Bauern-Proteste - Die Revolte der Frühaufsteher

Die Stigmatisierung der Bauern-Proteste als einer im Kern „rechten“ Bewegung funktioniert einfach nicht mehr. Jeder, der einigermaßen bei Trost ist, erkennt sie als das, was sie sind: als Ausdruck der Unzufriedenheit mit einer Bundesregierung, die ganz offenbar den Kompass verloren hat.

Passanten halten die Daumen hoch: Traktoren auf der Straße des 17. Juni / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Die ganze Nacht über war in unserer Wohnung das Hupen der Traktoren zu hören, die sich auf der Straße des 17. Juni und Umgebung sammelten für die große Kundgebung an diesem Montag in Berlin. Heute Morgen dann ein schier endloses Defilee von Landwirten, Handwerkern, Fuhrunternehmern. Und entlang der Gehsteige oder Fahrradwege, gar nicht so selten, stehen Leute, die durch Winken und Daumenhochhalten ihre Solidarität zum Ausdruck bringen. Die Bauern in ihren teils riesigen Gefährten freut das, sie winken zurück. 

Von wegen leidgeplagte Berliner, die inzwischen die beinahe täglichen Demos eigentlich nicht mehr sollten ertragen können: Anscheinend merken viele, dass diese Bauernproteste weit mehr sind als ein Ausdruck der Empörung der arbeitenden Landbevölkerung gegen die vermeintlich abgehobene Berliner Politikblase. Es ist so etwas wie ein Aufstand der Frühaufsteher – eine Revolte jener, die durch ihre tägliche Arbeit alles das erwirtschaften, was die Regierung an anderer Stelle raushaut.

Lerneinheit: Soziale Wohltaten für alle und jeden in einem Land, das keineswegs unter Arbeitslosigkeit leidet, sondern – im Gegenteil – unter mangelnden Arbeitskräften, schaffen noch lange keinen sozialen Frieden. Insbesondere für Sozialdemokraten, die immer noch an ihren alten Gewissheiten festhalten, dürfte dies eine bittere Erkenntnis sein.

Medien-Deutschland steigert sich in eine regelrechte Hysterie hinein

Ebenso bitter wie die Erkenntnis, dass die Stigmatisierung der Frühaufsteher-Proteste als einer im Kern „rechten“ Bewegung einfach nicht mehr funktioniert. Das merken auch die winkenden Passanten am Straßenrand, die sich fragen dürften, was eigentlich so anstößig daran sein soll, wenn Bauern ihre Trecker mit „Die Ampel muss weg“-Plakaten und Deutschlandfahnen schmücken.

Meine Vermutung: Kein einziger Besucher aus dem Ausland, der zufällig in eine dieser Großkundgebungen hineingerät, käme von selbst auch nur im Entferntesten auf die Idee, dass es sich hierbei um einen Aufmarsch nationalistischer, gar faschistischer Kräfte handelt. Jeder, der einigermaßen bei Trost ist, erkennt sie als das, was sie sind: als einen Ausdruck der Unzufriedenheit mit einer Bundesregierung, die ganz offenbar den Kompass verloren hat und der es gelungen ist, innerhalb ihres inzwischen zweijährigen Wirkens so ziemlich jede Bevölkerungsgruppe gegen sich aufgebracht zu haben, die durch produktives Tun zum (leider schwindenden) Wohlstand dieses Landes beiträgt. Mit Steuergeld gepamperte staatsnahe Nichtregierungsorganisationen, die sich routinemäßig um den Zustand unserer Demokratie sorgen, wenn Bauern auf die Straße gehen und auf diese Weise von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen, sind übrigens ausdrücklich nicht gemeint.

Derweil steigert sich Medien-Deutschland in eine regelrechte Hysterie hinein, weil sich ein paar verhaltensauffällige politische Rechtsausleger getroffen haben, um im privaten Kreis über „Remigration“ und andere Abschiebemöglichkeiten zu delirieren, die übrigens im Wesentlichen längst von der Ampelregierung entweder durchgesetzt, gefordert oder zumindest erwogen werden. Ganz so, als stünde wegen einer als „Wannseekonferenz 2.0“ geframten Gesprächsrunde die Machtergreifung bevor.

Es ist völlig verrückt, was derzeit abgeht, und die Menschen in diesem Land scheinen das immer deutlicher zu spüren. Zumal von den mindestens 20 verletzten Polizisten bei der Gedenkveranstaltung für die Kommunistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am Sonntag in Berlin eher sehr am Rande die Rede ist. Man stelle sich vor, was los wäre, hätte es solche Zwischenfälle bei den Bauern-Demos gegeben: Robert Habeck und seine Kabinettskollegen stünden schon jetzt öffentlichkeitswirksam für jede Mahnwache bereit. Die Demokratie wird eben bekanntlich immer nur von einer Richtung aus bedroht.

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Deswegen auch die „Demos gegen rechts“ vor dem Hintergrund einer bevorstehenden Machtergreifung der sinistren Wannsee-Konferenzler – am Sonntag etwa unter dem Motto „Potsdam wehrt sich“ mit den Stargästen Annalena Baerbock und Olaf Scholz. Das hat alles seine Berechtigung, genauso wie die Bauern-Proteste ihre Berechtigung haben. Allerdings stellt sich schon die Frage, ob der Bundeskanzler und die Außenministerin in Brandenburgs Hauptstadt nicht auch irgendwie gegen sich selbst demonstriert haben. Immerhin hat ihre eigene Regierung das Kunststück fertiggebracht, durch eine erratische Politik – von Heizungsgesetzen bis zur Migration – für genau jenen Aufwuchs der Rechtspopulisten zu sorgen, gegen den man jetzt höchstpersönlich auf die Straße geht. Das grenzt eigentlich schon beinahe an Schizophrenie, lässt sich bei Lichte besehen aber in die Kategorie Virtue signalling einordnen. Was die ganze Sache leider auch nicht besser macht.

Aber sei’s drum, wir haben es ja verstanden: Abgrenzung ist wichtig, Abgrenzung ist überhaupt das Gebot der Stunde. Auch wenn es in anderen Kontexten immer heißt, Grenzen ließen sich nicht schützen. Aber das ist ein anderes Thema.

Dieses Land ist derzeit nicht bei Sinnen

Grenzen wir uns an dieser Stelle also vorsichtshalber ebenfalls ab: von Bauern, denen es womöglich doch nicht nur um Agrardiesel geht; von Remigrations-Fetischisten; vom Schlüttsieler Fähranlegermob. Überhaupt von allem und jedem, was irgendwie hinter die segensreichen Errungenschaften der Fortschrittskoalition ein Fragezeichen zu machen sich erlaubt. Und von der etwas irrlichternden „Werteunion“ eines Hans-Georg Maaßen sowieso, aus der demnächst eine eigene Partei werden könnte. Die ist zwar Fleisch vom Fleische der CDU, was die christdemokratische Funktionselite aber nicht daran hindert, einen Unvereinbarkeitsbeschluss zu formulieren – und damit exakt wieder in jene Brandmauer-Falle zu tappen, die von interessierter Seite aufgestellt wurde, um unliebsame Regierungsmehrheiten von Anfang an zu verhindern. Etwas Besseres hätte den Abtrünnigen um den früheren Verfassungsschutzpräsidenten kaum passieren können: Anstatt sie einfach zu ignorieren, adelt CDU-Chef Friedrich Merz die Truppe durch präemptive Ausschließeritis. Und das auch noch, wo der frühere Ostbeauftragte Marco Wanderwitz zeitgleich eine Öffnung seiner CDU hin zur Linkspartei fordert. Herzlichen Glückwunsch!

Nein, dieses Land ist derzeit nicht bei Sinnen. Beziehungsweise: Seine Bevölkerung ist es schon, nur bei einem Großteil der politischen und medialen Eliten scheint momentan der Verstand ausgesetzt zu haben. Dass es ausgerechnet die Bauern sind, die hiergegen als erste ein machtvolles Signal setzen – wer hätte das gedacht? Wahrscheinlich reagiert die politische Linke auch deswegen so allergisch gegen deren Straßenproteste, weil dies eine Form der Unwillensbekundung ist, die man ausschließlich für sich selbst beansprucht.

Doch das ist nun anders. Womöglich ist genau dies der bisher größte Erfolg der Ampelregierung.

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