Befragung der Kanzlerin im Bundestag - Interessanter als Merkels Antworten sind die Fragen

Zum dritten und letzten Mal in diesem Jahr musste sich Angela Merkel heute den Fragen der Bundestagsabgeordneten stellen. Ein Themensammelsurium, bei dem die Fragesteller selten gut wegkamen. Vor allem die AfD machte es der Kanzlerin leicht. 

Merkel bei der Befragung im Bundestag: der alte Trick / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Der arme Mann ist sicherlich ein bisschen aufgeregt, man stellt ja schließlich nicht jeden Tag der deutschen Regierungschefin von Angesicht zu Angesicht eine kritische Frage. Da kann das eine oder andere Fremdwort schon mal nicht richtig über die Lippen kommen, auch wenn ein Wort wie „Immunisierung“ ja gerade in diesem Jahr in aller Munde ist. 

Bei Uwe Witt von der AfD-Fraktion klingt das Wort beim zweiten Anlauf wie „Immusilierung“ und Angela Merkel fragt: „Immunisierung, oder was?“, woraufhin Witt „Ja“ sagt und Merkel: „Ja, okay.“ Worauf Witt eigentlich hinauswill, nämlich, ob die Bevölkerung, beziehungsweise „alle Bewohner unseres Vaterlandes“, wie er sagt, über die verschiedenen Corona-Impfstoffe genügend aufgeklärt werden und ob der Bürger entscheiden dürfe, welchen Impfstoff er bekomme, ist da schon fast vergessen. Denn Merkel scheint jede Schwäche, sei sie nun rhetorisch oder inhaltlich, gnadenlos auszunutzen, die von der rechten Plenarseite kommt. 

Merkel verbessert Witt nicht nur beim Wort „Immunisierung“, sie verbessert ihn auch, als er von drei Impfstoffen spricht (richtig seien sechs), als er davon spricht, dass die mRNA-Impfstoffe „genmanipuliert“ seien (sie enthielten genetische Komponenten, seien aber nicht genmanipuliert). Sie versucht Witt die Angst vorm Impfen zu nehmen, erklärt ihm mit Geduld das Prinzip der Herdenimmunität und sagt: Ja, wenn sich nicht genug Leute impfen lassen, müssen wir alle noch sehr lang Masken tragen. Und mit ihrer Antwort klärt Merkel die Bürger bereits besser über die verschiedenen Vakzine auf, als die AfD mit ihren Fragen Verunsicherung stiften kann. 

Die Lümmel von der rechten Bank

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Die Abgeordneten der AfD wirken bei der Befragung der Bundesregierung an diesem Mittwoch wie etwas einfach gestrickte Pennäler, die dachten, dass sie ihrer Lehrerin einen Streich spielen können, denen aber sofort der Wind aus den Segeln genommen wird. Dementsprechend nervös lächelnd setzt sich Witt, setzt sich aber auch AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla hin, nachdem sein Angriff ins Leere gegangen war.

Dabei hatte er anfangs noch sichtlich stolz und staatstragend davon berichtet, dass er mit einer Delegation in Moskau gewesen sei und dort gar mit dem russischen Außenminister Lawrow habe sprechen können. Ein Neustart der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland seien nötig, das habe Lawrow auch so gesehen. Ob Chrupalla mit Lawrow auch über Nawalny und den Mord im Kleinen Tiergarten gesprochen habe, will Merkel wissen, wenn nicht, sei das bedauerlich. Als Chrupalla noch einen gemeinsamen Wirtschaftsraum „von Lissabon bis Wladiwostok“ anmahnt, sagt Merkel süffisant, sie sei ein großer Befürworter dessen, aber Russland bewege sich nicht bei Zollfragen und der Ukraine, aber Chrupalla habe Lawrow ja sicher auch darauf angesprochen. Lacher im Plenarsaal, Chrupalla setzt sich verschämt wieder hin.

Weiß die SPD, dass sie mitregiert?

Man muss kein Bewunderer der Kanzlerin sein, um festzustellen, dass eine Opposition, die so bemüht versucht, diese mit allen Wassern gewaschene Politikerin anzugreifen, mehr über ihre eigenen Defizite verrät als über die der Regierung. Am gestrigen Tag sind knapp 1.000 Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben, aber der gute Herr Witt hat keine anderen Sorgen als die Frage, wann er endlich keine Maske mehr tragen muss. Und Herr Chrupalla ignoriert schon fast so meisterlich wie Gregor Gysi, dass der russische Staat höchstwahrscheinlich hinter Auftragsmorden steckt. Da ist man schon fast beeindruckt, dass wenigstens einer aus ihren Reihen, Martin Sichert, eine ernsthafte Frage zu den Corona-Hilfen stellen kann, auch wenn er es nicht schafft, ohne unfreiwillig komisch den „zarten Sauerbraten“ deutscher Brauereigaststätten anzupreisen.

Aber es sind nicht nur die Abgeordneten der AfD, die sich bloßstellten. Die SPD wollte von Merkel wissen, wann endlich das Lieferkettengesetz und die im Grundgesetz verankerten Kinderrechte endlich kämen, als sei sie nicht Teil der Regierungsfraktionen und wisse dementsprechend nicht, was ihre eigenen Minister verhandelten. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble mahnte dementsprechend auch nach der zweiten Frage an: „Wir sollten die Befragung der Bundesregierung nicht zu sehr zu Koalitionsverhandlungen umfunktionieren.“

Bei Wirecard wurde es spannend

Interessant und fundiert angriffslustig wird es letztlich nur bei Vertretern zweier Fraktionen: Die FDP und die Linke versuchen, Merkel in Sachen Wirecard-Affäre in die Zange zu nehmen. Und die Kanzlerin zieht zwar die Teflon-Karte, wirkt aber tatsächlich etwas defensiv und macht eine unglückliche Figur. Fabio Di Masi von der Linken fragt, ob sich Merkel eigentlich mal bei ihrem Amtskollegen Sebastian Kurz erkundigt habe, was der österreichische Verfassungsschutz in Deutschland treibe. Denn der ehemalige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek habe sich einen Tag vor seiner Flucht mit einem ehemaligen Mitarbeiter des österreichischen Verfassungsschutzes in München getroffen. Merkels schlichte und unbefriedigende Antwort: „Nein.“

Auch die Frage der FDP, wer in der Bundesregierung denn nun die Verantwortung im Wirecard-Skandal trage, wollte Merkel nicht ausreichend beantworten. Eigentlich beantwortete sie diese gar nicht: „Die Bundesregierung als Ganzes hat ihre Schlussfolgerungen aus den Vorgängen gezogen und heute das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität verabschiedet (sic!), das an das Parlament überwiesen wird und dann können die Vorgänge umfassend nicht nur retrospektiv, das muss sein, sondern auch in ihren Lehren für die Zukunft diskutiert werden.“

Da war er wieder, der alte Merkel'sche Trick, eine Frage einfach nicht zu beantworten, sondern in eine Wortwolke zu hüllen. Und wieder einmal verabschiedet in ihren Worten nicht das Parlament, sondern die Regierung ein Gesetz. Wenn man den demokratischen Prozess so auffasst, muss man sich bei kritischen Fragen der Abgeordneten natürlich auch nicht sonderlich bemühen.  

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