Bauernproteste - Offenbar gibt es gute und schlechte Galgen

Die Empörung über symbolische Galgen auf Bauernprotesten als Ausdruck „rechter Gesinnung“ ist scheinheilig. Gehenkte CDU- und FDP-Politiker gehören seit jeher zur linken Demo-Folklore.

Das Corpus Delicti bei einer Sternfahrt mit Traktoren zum Regierungspräsidium Kassel / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Da hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck völlig recht: Wenn an Traktoren Galgen hängen, dann ist eine Grenze überschritten. Denn selbst bei berechtigtem Ärger über politische Entscheidungen: Eine symbolische Aufforderung zur Lynchjustiz ist in höchstem Maße unanständig, undemokratisch und im Zweifelsfall strafbar.

Bei den jüngsten Protesten der Landwirte gab es diese Galgen. Bisweilen baumelte eine Ampel aus Pappe daran, manchmal auch rote, grüne und gelbe Strohpuppen. Die taz sieht in solchen Entgleisungen „rechte Symbolik“. Sie schrieb dazu: „Die traditionelle Landwirtschaft war nie frei von rechten Einstellungen.“ Ganz abgesehen von der diffamierenden Gleichsetzung von rechts und rechtsradikal scheint für das linke Lager festzustehen: Wer Galgen vorzeigt, ist automatisch ein Rechter alias Rechtsextremist.

Das sah man bei der taz nicht immer so. Vor mehr als 30 Jahren, am 19. Oktober 1993, lautete eine Überschrift in diesem linksgrünen Blatt: „Rexrodt am Galgen“. Dazu hieß es: „Aus Empörung über Forderungen von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, im Bergbau bis zum Jahr 2005 zusätzlich 40.000 Stellen abzubauen, haben Kumpel gestern bei einer Großdemonstration in Hamm symbolisch eine Puppe mit dem Namen des FDP-Politikers an einem Galgen aufgehängt.“

Da wurde nicht über „linke Einstellungen“ geklagt, nicht wie jetzt bei den Landwirten die „Verachtung von Parlament und Politik“ scharf verurteilt. Die in der IG Bergbau organisierten Kumpel waren rechtsradikaler Gesinnung unverdächtig. So war der Galgen für den FDP-Politiker eben nur ein Gag und keinesfalls der Ausweis der „falschen“ Gesinnung.

Dass es in Deutschland offenbar zwei Arten von Galgen gibt – zulässige und gefährliche –, ist kein neues Phänomen. Als 2015 ein „Pegida“-Demonstrant in Dresden einen Galgen für Angela Merkel und Sigmar Gabriel hochhielt, war die mediale Empörung riesig. Das war verständlich und peinlich zu gleich. Denn dieselben Medien hatten nichts dabei gefunden, dass bereits bei der Anti-TTIP-Demonstration zwei Tage zuvor eine Guillotine mitgeführt wurde, auf der der Name von Wirtschaftsminister Gabriel stand.

Der unterschiedliche Empörungsgrad über Galgen und Guillotine gehört zum medialen Mainstream

Irgendwie herrschte und herrscht in den meisten Redaktionsstuben Konsens darüber, dass Extremismus – ganz gleich ob von links oder rechts – abzulehnen sei, Linksradikalismus ob seiner angeblichen hehren Ziele aber Nachsicht verdiene. Der unterschiedliche Empörungsgrad über Galgen und Guillotine gehört zum medialen Mainstream wie die Gleichsetzung von rechts und rechtsradikal.

Es ist natürlich eine Mär, dass primitive Parolen und blanker Hass ein trauriges Privileg des rechten Rands wären. Das mag so erscheinen, weil linke Auswüchse von den meisten Medien nicht mit der Lupe, sondern eher mit dem Feldstecher beobachtet werden. Diese Einseitigkeit hat eine lange Tradition, was die Sache nicht besser macht.

 

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So inszenierte der Regisseur Christoph Schlingensief 1996 ein Open-Air-Spektakel in Berlin, eine Abfolge von 38 Mini-Inszenierungen in einer Art Irrenanstalt. Der Höhepunkt: Ein bunter Haufen zieht auf die Bühne, zeigt das Transparent „Tötet Helmut Kohl“ und schlägt der mitgeführten Kohl-Puppe den Kopf ab. Im Jahr darauf trug Schlingensief seinen Mordaufruf auf der Kasseler Documenta spazieren. Die Empörung hielt sich in engen Grenzen. Schließlich wurde „nur“ ein CDU-Kanzler symbolisch geköpft.

Ein Jahr später demonstrierten in Düsseldorf Studenten gegen das ihrer Meinung nach unzumutbare Hochschulrahmengesetz. Sie führten drei Galgen mit, an denen Puppen mit den Namen „Theo“, „Rüttgers“ und „Helmut“ baumelten, also der damalige Bundesfinanzminister Waigel, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Rüttgers und der Bundeskanzler. Auch da wurde, um Robert Habeck zu zitieren, eine Grenze überschritten. Doch regte das bei drei Unionspolitikern niemanden sonderlich auf.

Für die grünen Urgesteine Joschka Fischer und Jürgen Trittin wäre die Belagerung einer Fähre Kleinkram

Ein ähnliches Puppenspiel wurde 1998 im Bundestagswahlkampf aufgeführt. Da marschierte in Frankfurt am Main die Gewerkschaftsjugend Seit an Seit mit allerlei linkradikalen Bundesgenossen. Als Höhepunkt der Veranstaltung wurde eine Kohl-Puppe im Main ertränkt. Das Gewerkschaftsvolk johlte, doch den Medien war das keine große Erwähnung wert – es ging ja „gegen rechts“.

Noch eine Puppen-Tötung: Im Sommer 2000, ein halbes Jahr nach Bekanntwerden der CDU-Spendenaffäre und der „schwarzen Kassen“ der Hessen-Union, veröffentlichte eine Zeitung eine Anleitung zum Basteln einer Puppe. Es war die Frankfurter Rundschau, das einstige Zentralorgan der westdeutschen Altachtundsechziger. Als Puppenkopf war ein Bild des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch abgebildet – zum Ausschneiden. Damit jeder Rundschau-Leser wusste, was er mit dem selbst erstellten Kunstwerk machen sollte, gab ihm die Redaktion den hilfreichen Tipp: „Drehen Sie dem Ministerpräsidenten einfach den Hals um, lästiges Abwählen entfällt.“

Da irrt die taz eben gewaltig: Politische Geschmacklosigkeiten, Diffamierungen und Herabsetzungen der politischen Gegner sind nicht das Ergebnis „rechter Einstellungen“. Auf diesem Gebiet braucht die Linke keinen Vergleich zu scheuen. Im Gegenteil: Es war die „Außerparlamentarische Opposition“ (APO) in den Jahren 1968 ff., die maßgeblich zur Verwilderung der Sitten beigetragen hat. 

Andersdenkende nicht mehr zu Wort kommen zu lassen, die persönliche Diffamierung des politischen Gegners, gewalttätige Blockaden, Gewalt gegen Sachen und Personen, das Denken und Handeln in Freund-Feind-Kategorien – das alles hat die APO vorexerziert. Falls Robert Habeck seine zeitgeschichtlichen Kenntnisse über „Grenzüberschreitungen“ erweitern möchte: Er brauchte nur die grünen Urgesteine Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit oder Jürgen Trittin zu fragen. Die würden ihm sicherlich gönnerhaft erklären, dass die Belagerung einer Fähre eigentlich Kleinkram ist.

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