Skandalisierung im „Clubhouse“ - Radio Ramelow

Der Auftritt des linken Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in dem neuen sozialen Netzwerk „Clubhouse“ wird skandalisiert und politisch instrumentalisiert. Tatsächlich hätte der Spitzenpolitiker sich anders verhalten können. Denn problematisch ist vor allem sein Umgang mit der Kritik.

Skandalisierung und Selbstzerstörung: Bodo Ramelow und „das Merkelchen“ / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Am Ende eines ziemlich langen Wochenendes für Bodo Ramelow stand plötzlich der Sexismus-Vorwurf im Raum. Immer wieder hakte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Canan Bayram vor hunderten Zuhörern bei Thüringens Ministerpräsidenten nach. Noch immer keine einleuchtende Erklärung und noch immer keine Entschuldigung habe sie dafür gehört, dass Ramelow die Frau Bundeskanzlerin als „das Merkelchen“ bezeichnet hat. Die mit dieser Form der Verniedlichung einhergehende Herabwürdigung sei ganz klar die Diskriminierung einer Frau. Pflichtschuldig gestand Ramelow schließlich ein, dass diese Wortwahl ein Fehler gewesen sei, er die Arbeit von Angela Merkel gar nicht genug loben könne und er sich hierfür entschuldige. Schließlich beschimpfte er sich gar selbst. Er sei eben ein „alter naiver Sack“, der mal mit den „jungen Leuten“ habe quatschen wollen.

Sie verstehen nur Bahnhof? Darüber brauchen Sie sich nicht zu wundern. Was an diesem Wochenende im Politik- und Medienzirkus vor sich gegangen ist, bedarf leider einiger Erklärung: Ein relativ neues soziales Netzwerk namens „Clubhouse“ wird derzeit immer beliebter. Insbesondere Menschen aus dem Politik- und Medienbetrieb haben sich dort in den vergangenen Wochen angemeldet. Im Grunde entspricht die Smartphone-App einem Chatprogramm, in dem unzählige Räume eröffnet werden können. Neu daran aber ist: Es kann nicht geschrieben werden, sondern ausschließlich gesprochen. Keine Schrift, kein Video, nur Stimmen sind zu hören. Die Mitgliederzahl wird von den App-Machern aus Marketing-Gründen noch künstlich begrenzt. Nutzer benötigen ein iPhone und die Einladung einer bereits angemeldeten Person.

Heikler Umgang mit dem neuen Medium

In diesen virtuellen Räumen, die jeder zu völlig unterschiedlichen Themen eröffnen kann, lassen sich bis 5.000 Zuhörer versammeln. Einer oder mehrere Moderatoren können dort dann immer wieder neue Menschen zum Sprechen auf eine digitale Bühne holen. Diskutiert wird über Schönheit, über Tipps für Alltagsroutinen, über Rassismus, die letzte Anne-Will-Sendung und eben auch viel über und mit teils sehr hochrangigen Politikern. Ob Malu Dreyer, Manuela Schwesig, Gerhard Schröder oder Annegret Kramp-Karrenbauer – sie alle haben hier inzwischen eigene Talk-Formate bespielt. Der Reiz daran scheint unter anderem zu sein, auch mit Menschen in direkten Kontakt und in Diskussionen zu kommen, die sonst keine Möglichkeit haben, mit Spitzenpolitikern zu sprechen.

Wie heikel der Umgang mit diesem neuen Medium aber ist, zeigten eine Runde und viele daraus folgende Diskussionen mit Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Heikel, weil der Regierungschef am Ende unter anderem als Sexist und mitten in der Jahrhundert-Pandemie als grundlegend verantwortungslos handelnder Politiker dargestellt wurde. Viele sagen nun, Ramelows Auftritt sei hochproblematisch gewesen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich komme zu einem anderen Schluss.

Stil, Sprache und Spaßlevel

Ausgangspunkt des in meinen Augen Pseudo-Skandals um den Linken-Politiker war eine spätabendliche, bis in die Nacht andauernde lockere Gesprächsrunde in einem dieser vielen Räume im „Clubhouse“. Ein paar Nachwuchs-Journalisten und auch die bekannte SPD-Influencerin Lilly Blaudzun hatten einen Gesprächsraum eröffnet, der ziemlich belanglos von „Trash und Feuilleton“ handeln sollte. Die Belanglosigkeit wurde allerdings schnell beseitigt, weil Blaudzun ihre Chefin, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, aufs digitale Podium holte. Die hatte zuvor schon in anderen Räumen auf durchaus sympathische Art erzählt, wie sie abends mit ihrer Familie demokratisch über das gemeinsame Essen abstimmen lasse. Man erfuhr dort, dass Schwesig gerne Ofenkäse aus dem Biomarkt isst, dass sie auf Pizza die Beläge Schinken und Salami bevorzuge und dass sie im Homeoffice ihre Mitarbeiter vermisse.

Hinzu kamen dann plötzlich auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow und der Bild-Journalist Paul Ronzheimer. Immer wieder ging es in der nächtlichen Runde, mit inzwischen mehr als 1.000 Zuhörern, um Trash-TV Formate wie „Let's Dance“ oder um das Promi-Pärchen Tom Kaulitz und Heidi Klum. Da sich die beiden Politiker mit den Themen wenig auskannten, sie den Spaß der Jüngeren aber offensichtlich mitmachen wollten, ließen sich Schwesig und Ramelow immer wieder darauf ein. Stil, Sprache und Spaßlevel ließen sich mit einer vertraulichen, familiären Runde vergleichen.

Merkelchen, Candycrush und Zigarillos

Doch es war eben eine unheimliche Heimeligkeit. Viele zuhörende Hauptstadtjournalisten spitzten längst die Ohren auf der Jagd nach relevanten Zitaten. Der auf dem Podium anwesende Bild-Journalist Paul Ronzheimer machte bei aller Spaßigkeit seinen Job und stellte Fragen, etwa zur Ministerpräsidentenkonferenz. Die Runde witzelte wegen der zahlreichen Live-Durchstechereien der Bild-Zeitung, ob man die MPK nicht gleich hier im „Clubhouse“ übertragen solle. Ramelow fand die Idee originell, wenngleich im vollen Bewusstsein, wie unrealistisch das trotz allem wäre. Entsprechend der Stimmung im Raum malte er aus, wie das vonstattengehen würde. Dabei fiel dann der Begriff „Merkelchen“, die Absurdität dieses Vorhabens unterstreichend, das dann ja auch dazu kommen müsste. Dass Ramelow dies despektierlich oder sexistisch Frauen abwertend gemeint haben könnte, dazu brauchte es allerdings viel Fantasie, wenn nicht gar Böswilligkeit. Zumindest beschwerte sich niemand der Anwesenden.

Plötzlich wurde dann auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert in die launige Runde geholt. Er habe gelesen, dass während der MPK einer der Regierungschefs das Handyspiel Candy Crush zocke, ob der „Bodo“ das nicht auflösen könne. Ob Armin Laschet tatsächlich Zigarillos rauche, wollte man dann auch gleich wissen.

Und Ramelow? Der sagte freimütig, er schaffe während einer acht bis zehnstündigen MPK locker zehn Level dieses Spiels und sein Kollege Laschet sei der berüchtigte Zigarillo-Raucher. Dass auch in dem derzeit wohl wichtigsten Pandemie-Gremium Zeit für Ablenkung, Pausen und auch für den ein oder anderen Spaß ist – schien den Anwesenden einleuchtend. Auch Ramelows „Merkelchen“-Fiktion, seine eher hilflosen Einlassungen zum Trash-TV führten weder zu Empörung, noch zu peinlich berührten Pausen.

Ernsthaftigkeit und Verantwortung

Der Ministerpräsident ließ immer wieder, trotz allem Spaßen, erkennen, wie ernst die derzeitige Lage ist und wie sehr ihn die Todeszahlen mitnehmen. Aus der Vergangenheit zitierte er einen Text, der ihm einst geholfen habe, die eigene Betroffenheit beim Amoklauf an dem Erfurter Gutenberggymnasium zu verarbeiten: „Wenn ein Mensch lebt“ von den Puhdys. Kurz: Der Eindruck, der entstand, war nie der eines oberflächlichen Spaß-Politikers, dem tödliche Krisen egal sind. Vielmehr war es für viele Zuhörer ermutigend, dass schwer an Verantwortung tragende Politiker in der Not versuchen, auch positive Momente zuzulassen. Die angesichts von Dauereinsatz auch manchmal nicht mehr können und sich dann wieder zusammenreißen müssen.

Als Ramelow und Schwesig sich schließlich ins Bett verabschiedeten, kam mitten in der Nacht noch ein neuer Gast hinzu. Der ehemalige Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Begeistert und neugierig wegen dieser neuen App, stellte er allerdings auch einige nachdenkliche Fragen an die Runde. Ob den Anwesenden denn klar sei, was es bedeute, wenn ein Ministerpräsident hier öffentlich zugebe, während der MPK zu spielen oder die Kanzlerin als Merkelchen bezeichne. Sowohl Diekmanns Einlassungen, als auch das Unverständnis der noch Anwesenden auf der Audio-Bühne ließen schnell erahnen, wie folgenschwer dieser Abend für Ramelow noch werden sollte.

Skandalisierung durch Bruchstücke

Wenige Stunden später veröffentlichte der Chefredakteur der Welt am Sonntag, Johannes Boie, dann auch schon einen Kommentar, gepaart mit einem raunenden Hinweis: Er habe nachts Bodo Ramelow in der „Clubhouse“-App gehört. Darüber würde er nun schreiben. „Weil es an den Worten des Politikers öffentliches Interesse gibt und die Menschen das Recht haben, zu erfahren, was in der Politik-Medien-Blase geredet wird.“ Der Kollege zeichnete in seinem Text dann ziemlich eiskalt ein reichlich bruchstückhaftes Bild von Bodo Ramelow als einem, der mit „Teenagern“ zweideutige Anspielungen mache. Einer, der „salopp“ über Corona-Tote gesprochen habe. Und einem, der in der MPK nichts Besseres zu tun habe, als Candy Crush zu spielen. Kein anderer Journalist hatte bis zu diesem Zeitpunkt eine derartige Lesart der Vorkommnisse veröffentlicht, womöglich, weil nichts Skandalöses dabei war, außer, man wollte es partout.

In der Folge entwickelte sich über das gesamte Wochenende eine heftige Dynamik. Angestachelt von der Diskussion feuerten politische Gegner aus SPD und CDU in Thüringen (wo bald gewählt wird) gegen Ramelow. Einige kannten nur den Welt-Artikel, nicht den Zusammenhang. Ohne ein rechtswidriges Aufzeichnen des Nachtgesprächs ist eine Rückschau allerdings auch für niemanden möglich. Im Grund zeigte sich erst jetzt, was für Ramelow wirklich problematisch sein dürfte. Nicht besonnen und gelassen reagierte er auf die absurden Zuschreibungen. Er wetterte drauf los, wie man es von ihm durchaus kennt. Von „Totholz“ schimpfte er über die Print-Ausgabe der Welt am Sonntag. In weiteren Diskussionen auf der „Clubhouse“-App ging er dann auf offener Bühne den ebenfalls anwesenden Chefredakteur Boie an. „Scheiße“, brüllte er schließlich und dass jetzt natürlich er selbst mal wieder „das Arschloch“ sei. Im Radio Ramelow ging es zunehmend gaga zu und gar nicht mehr lustig.

Selbsterklärung und Scheitern

Ganz offensichtlich reichte dem Ministerpräsidenten nicht, dass Boies Welt nur eine Stimme von vielen Journalisten war, auch wenn diese publizistisch bis dato noch schwiegen. Womöglich aber wird es künftig nicht nur Rezensionen von Talkformaten wie „Anne Will“ oder „Maybritt Illner“ geben, sondern auch von den diversen politischen „Clubhouse“-Talks. Ramelow aber machte den vermeintlichen Skandal erst recht zu einem, weil er die sonntägliche Wirkmacht der Welt womöglich überschätzte und die zulässige Kritik eines Journalisten am Gehörten überhöhte. Immer wieder versuchte Ramelow, sich noch einmal auf neu eingerichteten Podien im „Clubhouse“ zu erklären. Wie sehr ihm daran gelegen war, die Sache in seiner Weise richtigzustellen, war nicht zu überhören, aber sie musste am Ende scheitern.

Denn wie auf allen anderen Social-Media-Plattformen auch ist das Publikum ein unendliches. Ramelow hätte noch ewig so weitermachen können, immer wieder wären neue Kritiker auf den Plan getreten. Den Gipfel der Absurdität erreichte die Causa dann auf einem letzten Podium am Sonntag. Journalisten fragten Ramelow dort, ob er denn nichts Besseres zu tun habe, als das ganze Wochenende auf „Clubhouse“ zu verweilen. Zwar wollten sie selbst ja auch mit ihm sprechen. Aber es sei ja immerhin Pandemie. Ramelow verstand die Welt nicht mehr und wollte sich dann lieber verabschieden, bevor er womöglich wieder ausfällig geworden wäre.

Das mit dem Sexismus aber, das wollte Ramelow nicht stehen lassen, egal wie absurd der Vorwurf gewesen sein mag. Auch auf Twitter lobte er noch einmal die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram als kluge Frau, die ihn auf seinen unbewussten Sexismus gegen Merkel hingewiesen habe. Der Ministerpräsident könnte einem fast leid tun. Aber Ramelow hat es selbst in der Hand, wie er auftritt. In Thüringen schätzen ihn viele Menschen für seine direkte, offene und auch für seine bekannte, impulsive Art. Ob nun unbedingt die Strategie des Zurückruderns seine neue Stärke sein sollte, ist zu bezweifeln.

Am Sonntagabend schließlich sprang Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) dem gescholtenen Ramelow in einem weiteren Talkformat bei. Er habe seinen Thüringer Kollegen in den MPK als aufmerksam erlebt. Er finde nichts Schlimmes dabei, dass dieser offenbare, sich nebenher etwas abzulenken. Das würde nicht bedeuten, dass man nebenher nicht aufpasse. Was für die hochrangige Politiker-Runde einfach einzuordnen sei, könne aber bei anderen schnell Irritationen auslösen. Ein Skandal sei das alles aber nicht.

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