das ist ein nachhaltiger Versuch, den Ruf der FDP zu schädigen.

Gilt das auch für die Sondierungsgespräche 2017, im Laufe derer die CDU der FDP angeblich nichts gegönnt hat?

Die FDP ist nicht der „Arbeitskreis Freiheit“ der Union. Wir sind aber eine eigenständige und selbstbewusste Partei, die in wirtschaftspolitischen Fragen eine hohe Übereinstimmung mit der Union hat. Es gibt mit dem Wirtschaftsflügel, dem Wirtschaftsrat und der MIT starke Stimmen in der Union, die eine Zusammenarbeit mit der FDP favorisieren. Und an dieser Stelle gibt es auch eine gemeinsame Verantwortung, dass die soziale Marktwirtschaft geschützt wird. Es wäre schön, wenn die Union stärker an diese gemeinsame Verantwortung denken würde und weniger versuchen würde, die FDP als eine Art Beiboot zu behandeln, das man flexibel dazubuchen kann oder nicht. Aber wenn es die Umfragen hergeben, dann lässt sich Friedrich Merz im grünen Anzug ablichten und ruft sich zum nächsten Bundeskanzler einer schwarz-grünen Koalition aus.

Die Grüne Jugend hat gerade verkündet, sie wolle unbedingt Laschet verhindern. Setzt Sie das unter Druck?

Nein. Es ist doch klar, dass die Grüne Jugend und auch die Jusos sich eine rot-rot-grüne Koalition gewünscht hätten. Das Schöne ist aber, dass die Wählerinnen und Wähler entschieden haben, dass es eine Koalition aus der Mitte des politischen Spektrums geben soll. Deutschland wird von keiner extremen Regierung geführt werden, an der die AfD oder die Linkspartei beteiligt ist – das ist per se eine gute Nachricht. Jetzt geht es darum, eine Große Koalition abzulösen, die acht Jahre lang kein substanzielles Fortschrittsprojekt auf den Weg gebracht hat. Am Ende werden sich auch die Grüne Jugend und die Jusos damit anfreunden müssen.

Sie gehören zu den populärsten FDP-Politikern. Sie haben sich doch bestimmt schon ein oder zwei Gedanken gemacht, wo Ihr Platz in der Regierung sein könnte.

Es wäre vermessen, mit 32 Jahren öffentlich irgendwelche Postenträume und Karriereplanungen zu verbreiten. Mein Platz ist jetzt im Parlament, weil ich unheimlich froh und dankbar bin, dass die Wählerinnen und Wähler mir am letzten Sonntag die Chance gegeben haben, noch mal vier Jahre Bundestagsabgeordneter zu sein. Das Gefühl, wenn man am Rednerpult des Deutschen Bundestages steht und über die eigene politische Überzeugung sprechen kann, ist ein Privileg, das den meisten Menschen nicht vergönnt ist.

Das Interview führte Ulrich Thiele.

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