Corona-Finanzlücken in Berlin - Spart kaputt, was schon kaputt ist

Die Corona-Krise dürfte schwerwiegende finanzielle Folgen für Bund, Länder und Kommunen haben. Fest steht jetzt schon: Man wird sparen müssen. Für Städte mit knappen Kassen wie Berlin kann das zu fatalen Verteilungskämpfen führen.

Die Hauptstadt muss sparen / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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So allmählich dürfte es jedem Zeitgenossen dämmern, dass sich die Corona-Krise und ihre finanziellen Folgen nicht locker aus der Portokasse regulieren lassen werden. Binnen weniger Wochen sind alle öffentlichen Haushalte auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie der Träger der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme zur Makulatur geworden.

Auf der einen Seite stehen milliardenschwere Hilfs- und Maßnahmenpakete, auf der anderen gigantische Steuer- und Beitragsausfälle, deren endgültiges Volumen sich derzeit noch kaum seriös beziffern lässt. Schuldenbremse oder gar -tilgung wirken wie archaische Relikte einer vergangenen Epoche.

Rund 100 Milliarden Euro Mindereinnahmen

Die für Donnerstag angekündigte Veröffentlichung der amtlichen Steuerschätzung des Beirats des Bundesfinanzministeriums wird einen wichtigen Hinweis geben, mehr aber auch nicht. Derzeit wird allgemein eine Größenordnung von rund 100 Milliarden Euro Mindereinnahmen für das laufende Jahr angenommen.

Auf der anderen Seite stehen krisenbedingte Mehrausgaben in mittlerer zweistelliger Milliardenhöhe, was dann zusammen Haushaltslöcher in gigantischen Dimensionen bedeutet. Noch trauen sich die meisten Politiker nur sehr zaghaft, über mögliche einschneidende Kürzungen und Einsparungen zu reden.

„Sparen, bis es quietscht“

Das gilt in besonderem Maße für die Hauptstadt Berlin, wo der amtierende Senat noch immer damit beschäftigt ist, den Scherbenhaufen zu beseitigen, der durch die „Sparen, bis es quietscht“-Politik der von 2002 bis 2011 amtierenden „rot-roten“ Koalition unter Führung von Klaus Wowereit (SPD) angerichtet wurde.

Denn an den Folgen leidet die Stadt noch immer, wovon unter anderem marode Schulen, mangelnde Personalausstattung bei Polizei und Feuerwehr, ein klappriges Nahverkehrssystem am Rande der Betriebsfähigkeit, dramatische, die Funktionsfähigkeit gefährdende Unterbesetzung vieler Verwaltungsstellen und vieles andere mehr zeugen.

Es kommt knüppeldick

Selbst die extrem angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt ist teilweise ein Erbe dieser Zeit, denn die seinerzeit weit über 100.000 an Privatinvestoren verscherbelten kommunalen Wohnungen fehlen jetzt bitter für Marktregulierungen im Bestand, so dass man jetzt mit extrem teuren Rückkäufen und einem „Mietendeckel“ verzweifelt nach Möglichkeiten der Schadensbegrenzung sucht. Doch jetzt kommt es knüppeldick.

Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) rechnet für das laufende und das kommende Jahr mit einem Defizit von insgesamt mindestens sechs Milliarden Euro, das entspräche rund 10 Prozent des erst im Dezember 2019 verabschiedeten, ausgeglichenen Doppelhaushalts von etwas was mehr als 60 Milliarden Euro für beide Jahre.

Sparen, aber wo?

Eine Neuverschuldung in dieser Höhe würde alle bislang erfolgten Trippelschritte zur Reduzierung des bestehenden Schuldenbergs quasi rückgängig machen, die Schuldenlast stiege wieder auf über 60 Milliarden Euro. Jetzt also sparen. Aber wo? Als eine Art Testballon hat Kollatz jetzt die zwölf Berliner Bezirke aufgefordert, im laufenden und im kommenden Jahr insgesamt 160 Millionen Euro einzusparen.

Doch das kam weder in der eigenen Partei, noch bei den Koalitionspartnern Linke und Grüne und erst Recht bei den Bezirken nicht gut an, denn deren Finanzlage hat sich zwar in den vergangenen Jahren etwas gebessert, ist aber nach wie angespannt. Stephan von Dassel (Grüne), Bürgermeister von Mitte, sagte in Reaktion auf Kollatz‘ Vorstoß in der Berliner Morgenpost: ​​​​​ „Will ich sparen, dann muss ich Bibliotheken schließen, auf die Sanierung von Schulen verzichten oder offene Personalstellen unbesetzt lassen." 

Berliner Bezirke als schwächstes Glied

In diese Kerbe schlug auch sein Amtskollege aus Pankow, Sören Benn (Linke): „Wer jetzt den Bezirken an die Haushalte geht, muss sich fragen lassen, ob er wirklich verstanden hat, was da gemacht wird und gemacht werden muss. Straßen und Gehwege sind immer noch kaputt. Der Klimawandel setzt den Grünflächen zu, von der Verkehrswende ganz zu schweigen. Der Personalaufbau ist noch nicht abgeschlossen, Digitalisierung am Anfang, die Liste ist endlos."

Am Donnerstag wollen sich die zwölf Bezirksbürgermeister auf eine gemeinsame Linie verständigen. Nach derzeitigem Stand wird die Sparaufforderung auf recht einhellige Ablehnung stoßen, auch von Seiten der CDU-Amtsträger. In der Tat sind die Bezirke das schwächste Glied in der öffentlichen Finanzierungskette. Sie müssen viele Pflichtaufgaben aus den ihnen zugewiesenen Pauschalbeträgen bezahlen und hätten nach entsprechenden Kürzungen keine Spielräume für „freiwillige“ Ausgaben mehr, wie Beratungs-, Freizeit- und Kulturangebote, Musikschulen, Bibliotheken, Begegnungsstätten (etwa für Senioren), Grünflächen, bauliche Sanierungen, Unterhalt von Sportplätzen oder Wohnumfeldgestaltung.

Folgen der Krise

Ohnehin würden 160 Millionen Euro angesichts des erwarteten Gesamtdefizits von sechs Milliarden Euro den Kohl kaum fett machen, denn der Senat wird mit Sicherheit erwägen, auch bisher direkt finanzierte bezirkliche Aufgaben zurückzufahren – mit unabsehbaren Folgen für die soziale und soziokulturelle Infrastruktur in großen Teilen der Stadt – die zudem noch lange unter den Folgen der Wirtschaftskrise leiden wird, besonders im Tourismus, in der Gastronomie und im Kultursektor.

Und dass die Privatisierung von allem, was nicht niet- und nagelfest ist, ein gefährlicher und teurer Irrweg sein kann, hat sich in das Kurzzeitgedächtnis der Stadt nach den rot-roten Sparorgien ziemlich tief eingebrannt. Für die jetzige Regierungskoalition kommt die Debatte über Einschnitte zur Unzeit, denn bislang hatte sie sich das Wohlwollen einer großen Mehrheit in Berlin erfolgreich erkauft und viele wichtige Klientele gezielt bedient, zuletzt mit den Soforthilfen für über 200.000 Soloselbstständige und Kleinstunternehmer aus der Gießkanne.

Die Stimmung könnte schnell kippen

Eine radikale Abkehr von dieser „Wohlfühl-Politik“ könnte die Stimmung in der Stadt schnell kippen lassen. Fakt bleibt: Die kurzfristige Rekordverschuldung ist unvermeidbar, Tempo und Umfang einer wirtschaftlichen Erholung können derzeit wohl nur durch Blicke in eine Glaskugel prognostiziert werden.

Die neu aufgenommenen Schulden müssen laut der im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“ auch zurückgezahlt werden. Da bietet das Gesetz allerdings erhebliche Spielräume in Bezug auf die Rückzahlungsfrist. So will sich die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen für die Tilgung der aufgenommenen Kredite 50 Jahre Zeit lassen, um die Belastung für die kommenden Haushalte möglichst gering zu halten.

Aus dem Umfeld des Berliner Finanzsenators ist dagegen zu vernehmen, dass dieser eine Rückzahlung binnen zehn Jahren anstrebt, doch es ist zweifelhaft, dass er sich damit durchsetzen wird. Eines ist jedenfalls gewiss: „Nach Corona“ wird in der Stadt vieles nicht mehr so sein und auch nicht mehr so werden, wie es vorher war. Das betrifft harte Zahlen, aber auch etliche „weiche“ Faktoren des viel beschworenen urbanen Lebensgefühls. Es wird erbitterte Auseinandersetzungen und Verteilungskämpfe geben, Berlin wird sich schon wieder neu erfinden müssen.

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