Neuaufstellung der Christdemokraten nach dem Bundestagswahldebakel - Die vier Baustellen der CDU

Die CDU macht sich in den kommenden Tagen an ihre Neuaufstellung. Da wird es einige Fragen zu klären geben. Fest steht zumindest jetzt schon: Sollte sich der parteiinterne Wahlkampf um den CDU-Vorsitz bis ins Frühjahr hinziehen und würde darauf noch ein Kampf um den Fraktionsvorsitz folgen, dürften die Wähler das nicht als Beleg für eine „neue lebendige CDU“ bewerten.

Das Foto zeigt die Zentrale der CDU, das Konrad-Adenauer-Haus / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Fünf Wochen nach ihrem Wahldebakel macht sich die CDU in den nächsten Tagen an ihre Neuaufstellung. Am Samstag kommen mehr als 300 Kreis- und Bezirksvorsitzende in Berlin zusammen. Diese Versammlung ist kein Organ der Partei, kann also keine bindenden Beschlüsse fassen. Aber diese Vorsitzenden können der Parteispitze durchaus ein Bild von der Stimmung unter den Mitgliedern vermitteln.

Am Dienstag will der Bundesvorstand dann entscheiden, wie und wann ein neuer Vorsitzender samt seiner Mannschaft gewählt werden soll. Doch anders als 2018 und zu Beginn dieses Jahres, als es jeweils „nur“ um die Nummer eins an der Spitze der Partei ging, ist die CDU gleich an mehreren Baustellen gefordert.

Baustelle eins: Wer entscheidet? Die CDU hat ihre Parteivorsitzenden stets vom Bundesparteitag bestimmen lassen. Dabei haben die überwiegend hauptamtlich in der Politik aktiven 1.001 Delegierten zweimal gegen den Willen der Mitgliederschaft entschieden: Bei Kramp-Karrenbauer gegen Merz wie bei Laschet gegen Merz. Auch die Kür des Kanzlerkandidaten wurde vom formal durchaus legitimierten Bundesvorstand entschieden, aber ebenfalls gegen weite Teile der Basis.

Das letzte Wort hat der Parteitag

Es gibt deshalb die unüberhörbare Forderung aus der Partei, dieses Mal die Mitglieder entscheiden zu lassen. Die Parteisatzung kennt zwar nur eine Mitgliederbefragung, keinen Mitgliederentscheid; das letzte Wort hat in jedem Fall der Parteitag. Aber die Delegierten könnten es kaum wagen, sich über ein eindeutiges Votum der Mitglieder hinwegzusetzen.

Verfahrensfragen lassen sich nur schwer von Personalfragen trennen. Jedenfalls plädieren viele Anhänger des zweimal gescheiterten Friedrich Merz für eine Einbeziehung der Basis. Der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch, der Merz kräftig unterstützt hat, hat sich jetzt in einem Zeitungsartikel für eine Mitgliederbefragung ausgesprochen: „Die Kreisvorsitzenden müssen sich jedoch fragen, ob die Einladung zur Beteiligung ein Schritt sein kann, um produktiv zu streiten und so manches Herz neu oder wieder zu gewinnen. Ohne diese Wiederannäherung von Führung und Partei wird der ohnehin steinige Weg lange werden.“

Eines darf freilich nicht übersehen werden: Die Kreis- und Bezirksvorsitzenden sind keine Basisvertreter im engeren Sinn. Die meisten sind Mandatsträger und zudem Delegierte beim Bundesparteitag. Sie müssten also, wenn sie für eine Befragung votierten, einer Schmälerung ihres eigenen Einflusses zustimmen.

Gute Argumente für Doppelspitze

Baustelle zwei: Partei und Fraktion in einer Hand? Als Opposition im Bund hat die CDU nur drei herausragende Positionen zu vergeben: den Vorsitz in der Partei und den in der Fraktion. Das dritte herausgehobene Amt ist bereits besetzt worden, als die ostdeutsche Abgeordnete Yvonne Magwas zur stellvertretenden Parlamentspräsidentin gewählt wurde.

Ralph Brinkhaus ist unlängst als Fraktionsvorsitzender wiedergewählt worden, aber nur für sechs Monate. Er selbst wollte eigentlich für ein Jahr antreten, wie das bisher üblich war. Aber starke Kräfte in Partei und Fraktion wollten sich nicht die Möglichkeit verbauen, den neuen Parteivorsitzenden auch an die Spitze der Fraktion zu stellen – als mächtigen Oppositionsführer und ersten Anwärter auf die Kanzlerkandidatur in vier Jahren.

Es spricht sicher sehr viel dafür, Partei- und Fraktionsvorsitz in eine Hand zu legen. Schließlich ist der Bundestag die Bühne, auf der die Opposition die Regierenden stellen kann und muss – von den Talkshows einmal abgesehen. Die FDP hat mit diesem Modell in den vergangenen vier Jahren sehr gute Erfahrungen gemacht.

Es gibt jedoch auch gute Argumente für eine Doppelspitze. Die CDU ist am Ende der Ära Merkel im doppelten Sinn ein Sanierungsfall: Ihr sind die Wähler scharenweise davongelaufen, und obendrein ist die Partei inhaltlich entkernt. Ein Parteivorsitzender, der nicht zugleich die Fraktion führt, hätte die notwendige Zeit, um die Partei programmatisch neu zu orientieren und die Parteibasis zu motivieren.

Eine Trennung von Partei- und Fraktionsvorsitz machte nur als Team-Lösung Sinn. Die beiden Spitzenleute müssten miteinander „können“. Eine Konkurrenzsituation würde der Partei mehr schaden als nützen. Angela Merkel war sich dessen bewusst, als sie nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 als Parteivorsitzende Friedrich Merz von der Fraktionsspitze verdrängt – und so den Weg zur eigenen Kanzlerkandidatur und Kanzlerschaft ebnete.

Zu große Egos

Baustelle drei: Wer will, wer kann, wer soll? Der Noch-Vorsitzende Armin Laschet hatte sich eigentlich vorgenommen, die Weichen im Konsens zu stellen, also unter den möglichen Aspiranten Einvernehmen herzustellen, wer welches Amt übernimmt. Das ist ihm in Nordrhein-Westfalen bei der Regelung der eigenen Nachfolge gelungen. Im Bund dagegen scheint es nahezu ausgeschlossen, dass die möglichen Parteivorsitzenden Ralph Brinkhaus, Carsten Linnemann, Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Jens Spahn sich auf die neue Nummer eins einigen können. Dazu sind einige Egos zu groß und einige Wunden noch zu frisch.

Es diente nicht gerade der „Wiederannäherung von Führung und Partei“ (Koch), wenn die Kreisvorsitzenden am Samstag sich den Kopf über eine Einbeziehung der Mitglieder zerbrächen, um dann am Dienstag zu erfahren, eine Handvoll von Politikern habe untereinander alles geklärt. Es spricht also einiges dafür, dass der Vorstand am Dienstag ein Wahlverfahren beschließt, ohne zu wissen, wer alles in den Ring steigen wird.

Werden sich die Wähler entsetzt abwenden?

Baustelle vier: das Wahljahr 2022. Die personelle Neuaufstellung in der Opposition wird zusätzlich durch den Wahlkalender erschwert. Bereits am 27. März wird im Saarland gewählt, es folgen Schleswig-Holstein (8. Mai) und Nordrhein-Westfalen (15. Mai). In allen drei Ländern stellt die CDU den Ministerpräsidenten, in allen drei Ländern drohen der CDU Verluste, weil sich keine Landespartei völlig von einem negativen Bundestrend abkoppeln kann. Sollte sich also der parteiinterne Wahlkampf um den CDU-Vorsitz bis ins Frühjahr hinziehen und würde darauf noch ein Kampf um den Fraktionsvorsitz folgen, dürften die Wähler das nicht als Beleg für eine „neue lebendige CDU“ bewerten, sondern sich eher entsetzt abwenden.

„Erneuerung in der Opposition“ ist ein geflügeltes Wort, das freilich einem Realitätstest nicht unbedingt standhält. Ob und wie schnell dies der CDU gelingen kann, hängt zunächst einmal von der Lösung ihrer Führungsfrage ab. Ob dieser Prozess einvernehmlich oder kontrovers abläuft, ist zweitrangig. Es muss vor allem schnell gehen. Denn sollte die CDU die Staatskanzleien in Saarbrücken, in Kiel und Düsseldorf räumen müssen, wird der Weg aus der Talsohle heraus sehr lang und sehr steinig.

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