Berliner Innensenator Andreas Geisel - Der Möchtegern-Hardliner

Als Berliner Innensenator spielt Andreas Geisel (SPD) die Rolle des Law & Order-Mannes. Doch seine linken und grünen Koalitionspartner machen ihm das Leben schwer. Im Zweifel scheint der Koalitionsfrieden dann doch höher zu hängen.

Hat sich den Kampf gegen die Clan-Kriminalität auf die Fahnen geschrieben: Andreas Geisel (SPD) / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Der berlinert ja gar nicht. Der Mann, dem nachgesagt wird, er sei der einzige Politiker im rot-rot-grünen Senat, der in der Mundart seiner Heimatstadt rede, spricht Hochdeutsch, wenn auch nicht lupenrein. Konsonanten schleift er, und nur Profis erkennen, dass er aus dem Osten der Stadt stammt. 

Dort lebt er noch heute mit Frau und zwei Töchtern, im eher großbürgerlichen Karlshorst. Und fragt man Berlins sozialdemokratischen Innensenator Andreas Geisel, wie seine Jugend im Osten war, geht eine Verwandlung mit ihm vor. Der Mann, der eben noch lautstark das vom Senat entworfene Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) gegen seine Kritiker verteidigt hat, wird zahm. 

Privilegiert aufgewachsen

Er sei privilegiert aufgewachsen, sagt er. Als Parteikader habe der Vater sogar ins Ausland reisen dürfen. Schon bevor die Mauer fiel, kam es zum Bruch mit dem Vater: Geisel junior trat aus der SED aus. Er sagt heute: „Den Sozialismus kann man nicht reformieren, man kann ihn nur abschaffen.“ Bewusst geworden sei ihm das spätestens, als die DDR-Volkskammer nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens aufgestanden sei, um zu applaudieren. 

Heute ist er Innensenator einer Regierung, in der die linke Senatorin für Stadtentwicklung, Katrin Lompscher, mit ihrer Forderung nach der Verstaatlichung von Immobilienunternehmen und der Einführung des Mietendeckels Erinnerungen an die DDR wach werden lässt. 

Engagiert im sozialen Wohnungsbau

Geisel müssten sich da die Fußnägel hochrollen. Schließlich hatte seine Karriere in der Politik damit begonnen, dass er, Bezirksbürgermeister von Lichtenberg, 2014 als Senator für Stadtentwicklung in die Regierung wechselte. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, ein Bekannter aus alten Tagen, als beide noch zur Gruppe der „Jungen Wilden“ in der SPD gehörten, hatte ihn in die Regierung geholt. 

Auch wenn Geisel nicht die hohen Erwartungen erfüllte, die Müller in ihn gesetzt hatte, erwarb er sich den Ruf, er habe den sozialen Wohnungsbau vorangebracht. Dem Amt trauert er insgeheim hinterher, zu seiner Nachfolgerin drückt er sich diplomatisch aus. Als Bremse finde er den Mietendeckel richtig. „Aber klar ist doch auch, dass er allein das Problem der Wohnraumnot nicht löst.“

Kampf gegen Clan-Kriminalität 

Als Innensenator residiert Geisel in einem geräumigen Büro in einem wilhelminischen Prachtbau. Er hat mal Fernmeldemechaniker gelernt, und obwohl er jetzt meistens Anzug trägt, strahlt er noch etwas Hemdsärmeliges aus. Er ist der Typ, der bei Umzügen mit anpackt. 

Diesen Eindruck vermittelt er auch als Innensenator. Er war kaum elf Tage im Amt, da erschütterte im Dezember 2016 der Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz die Republik – ein Drama am Ende einer Kette von Ermittlungspannen. Geisel wies den damaligen Polizeipräsidenten an, Strafanzeige gegen Ermittler zu erstatten, die den Täter Anis Amri beschatten sollten. Von den Vorwürfen blieb nicht viel übrig. Aber Geisel hatte seinen Ruf als Hardliner weg. 

Daran denkt man, wenn er nun betont, wie sehr er die Polizei schätze, wie viel Geld der Senat in seiner Amtszeit schon in mehr Personal investiert hat. 857 neue Stellen sind es für 2020/2021. Die sind dringend erforderlich: Geisel hat sich den Kampf gegen die Clan-Kriminalität auf die Fahnen geschrieben. 

Im Zweifel hängt der Koalitionsfrieden höher

Wie das geht, hat in Nordrhein-Westfalen sein Kollege Herbert Reul (CDU) vorgemacht. Will er Reul übertreffen? Nein, sagt er, als Sozialdemokrat müsse er seinen eigenen Weg finden. Sein Vorbild ist Altkanzler Helmut Schmidt. Den, sagt er, bewundere er für „seine Klarheit, sein Arbeitsethos, die intellektuelle Schärfe und den Vorsatz, das Land sozial zusammenzuhalten“. Sicherheit und Zusammenhalt? Dass dieser Spagat in Berlin kaum zu schaffen ist, zeigt gerade der Streit um das Landesantidiskriminierungsgesetz. Danach können Bürger das Land auf Schadenersatz verklagen, wenn sie sich von Behörden diskriminiert fühlen. Die Polizisten sehen sich unter Generalverdacht gestellt. 

Ungeachtet dessen heißt es bei der Gewerkschaft der Polizei, Geisel sei freundlicher und umgänglicher als sein Vorgänger Frank Henkel (CDU). Und er habe einen Plan. Geisel sagt, den ursprünglichen Entwurf des grünen Koalitionspartners für das Antidiskriminierungsgesetz hätte er nicht mitgetragen – die SPD habe nachgebessert. Aber jetzt, da der Senat von allen Seiten dafür kritisiert werde, sei er davon überzeugt, dass das Gesetz notwendig sei. „Es melden sich alte weiße Männer und behaupten, sie würden ja gar nicht diskriminiert. Aber die sind gar nicht unsere Zielgruppe. Wenn wir in Berlin 38 Prozent mit Migrationshintergrund haben, und wenn die uns von Wahrnehmungen berichten, die wir weißen Männer nicht haben, dann müssen wir das ernst nehmen.“ Law & Order? Schön und gut. Aber im Zweifelsfall hängt der Innensenator den Koalitionsfrieden höher. 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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