Berliner SPD - Partei der Parallelwelt

Die Berliner SPD sitzt im Umfrage-Tief – und gräbt sich immer weiter ein. Ihr Parteitag vom Wochenende zeigt, dass der Erneuerungsprozess der Sozialdemokratie das Elend sogar noch vergrößern kann. Sie ist auf dem Weg ins politische Niemandsland

Michael Müller wurde mit 64,9 Prozent ohne Gegenkandidaten als Landesvorsitzender bestätigt – eine Demütigung / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Berlin ist auf der Suche nach einem neuen Feiertag. Es gilt das Motto: Zeit und Kohle (zum Grillen, wohlgemerkt) sind vorhanden, jetzt fehlt nur noch der passende Anlass zur Party. Für die einzige westliche Hauptstadt, die einen Negativsaldo zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt leistet, ist das natürlich eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, bezieht Berlin sein Image doch vor allem aus dem Nimbus als Metropole der fröhlichen Ausgelassenheit. Und da kann es nicht sein, dass man den anderen Bundesländern mit bis zu vier gesetzlichen Feiertagen hinterherhinkt. Was auch die örtliche SPD gemerkt hat, weshalb am Wochenende auf ihrem Parteitag ein entsprechender Beschluss gefasst wurde. Voraussetzung: Der zusätzliche Feiertag darf nicht religiöser Natur sein. Da ein christlicher Anlass sowieso auszuschließen gewesen wäre, muss man sich allerdings fragen, ob die explizite Nichtreligiosität des beschlossenen Ereignisses nicht doch irgendwie rassistisch ist.

Denn bei den Berliner Sozialdemokraten herrscht diesbezüglich eine hohe Sensibilität. So brachten sie es auf ihrer Versammlung unter anderem fertig, die Bundesvorsitzende Andrea Nahles der „rechten Rhetorik“ zu zeihen, weil diese mit Blick auf die aktuelle Migrationsproblematik angemerkt hatte, Deutschland könne „nicht alle aufnehmen“. Was der Bundesrepublik nicht gelingt, schafft Berlin aber allemal – das berühmt-berüchtigte Lageso hat ja auch eindrücklich seine Funktionsfähigkeit in Krisensituationen unter Beweis gestellt. Wenn der Satz gilt, dass Politik mit der Betrachtung der Wirklichkeit beginnt, dann haben zumindest die Berliner Sozialdemokraten entweder einen sehr speziellen Blick auf die Realität. Oder sie verabschieden sich langsam, aber sicher aus der Politik. Letzteres scheint objektiv der Fall zu sein: Eine Partei, die zwar den Regierenden Bürgermeister stellt, aber mit 18 Prozent Zustimmung in der Hauptstadt hinter CDU und der Linken nur noch den dritten Platz belegt, ist als Gestaltungskraft gescheitert. Anders kann man es nicht sagen.

Kein Denkzettel, sondern eine Demütigung

Der Erneuerungsprozess der SPD findet in Berlin als irrlichternde Show der Selbstreferentialität statt, bei der laut Parteitagsbeschluss die Besetzung von Häusern als „der größte organisierte zivile Ungehorsam gegen Verdrängung und Spekulation seit vielen Jahren“ begrüßt wird. Dass die betroffenen Gebäude landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gehören, fällt da als revolutionärer Schönheitsfehler genauso wenig ins Gewicht wie die Tatsache, dass Berlin seit nicht weniger als 17 Jahren von SPD-Bürgermeistern regiert wird. Immerhin hat der amtierende Regierende Michael Müller unlängst ein Zeichen gesetzt und das dreimonatige Sabbatical von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher kritisiert. Ein wahrhaft beeindruckendes Fanal gegen den Stillstand an der Wohnungsfront, die vom rot-rot-grünen Senat bekanntlich zum Hauptkampfplatz des politischen Wirkens ausgerufen wurde.

Dass Michael Müller ein schwacher Regierungschef ist, weiß er selbst. Aber die SPD wäre nicht die SPD, hätte sie ihn bei seiner Wiederwahl zum Landesvorsitzenden nicht noch einmal ausdrücklich daran erinnert: 64,9 Prozent ohne Gegenkandidaten, das ist kein Denkzettel, sondern eine Demütigung. Müller hat zwar auch überregional mit seinem Vorschlag eines „solidarischen Grundeinkommens“ oder der Idee, Martin Schulz zum Spitzenkandidaten für die Europawahl zu nominieren, konsequent auf Verlierer-Themen gesetzt. Trotzdem muss man ihm unterstellen, dass er anders wollte, wenn er denn anders könnte. Mit einer Partei jedoch, die ihre Energie für „gebührenfreie und niedrigschwellige“ Bereitstellung „feministischer Pornos“ verwendet oder die Abschiebung straffälliger Ausländer grundsätzlich verhindern will, wenn diese in Deutschland aufgewachsen sind, ist kein Staat zu machen. Eine Stadt wie Berlin alledings auch nicht.

SPD allein verantwortlich für ihre Misere

Kevin Kühnert, das angebliche sozialdemokratische Nachwuchstalent und wackerer Kämpfer gegen die Große Koalition, wird von manchen Berliner SPD-Linken übrigens schon als möglicher Müller-Nachfolger gehandelt. Das Problem ist nur: In Berlin zeigt sich, dass eine Koalition mit der CDU nicht das eigentliche Problem der SPD ist. Denn im Bündnis mit Linken und Grünen geht sie genauso unter. Nein, es sind schon die sozialdemokratischen Funktionäre selbst, die ihre politische Marginalisierung vorantreiben. Vielleicht sollten sie ja den 18. September als neuen Feiertag vorschlagen. Es könnte dieses Datum im Jahr 2016 gewesen sein, an dem bei einer Abgeordnetenhauswahl die SPD zum letzten Mal in ihrer Geschichte über 20 Prozent kam. Ein Anlass zum Feiern wäre das zwar nicht. Aber immerhin zum stillen Gedenken.

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