Beherbergungsverbot juristisch haltbar? - „Regelungen, die praktisch unerfüllbar sind“

Das umstrittene Beherbergungsverbot für Urlauber aus Risikogebieten ist möglicherweise verfassungswidrig, auch Virologen kritisierten die Maßnahme bereits als unverhältnismäßig. Der Göttinger Verfassungsrechtler Alexander Thiele rechnet mit erfolgreichen Klagen gegen die Regelung.

Wegen der Beherbergungsverbote werden Urlauber derzeit häufig wieder nach Hause geschickt / dpa
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Autoreninfo

Johanna Jürgens hospitiert bei Cicero. Sie studiert Publizistik und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zuvor arbeitete sie als Redaktionsassistenz beim Inforadio des RBB.

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Prof. Dr. Alexander Thiele hat zur Zeit eine Lehrstuhlvertretung für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie an der LMU in München inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Staatsrecht und der Demokratietheorie.

Herr Thiele, aus juristischer Perspektive: Wie zufrieden sind Sie mit der Corona-Politik der vergangenen Monate?

Ich bin insgesamt positiv überrascht. Wir leben gerade in einer Situation, die sich im Vergleich zu anderen Staaten als sehr freiheitlich darstellt, auch wenn noch viele Beschränkungen gelten. Der Großteil der Maßnahmen war juristisch in Ordnung. Im Rechtsstaat passieren Fehler, besonders zu Beginn von Ausnahmesituationen, das ist ebenso erwartbar wie mittelfristig unbedenklich, weil die Verfassungsinstitutionen insgesamt gut funktioniert haben. Die Gerichte waren am Anfang zu zurückhaltend. Das wurde aber schnell durch die Beiträge der Wissenschaft aufgefangen, die die Gerichte in ihrer Argumentationslast entlastet haben. Die Politik korrigiert ihre Fehler – mal auf Druck der Öffentlichkeit, mal von selbst, sodass ich insgesamt zufrieden bin. 

Aktuell steht das kürzlich beschlossene Beherbergungsverbot massiv in der Kritik. Überrascht Sie das? 

Nein das überrascht mich nicht. Wir hatten so etwas ähnliches ja schon einmal im Mai. Und jetzt kommt hinzu, dass es aus Sicht vieler Epidemiologen keinen Sinn ergibt, Inlandsreisen zu beschränken. Und das ist eben auch ein Argument, das dann juristisch durchschlägt: Bei Maßnahmen, die die Freiheiten massiv einschränken, verlangt das Verfassungsrecht zunächst mal einen Zusammenhang. Und wenn es nicht gelingt, diesen Nachweis zwischen dem Reisen und der Gesundheitsgefährdung zu erbringen, dann ist eine solche Freiheitsbeschränkung unverhältnismäßig und verfassungswidrig. 

Wie lässt sich für juristische Zwecke, wie zum Beispiel eine Klage, nachweisen, ob das Beherbergungsverbot dem Infektionsschutz dient oder nicht?

Die Pflicht, das nachzuweisen, ist aufseiten des Gesetzgebers und nicht aufseiten derjenigen, die behaupten, dass die Freiheitseinschränkung unverhältnismäßig ist. Er muss belegen, dass die Einschränkung der Freiheit, die ja grundsätzlich erstmal gegeben ist, wirklich notwendig ist. Das geschieht normalerweise durch Epidemiologen, wissenschaftliche Studien oder auch Gutachten. So weit ich das bisher einschätzen kann, ist die Evidenz in Bezug auf die Notwendigkeit für ein Beherbergungsverbot relativ gering. 

Und wenn ein minimaler Zusammenhang zwischen dem Infektionsgeschehen und Inlandsreisen bestehen würde? Bliebe die Maßnahme dann rechtskräftig? 

Selbst wenn man sagt, dass es ein bisschen was bringt, rechtfertigt das die Maßnahme noch nicht. Dann stellt sich immer noch die Frage: Ist dieser kleine Zusammenhang zwischen Beherbergungsverbot und Gesundheitsschutz ausreichend, um solche massiven Freiheitseinschränkungen auszusprechen? Und da wäre dann wahrscheinlich spätestens die Antwort: nein. 

Und was ist mit dem Infektionsschutzgesetz? Wie stehen das Recht auf Gesundheit und die Reisefreiheit zueinander im Verhältnis? 

Das Recht auf Gesundheit ist eben kein Recht, das alle Maßnahmen erlaubt, um es zu schützen. Wir müssen, ganz unabhängig von der Corona-Pandemie, in unserer Gesellschaft stets verschiedene Freiheitsräume miteinander abwägen. Der Gesundheitsschutz gewinnt nicht einfach und schlägt alles, das ist verfassungsrechtlich überhaupt nicht haltbar. Verfassungsrechtlich ist das Recht auf Leben erstmal eines, das gleichrangig neben allen anderen steht. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht mit anderen, sinnvollen Maßnahmen die Corona-Pandemie bekämpfen soll.

Alexander Thiele

Die Testkapazitäten reichen derzeit gar nicht aus, um den Anforderungen dieser Maßnahme gerecht zu werden. Wer getestet wird, erhält das Ergebnis oft zu spät, um noch verreisen zu können. Muss die Bundesregierung nicht sicherstellen, dass die Rahmenbedingungen die Einhaltung solcher Regeln erlauben?

Richtig, da spricht man von der Systemgerechtigkeit und Kohärenz. Eine solche Maßnahme muss den Adressaten der Norm, in diesem Fall den Reisenden, die Möglichkeit geben, sich auch sinnvoll danach zu richten. Hier hat der Gesetzgeber möglicherweise normative Regelungen aufgestellt, die praktisch unerfüllbar sind. Daher wirkt diese Maßnahme eher wie Aktionismus und weniger wie ein durchdachtes Konzept zur Corona-Bekämpfung. So riskieren wir, dass die generelle Akzeptanz der Corona-Maßnahmen durch die Irrationalität einzelner Regeln sinkt. Dann werden auch sinnvolle Maßnahmen boykottiert, gewissermaßen aus Trotz. 

Hoteliers auf den ostfriesischen Inseln haben bereits Klage gegen das Beherbergungsverbot eingereicht, bis Ende der Woche rechnen Sie mit einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg. Was denken Sie: Wie stehen die Chancen der Kläger?

Ich bin zuversichtlich, dass es da zu einem positiven Ergebnis für die Kläger kommt. Es kommt aber natürlich darauf an, ob ein Nachweis für die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme erbracht werden kann. 

Wenn sich am Ende herausstellt, dass der Staat beim Beherbergungsverbot schuldhaft etwas falsch gemacht hat und die Maßnahme gekippt wird – wer haftet dann für mögliche Ausfälle von Hoteliers oder die Kosten, auf denen die Urlauber sitzengeblieben sind? 

Das ist gar nicht so einfach, da sind wir im Staatshaftungsrecht. Erstens geht es um eine Menge Geld, und zweitens sind die Regelungen da ziemlich unklar. Es könnte da eventuell einen Anspruch aus sogenannten polizeirechtlichen Entschädigungsregeln geben. Da würde ich jetzt aber noch keine hundertprozentige Prognose wagen. Es ist gut denkbar, dass man an der Stelle, weil eben so viele betroffen sind, den Staat nicht finanziell überlasten kann. Man spricht in so einem Fall davon, dass legislatives Unrecht nicht zwingend zu einer Staatshaftungspflicht führt. Das ist dann das Opfer, das man bringen muss, wenn der Staat auch mal danebenhaut.
 

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